Neue Chance für Taschendiebin

Sie ist als Taschendiebin zehn Jahre lang quer durch Europa geschickt worden. Jetzt hat ein Gericht in Wien eine 22-Jährige zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Es berücksichtigte dabei massiv mildernde Umstände.

Anfang Oktober nahm die Polizei die Frau fest. Sie soll mehrere Taschendiebstähle in Wien begangen haben. Die Anklage lautete auf schweren gewerbsmäßigen Diebstahl. Die Verhandlung lieferte Einblicke in eine besondere Form des Menschenhandels.

Zu Taschendiebstählen gezwungen

Die Mutter gab die gebürtige Bosnierin im Alter von zwölf Jahren weg. Ein Landsmann brachte sie nach Belgien, wo sie zur Taschendiebin ausgebildet wurde. Ihr Ziehvater hatte offenbar eine ganze Bande von Mädchen um sich geschart, die er zum Stehlen ausschickte. Es gab auch männliche Aufpasser, die dafür sorgten, dass diese parierten. „Ich habe geweint und gesagt, dass ich das nicht machen will“, berichtete die Angeklagte. Daraufhin sei sie geschlagen und eingesperrt worden.

„Aufgrund der erlebten Gewalt und anhaltender Drohungen hat sie keine andere Möglichkeit gehabt, als das zu machen, was ihr aufgetragen wurde“, betonte Verteidigerin Barbara Steiner.

Zehn Jahre hindurch wurde die junge Frau quer durch Europa geschickt, um an stark frequentierten Plätzen wie U-Bahnen oder Bahnhöfen Leute zu bestehlen. Als sie 15 war, wurde sie von einem Aufpasser geschwängert. Sie wurde gezwungen, zu Hause bei ihrem Ziehvater zu entbinden. Nach der Geburt nahm man ihr das Baby ab: „Ich weiß nicht, wo man es hingegeben hat.“ Eine Schule hat die 22-Jährige nie besucht, einen Arzt nie gesehen, einen Ausweis, mit dem sie sich legitimieren hätte können, nie besessen.

Sechs Monate auf Bewährung

Ende September wurden sie und eine minderjährige Komplizin nach Wien gebracht. Hier gehörten sie zu einer Gruppe von Mädchen, die schon länger in Wien waren und Passanten die Brieftaschen stahlen. Die Aufpasser übernahmen die Beute. „Warum sind Sie da nicht zur Polizei gegangen und haben sich Hilfe geholt?“, wollte der Richter wissen. „Weil ich Angst hatte. Man hat mich mit dem Umbringen bedroht, wenn ich zur Polizei gehe“, erwiderte die 22-Jährige.

Etwa ein Dutzend Diebstähle konnten ihr nachgewiesen werden. Die Frau kam in Untersuchungshaft. Jetzt wurde die 22-Jährige im Sinn der Anklage verurteilt, wobei der Richter davon ausging, dass die strafbaren Handlungen im Rahmen einer kriminellen Vereinigung gesetzt wurden. Aufgrund der „massiv mildernden Umstände“, wie der Richter im Hinblick auf die Lebensgeschichte der jungen Frau meinte, kam sie mit sechs Monaten auf Bewährung davon. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.

Frau will zu Mutter zurückkehren

Die Frau kam unmittelbar nach der Verhandlung auf freien Fuß. Vor dem Gerichtssaal wurde sie bereits erwartet, vermutlich von Vertrauten der Bande, der sie einmal angehört hatte. Eine Vertreterin des Vereins LEFÖ, der sich um Betroffene von Frauenhandel kümmert, war allerdings auch anwesend. Diese sicherte zu, dass die 22-Jährige, die ihren Angaben zufolge zu ihrer Mutter nach Bosnien zurückkehren will, vorerst bei LEFÖ unterkommen wird.

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