Kleingärten: Vom Nahversorger zum Wohnhaus

Überlebenswichtige Nahversorger und Propagandainstrument: Der Historiker Peter Autengruber erzählt in einem Buch die bewegte Geschichte der Wiener Kleingärten. Heute stehen in den meisten de facto Einfamilienhäuser.

Autengruber besitzt selbst einen Kleingarten, so wie 26.830 andere Wiener. Das hat den Uniprofessor mit Faible für alles Wienerische veranlasst, über das Kleingartenwesen in Wien zu recherchieren. Bekannt ist Autengruber vor allem für seine ausgefallenen Bücher über die Hauptstadt - mehr dazu in Größte Spucknapf-Sammlung: Rekorde in Wien (wien.ORF.at).

Mit der Unterstützung von 30 Kleingartenvereinen wühlte sich Autengruber durch alte Archive, Zeitschriften, Vereinsblätter und Festschriften. Das Ergebnis ist eine detaillierte Chronik über Kleingärten und Schutzhäuser in Wien, dazu umfangreiche Informationen zum gesellschaftlichen Kontext.

Kleingärten gegen die Hungersnot

Der „Wiener Naturheilverein“ verpachtete 1904 die ersten Kleingärten Österreichs im heutigen Purkersdorf. Die Gärten sollten Menschen gesundheitlich unterstützen, „die viel sitzende Beschäftigung haben“, also Arbeiter, Angestellte und Beamte. 1909 war die Kleingärtnerei endgültig in Wien angelangt. Im Bezirk Mariahilf gründete Julius Straußghitel den „Verein Schrebergarten und Umgebung“.

Die Parzellen der ersten Kleingärten maßen 200 bis 600 Quadratmeter, um Obst- und Gemüseanbau zu ermöglichen. Aus den Heilgärten wurden Nutzgärten, die im Ersten Weltkrieg zum Nahversorger avancierten: „Es kam zu einer riesigen Hungersnot. Zuvor wurde Wien aus Ungarn und der Südsteiermark mit Lebensmitteln beliefert“, sagt Peter Autengruber. „Vor allem 1916 und 1917 spielten die Kleingärten eine entscheidende Rolle als Nahversorger. Sie waren überlebenswichtig.“

Wiener Kleingärten

Peter Autengruber

Die Kleingärten waren für das kriegsgebeutelte Volk überlebenswichtig

Jüdische Besitzer enteignet

Nach dem Ersten Weltkrieg bekannte sich der Wiener Kleingärtnerverband zur Sozialdemokratie. Die Gärten wurden zur Hochburg des Proletariats und waren nach wie vor wichtige Nahversorger. Mit der Ära des Austrofaschismus (ab 1934) wurde der Verband aufgelöst, sämtliche Positionen neu besetzt. Dieses Spiel wiederholte sich 1938 mit dem „Anschluss“ an Deutschland.

Die Kleingärtner wurden im „Landesverband Donauland“ zusammengefasst und später in den „Reichsbund Deutscher Kleingärtner“ eingegliedert, sämtliche Führungspersonen ihrer Ämter enthoben. Zudem verfügte das Reichsarbeitsministerium, dass sämtliche jüdische Kleingärtner gekündigt werden. „Es gab sehr wohl Solidarität in den Kleingärten, darauf weisen vereinzelte Berichte hin. Wer mit Juden erwischt wurde, hatte aber mindestens mit einer Enteignung zu rechnen“, so Autengruber.

Zudem missbrauchte das NS-Regime Kleingärten für seine Propaganda. Mit Hilfe der Lebensmittel von Kleingärtnerinnen sollte der „Sieg an der Front“ gelingen. Den Kleingärtnerinnen wurden zusätzlich „Frauenfachberaterinnnen“ zur Seite gestellt, „damit jedes Misslingen beim Kochherd ausgeschlossen“ werden könne und „Erntevorräte“ sachgemäß behandelt würden.

Vom gepachteten Nahversorger zum Eigentum

Nicht alle Enteigneten bekamen ihre Gärten direkt nach dem Krieg zurück. „Wer überhaupt zurückkam, fand seinen Garten völlig devastiert vor. Viele ehemalige Gärtner wollten eine Ablöse für das Grundstück. Es kam zu jahrelangen Prozessen“, berichtet Autengruber. Das Milieu in den Gärten ähnelte bald wieder jenem der Zwischenkriegszeit. Arbeiter, kleine Gewerbetreibende, Beamte und vor allem Pensionisten pachteten die Grundstücke.

Wiener Kleingärten

Peter Autengruber

Urige Gärten, wie hier in Steinsee, werden langsam zur Rarität

Die letzte große Zäsur in der Geschichte der Kleingärten fand laut Autengruber in den frühen 1990ern statt. Gesetzliche Änderungen erlaubten es, auf den Grundstücken der Kleingärten 50 Quadratmeter zu verbauen, darauf ganzjährig zu wohnen und einen „Antrag auf Eigentum“ zu stellen. Mittlerweile seien 40 Prozent aller Wiener Kleingärten Privateigentum, 60 Prozent gepachtet. Der Trend gehe in Richtung Eigentum.

Noch einige Vorzeigeexemplare erhalten

„Das hat die soziale Durchmischung massiv verändert“, meint Autengruber und weist auf die ökologischen Auswirkungen hin: „Die Grundstücke sind versiegelt, und es werden kaum mehr Pflanzen angebaut.“ Aus den beschaulichen Kleingärten seien de facto Grundstücke für Einfamilienhäuser geworden. Nur Parzellen, die schwer zugänglich sind, bleiben laut Autengruber vorerst von größeren Bauprojekten verschont.

Auf der Schmelz, am Heuberg oder auch am Schafberg gebe es beispielsweise noch Gartenhäuschen, die dort bereits in den 40ern standen, so Autengruber. Auch sein eigener Kleingarten entspricht äußerlich noch dem Ideal aus der Frühzeit der Kleingärten. Er liegt im 17. Bezirk, in Dornbach.

Michael Hammerl, wien.ORF.at

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