Studie: Radikalisierung in Hinterhof und Internet

Wie Jugendliche zu Extremisten werden - diese Frage versucht eine Wiener Studie zu beantworten. Radikalisiert wird vor allem in Hinterhofmoscheen und im Internet. Videos sind oft selbst noch nach der Festnahme von Hasspredigern abrufbar.

Lorenz K. ist der letzte Fall in einer Reihe von jungen Österreichern, die wegen islamistischer Terrordelikte verurteilt wurden. Mit zehn davon wurde im Auftrag des Justizministeriums nun eine Studie durchgeführt - und diese zeigt: Neben Hinterhofmoscheen wird vor allem von Internethasspredigern radikalisiert. Selbst der in Graz inhaftierte Mirsad O. wirke so noch immer bis in die Kinderzimmer.

„Erstaunlich ist, dass diese Videos nach wie vor auf YouTube verfügbar sind. Die Prediger selbst sperrt man ein, aber ihre Videos sind weiter verfügbar“, so Kriminalsoziologin Veronika Hofinger vom Wiener Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie im „Wien heute“-Interview.

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Videos von Hasspredigern bleiben oft lange im Netz verfügbar

Charismatische Persönlichkeiten ausschlaggebend

Ziel der Studie, durchgeführt vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, war es, die Ursachen und den Verlauf der Radikalisierung von Jugendlichen nachzuzeichnen, die großteils in Österreich aufgewachsen sind. Allesamt wurden sie zu Sympathisanten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und in weiterer Folge wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (Paragraf 278b StGB) verurteilt. Dazu wurden auch Gespräche mit Bezugs- und Betreuungspersonen im Umfeld der Jugendlichen geführt.

Das Entfachen eines Radikalisierungsprozesses bzw. die Rekrutierung erfolgt bei jungen Menschen in Österreich zumeist über den Freundeskreis, über charismatische Persönlichkeiten, die sich in einschlägig bekannten Moscheen, aber auch Parks aufhalten, sowie über Internetplattformen bzw. Chats mit Dschihadisten vor allem aus Syrien und dem Irak.

In Haft weiter radikalisiert

Ein weiteres Problem: Alle Interviewten mit Gefängniserfahrung geben an, dass sie in Haft weiter radikalisiert wurden. „Es ist vor allem ein Problem in den großen gerichtlichen Gefangenenhäusern wie etwa der Justizanstalt Josefstadt. Da wissen wir, dass zu wenig Aufmerksamkeit da war, um diese Radikalisierung auch zu bemerken und dagegenzuhalten“, so Hofinger. Das wird schon länger debattiert - mehr dazu in Gefängnisse: Maßnahmen zur Deradikalisierung.

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Eigene Anstalten für Extremisten hält Expertin Hofinger für keine gute Idee

Eigene Anstalten für Extremisten hält die Studienautorin für keine gute Idee. Auch Einzelhaft sehen die Studienautoren kritisch. Diese Maßnahme kann zwar einerseits die Radikalisierung von Mithäftlingen verhindern, andererseits bei der isolierten Person eine weitere Radikalisierung bewirken - mehr dazu in Deradikalisierung: Einzelhaft problematisch.

Auch Deradikalisierte behalten Glauben

Allen Jugendlichen gemein ist, dass Deradikalisierung so gut wie nie bedeutet, dass sie sich von einer strengen Auslegung des Islam abwenden: „Es war nur eine unter den Interviewten, die das wirklich abgelegt hat - auch ihr Kopftuch. Alle anderen waren weiterhin strenggläubig und salafistisch - aber nicht gewaltbereit“, so Hofinger. Bei vielen habe es jedoch auf der Verhaltensebene eine Änderung gegeben. Der Wunsch, nach Syrien zu gehen, oder mögliche Anschlagspläne wurden aufgegeben.

Neue Studie zu radikalisierten Jugendlichen

Wie werden Jugendliche in Österreich zu Extremisten? ORF-Redakteur Robert Zikmund hat mit Studienautorin Hofinger gesprochen.

Bis auf eine Person hatten alle in der Studie berücksichtigten Jugendlichen Migrationshintergrund, stammten aus einem bildungsfernen und einkommensschwachen Milieu und erlebten aufgrund fehlender Integrationsmaßnahmen, mangelnder Deutschkenntnisse der Eltern und Perspektivlosigkeit große Fremd- und Außenseitererfahrungen. Diese Ausgrenzungserfahrungen können zu einer verstärkt ausgeprägten muslimischen Identität beitragen. Religion spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Die Position der Eltern in der österreichischen Gesellschaft war in fast allen Fällen denkbar schlecht. Die Jugendlichen selbst hatten höchstens einen Hauptschulabschluss, keiner hatte eine abgeschlossene Berufsausbildung. Die familiären Hintergründe waren geprägt von Gewalt, fehlenden Vätern, früher Traumatisierung und Bindungsstörungen, schweren Krankheiten und Scheidung.

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