Messerattacken: Lebenslange Haft

Nach den Messerattacken in Wien-Leopoldstadt ist ein 23-jähriger Afghane wegen Mordversuchs zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er habe wie „in einem Blutrausch auf seine Opfer eingestochen“, sagte die Staatsanwältin.

Der Angeklagte hatte am 7. März in der Leopoldstadt eine dreiköpfige Familie, einen Passanten und einen Dealer mit Messern attackiert. Die Geschworenen entschieden auf vierfachen Mordversuch, verneinten dies aber im Fall des Passanten, der sich dem 23-Jährigen in den Weg gestellt hatte. Nach ihrer Ansicht sei dies lediglich eine Nötigung gewesen. Den Opfern wurde das beantragte und anerkannte Schmerzengeld zugesprochen.

Laut der vorsitzenden Richterin wurde mildernd gewertet, dass es beim Versuch geblieben war, erschwerend war der rasche Rückfall nach einer Haftentlassung, das Zusammentreffen von vier Verbrechen, die besondere Heimtücke, dass unschuldige Opfer betroffen waren und der hohe Unrechtsgehalt. Der Angeklagte meldete nach Beratung mit seinem Verteidiger Nichtigkeit und Berufung an.

Prozess Gerichtssaal

APA / Herbert Neubauer

Der angeklagte Afghane ist am 7. März festgenommen worden

Staatsanwältin forderte lebenslange Haft

Die Staatsanwältin hatte sich in ihrem Plädoyer dafür ausgesprochen, „die volle Härte des Gesetzes auszuschöpfen. Es hätte jeden von uns treffen können, der dem Täter auf der Praterstraße über den Weg gelaufen ist.“

Der Verteidiger des 23-Jährigen meinte dagegen, sein Mandant hätte Cannabis konsumiert und vielleicht auch chemische Substanzen, „die sich im Labor nicht orten lassen“. Deshalb sei er beim Angriff auf die Familie nicht zurechnungsfähig gewesen. Den Mordversuch am Zeugen tat der Verteidiger als Versuch ab, „sich vom Acker zu machen“. Auch der Angriff auf den Dealer sei nicht erfolgt, um diesen zu töten. „Er hat ihn in eine Region gestochen, in der sich keine lebenswichtigen Organe befinden.“

Opfer muss zur Dialyse

Der Asylwerber hatte am 7. März am Nestroyplatz zunächst auf eine dreiköpfige, völlig unbeteiligte Familie eingestochen, weil er glaubte, diese hätten ihn ausgelacht, hieß es in der Anklage. Das Ehepaar und die 17-jährige Tochter überlebten nur aufgrund einer besonders gut funktionierenden Rettungskette - mehr dazu in Messerattacke auf dreiköpfige Familie

Der medizinische Sachverständige berichtete, dass der Familienvater bereits klinisch tot war. Er sei unter Reanimationsbedingungen ins AKH eingeliefert worden. Durch den Sauerstoffmangel hätten jedoch die Nieren derart gelitten, dass der Zahnarzt nunmehr dreimal pro Woche eine Dialyse benötigt. „Mit 68 Jahren ist es schwer, dass man noch eine neue Niere bekommt.“

Auch die Mutter wäre ohne die perfekt funktionierende Rettungskette verblutet, ebenso der Drogendealer. Die Verletzung der Tochter war „nur“ potenziell lebensgefährlich. Der Zeuge, der sich dem Afghanen in den Weg gestellt hatte, wäre zumindest schwer verletzt worden, hätte ihn dessen Messerstich getroffen.

Opfer von Weinkrämpfen geschüttelt

Von Weinkrämpfen geschüttelt, bis sie völlig die Fassung verlor, hat am Donnerstag eines der Opfer vor Gericht die dramatische Attacke geschildert. Die Mutter war das erste Familienmitglied, das von dem Afghanen angegriffen wurde. Obwohl sich der Angeklagte bei der Aussage nicht im Verhandlungssaal befand, waren ihr die psychischen Folgen deutlich anzumerken.

