Grenzüberschreiter Rühm im Kunstforum

Er ist Universalkünstler wie Universalgelehrter gleichermaßen. Doch jenseits seines 85ers wird Gerhard Rühm vor allem mit großen Ausstellungen gewürdigt: mit einer Personale im Kunstforum. Der schlichte Titel: „Gerhard Rühm“.

Er ist Komponist und Chansonnier, Poet und Performer, Literat und bildender Künstler - Gerhard Rühm fühlt sich in den Zwischenräumen von Wort und Bild, Sprache und Musik, Schrift und Zeichnung am wohlsten. „Es war eine der anspruchsvollsten Ausstellungen, die ich bisher gemacht habe“, sagt Kuratorin Heike Eipeldauer. „Unsere Aufgabe war, dem gerecht zu werden, was er ist: ein permanenter Grenzüberschreiter.“ Also ist Rühms „visuelle poesie“ ebenso Teil der Schau wie ihr musikalisches Pendant, die „visuelle musik“ mit grafisch bearbeiteten Notationen und seine „auditive poesie“ mit Klavierstücken und Chansons.

Gerhard Rühm

APA/Georg Hochmuth

Gerhard Rühm überschreitet mit seiner Kunst alle Grenzen

Selten vor 2.00 Uhr im Bett

„Ich bin sehr zufrieden, ich finde, Heike Eipeldauer hat das sehr gut gemacht“, versichert der 87-Jährige, der für einen Rundgang sein Tagwerk ausnahmsweise am frühen Vormittag begonnen hat (zu Bett geht er weiterhin selten vor 2.00 Uhr). „Der ganze Bereich Theater, der für mich schon sehr wichtig ist“, falle in der Ausstellung zwar weg, dafür werden gleich im Eingangsbereich Filmdokumente jener „Literarischen Cabarets“ gezeigt, den ersten Happenings der Kunstgeschichte, mit denen Rühm und seine Kollegen das Wien der 1950er-Jahre aufmischte.

„Junge Leute im heutigen Wien können sich die damalige Situation gar nicht vorstellen. Die ganze moderne Kunst wurde als unseriös oder verrückt zur Seite geschoben. Es war eine ausgesprochen kulturmuffige Stimmung. Das Verdikt der Nazis ‚Entartete Kunst‘ war noch in vielen Köpfen verankert. Auch die Kirche hatte noch einen großen Einfluss. Die Sachen, die ich gemacht habe, haben fast militante Ablehnung erfahren. Aus diesem Grund bin ich ja dann auch 1964 nach Berlin gegangen, denn ich hatte in Österreich überhaupt keine Möglichkeiten“, erinnert sich der spätere zweifache documenta-Teilnehmer.

Fokus auch auf Wiener Gruppe

Die erste Ausstellung mit typografischer Kunst konnte Rühm in der Galerie Würthle in der Weihburggasse verwirklichen. „Ich hab’ es ‚Lautgestaltung - Wortgestaltung‘ genannt, abgeleitet vom Gestaltungsbegriff von Mondrian. Es gab ja noch gar keine Terminologie für solche Sachen. Als ich damit begonnen habe, Anfang der 50er-Jahre, habe ich ja als Vollnarr gegolten. Das wurde in keiner Weise ernst genommen.“ Heute ist die Verzahnung von Bild und Sprache groß in Mode. Auch das aktuelle Galerienfestival „curated by_vienna“ beschäftigt sich unter dem Titel „image/reads/text“ mit Stellenwert und Funktion von Sprache in der zeitgenössischen Kunst.

Gerhard Rühm

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In den 50er-Jahren war er Mitgründer der Wiener Gruppe

Im zweiten Raum trifft man auch auf die von Rühm bei Rowohlt herausgegebene „Wiener Gruppe“-Anthologie, mit der die Sprachexperimente von Rühm, Friedrich Achleitner, H.C. Artmann, Konrad Bayer und Oswald Wiener erst richtige Bekanntheit erlangten. „Das war schon eine sehr wichtige Publikation“, gibt Rühm zu.

Sohn eines Wiener Philharmonikers

Im Hauptraum wird ein inmitten einer Multimedia-Installation aufgestellter Flügel nicht nur darauf verweisen, dass der Sohn eines Wiener Philharmonikers seine künstlerische Laufbahn als Komponist begann und auch hier mit avantgardistisch-experimentellen Stücken wie der „geräuschsymphonie“ oder der „ein-ton-musik“ Neuland betrat, sondern soll auch mit speziellen Handlungsanleitungen die Besucher zum Mitmachen animieren.

Rühm, dessen neue Dreifach-CD bei Gramola Sprechtexte, Melodramen und Chansons umfasst, wird bei der Eröffnung selbst in die Tasten greifen. „Für mich gibt es genauso starke Beziehungen zwischen Sprache und Musik wie zwischen Sprache und bildender Kunst.“

Ausstellungshinweis

Kunstforum Wien
4.10.2017 - 28.1.2018
Täglich 10:00 – 18:00 Uhr

Mensch des „analogen Zeitalters“

Mitmachen ist auch im letzten Raum an einem langen Tisch gefragt: Die Besucher können sich selbst als Rezitatoren Rühm’scher Lautgedichte, als Schöpfer automatischer Zeichnungen oder auf einer alten Schreibmaschine als typografische Künstler betätigen - für die heutige Tapp- und Wisch-Generation der Tablet- und Smartphone-User möglicherweise ganz ungewöhnliche haptische Erfahrungen. Computertechnik biete sicher neue Ansätze für die bildende Kunst, räumt Gerhard Rühm ein.

Auch er schreibe seine Texte zwar mittlerweile am Computer, doch beschäftige er sich nicht mit dessen neuen kreativen Möglichkeiten. „Ich bin eigentlich kein Mensch des digitalen Zeitalters sondern noch einer des analogen. Und ich hab noch genügend Möglichkeiten, das was ich mache, auf meine Art weiterzuentwickeln.“

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