Wiener Charta präsentiert

Sie soll die Wertehaltung der Bevölkerung abbilden und Handlungsanleitung für die Politik sein: Jetzt wurde die in einem monatelangen Bürgerbeteiligungsprozess entstandene „Wiener Charta“ präsentiert - für die Opposition ein Treppenwitz.

Das sieben Punkte umfassende Papier soll im Großen und Ganzen widerspiegeln, was den Wienerinnen und Wienern hinsichtlich eines „guten Zusammenlebens“ wichtig ist. Darunter fallen etwa die Bereiche Sprache, Verkehrsverhalten und Sauberkeit. Die Stadtregierung sehe das Ergebnis auch als Auftrag an die Politik, sagte Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ).

1.800 Vorschläge eingebracht

Ziel sei es gewesen, ein „neues Wir-Gefühl“ zu definieren, so die Ressortchefin. In den vergangenen Monaten sollten möglichst viele Bürger an der Entstehung des Spielregelkatalogs mitwirken. Im Zuge einer Onlinedebatte wurden mehr als 1.800 Vorschläge eingebracht, dazu nahmen rund 8.500 Menschen an etwa 650 Gruppendiskussionen teil - mehr dazu in Wiener Charta ist online (wien.ORF.at; 28.9.2012).

Unter Federführung eines sechsköpfigen Beirats wurde die Quintessenz der Beiträge schließlich als eine Art Leitfaden, also die eigentliche Charta, formuliert. „Diese sieben Punkte sind ein sehr guter Spiegel des Konsenses in der Bevölkerung“, zeigte sich Frauenberger überzeugt. Nun sehe man, „wofür wir in Wien stehen, aber auch, wofür wir nicht stehen“. Mit Gesetz oder Verordnung habe das nichts zu tun.

Charta mit sieben Bereichen

Zum Inhalt: Die sieben Bereiche sind mit „Umgangsformen im Alltag, Rücksicht im Zusammenleben“, „Verhalten im Straßenverkehr und in den öffentlichen Verkehrsmitteln“, „Ich und die, die anders sind als ich“, „Deutsch sprechen - andere Sprachen sprechen“, „Jung und Alt“, „Sauberkeit in der Stadt“ und „Öffentlicher Raum - Lebensraum für uns alle“ überschrieben.

In den jeweiligen Kurztexten zu den einzelnen Themen finden sich Sätze wie „Wenn uns etwas (am Verhalten anderer, Anm.) stört, sprechen wir es höflich und klar an“ oder „Wir stehen im Alltag den Lebensgewohnheiten und Erfahrungen anderer aufgeschlossen gegenüber“. Außerdem finden sich Selbstverpflichtungen a la „Weil wir gerne in einer sauberen Stadt leben, lassen wir keinen Müll liegen, werfen Zigarettenstummel nicht auf die Straße und räumen Hundekot weg.“

Vassilakou: „Aufträge an Rot-Grün“

Frauenberger betonte, dass es sich bei der Charta um kein Integrations-, sondern um ein Bürgerbeteiligungsprojekt handle. Trotzdem ist darin Deutsch als gemeinsame Sprache festgehalten. Man unterstütze Zuwanderer beim Erlernen, diese müssten aber auch daran arbeiten, das eigene Deutsch zu verbessern.

Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) nannte das Papier „ein Stück Wirklichkeit von dem, was man derzeit in der Stadt denkt und fühlt“. Sie sah in der Charta durchaus Aufträge an Rot-Grün - so etwa, Neuankömmlingen Deutschlernen zu ermöglichen oder die Schaffung von mehr öffentlichen Raum, wo es keinen „Konsumzwang“ gebe - was klar an ihr Ressort gerichtet sei, so Vassilakou. „Die Charta hat eine Chance, gelebt zu werden“, zeigte sie sich optimistisch.

Möglichst breite Öffentlichkeit

Damit die Charta möglichst breite Öffentlichkeit findet, werden nicht nur Inserate geschalten. Sämtliche Partnerorganisationen erhalten das Dokument in Posterform und sollen auch dafür sorgen, dass der Leitfaden in ihrem Umkreis mit Leben erfüllt wird - mehr dazu in Charta: Reden über „Aufreger“-Themen (wien.ORF.at; 13.4.2012).

Den Charta-Prozess sieht man in Wien durchaus als Best-Practice-Beispiel für andere Metropolen. Diverse Anfragen aus dem Ausland habe es bereits gegeben. Das Projekt schlug mit insgesamt 450.000 Euro zu Buche.

Opposition: „Treppenwitz“ und „No-Na-Sätze“

Als „Treppenwitz“ bezeichnete die FPÖ die Wiener Charta. 450.000 Euro seien für eine „rot-grüne Placebo-Aktion“ vergeudet worden, die Charta enthalte lediglich „Floskeln“. Regeln wie „grüßen und behilflich sein“ sollten ohnehin selbstverständlich sein. Gudenus: „Da ist ja sogar die Fahrgastordnung der Wiener Linien umfangreicher.“

Ähnlich die Analyse von ÖVP-Landesparteiobmann Manfred Juraczka: „Statt klare Worte zu finden, präsentierte die Wiener Stadtregierung nun ein unverbindliches Papier voller Floskeln und Plattitüde.“ Von „Wiener Positionen zum Zusammenleben“ und „klaren Antworten“, wie sie Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) noch Anfang 2012 gefunden habe, könne nun dank der vorgestellten „No-Na-Sätzen“ nicht mehr die Rede sein.

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