Die 17-jährige Tochter erzählte, dass ihr der 23-Jährige beim Vorbeigehen „eigenartig“ vorgekommen sei. Deshalb habe sie sich umgedreht, ob dieser auch weitergehen würde. Dabei sah sie, dass dieser offenbar das Messer herauszog und auf ihre Stiefmutter losging, danach war ihr Vater das nächste Ziel. „Da habe ich realisiert, jetzt bin gleich ich dran und bin auf die Straße gelaufen.“ Der 68-Jährige ist durch das Geschehen psychisch so schwer angeschlagen, dass auf seine Aussage verzichtet werden musste.

Messerattacke war laut Psychiater „Amoklauf“

Nach der Attacke auf die dreiköpfige Familie lief der Angeklagte in Richtung Praterstern, wo er sich an seinem Drogendealer rächen wollte, den er für seine triste Lebenssituation verantwortlich machte. Auf dem Weg dorthin stellte sich ihm ein Passant in den Weg, der vermutete, der Mann sei von einer Schlägerei geflüchtet.

Nur durch seine schnelle Reaktion konnte dieser Zeuge Messerstichen ausweichen. Weniger Glück hatte anschließend der Dealer: Ihm stach der 23-Jährige in den linken unteren Rippenbogen - mehr dazu in Mordanklage nach Attacke auf Arztfamilie.

Vor Gericht konnte der Angeklagte am Donnerstag nicht begründen, warum er sich unmittelbar nach der Tat noch an viele Dinge erinnern konnte, vor Gericht jedoch an Gedächtnislücken litt. Es tue ihm leid. Warum er die Familie attackiert habe, wisse er jedoch nicht. Töten habe er jedenfalls niemanden wollen. Der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann sieht das anders: Es war dies „ein Amoklauf, wie er in der heutigen Zeit leider immer öfter vorkommt“, so Hofmann im Prozess.

Prozess wegen Messerstecherei in Wien

Ein 23-jähriger Afghane, der auf fünf Personen eingestochen haben soll, steht in Wien vor Gericht.

Verteidiger: „Durch Psychose zu Taten verleitet“

Der Verteidiger sprach in seinem Eröffnungsplädoyer von einer „drogenindizierten Psychose“, die seinen Mandanten, der in einer Fantasiewelt gelebt habe, zu den Taten verleitet habe. Drei Gramm Kokain sowie mehrere Schlaftabletten habe er konsumiert, so der Beschuldigte.

Dieser Drogenkonsum ist jedoch auszuschließen: Die entsprechenden Blutproben hätten lediglich THC durch Cannabis ergeben, anderes Suchtgift könne er nicht genommen haben, hieß es bei der Verhandlung.

: PROZESS NACH MESSERATTACKEN IN WIEN-LEOPOLDSTADT

APA / Herbert Neubauer

Der psychiatrische Sachverständige nannte die Tat einen „Amoklauf“

Gutachter: „Keine schwere psychische Krankheit“

Nach seiner Festnahme und Überstellung in die Justizanstalt Josefstadt hatte der 23-Jährige wirre Angaben gemacht, sprach von inneren Stimmen und „Teufelsmenschen“, die ihn verfolgen würden. Ende März wurde der Mann deshalb mit Verdacht auf paranoide Schizophrenie vorübergehend ins Otto-Wagner-Spital verlegt, wo er mehrere Selbstmordversuche unternahm - mehr dazu in Nach Messerattacke: Verdächtiger auf Psychiatrie

Der Verdacht auf Vorliegen einer schwerwiegenden psychischen Krankheit bestätigte sich - laut dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Hofmann - aber nicht. Beim 23-Jährigen würden „keinerlei Anhaltspunkt auf schwerwiegende psychische Erkrankungen“ vorliegen.

Der Psychiater geht in dem 42-seitigen Gutachten vielmehr davon aus, dass der 23-Jährige zum Zeitpunkt der Messerangriffe „über einen völlig geordneten Gedankengang verfügte“ - mehr dazu in Messerattacke: Mann zurechnungsfähig.