Wien Modern: Philharmoniker ohne Dirigenten

34 Spieltage und über 80 Ur- und Erstaufführungen: Am 28. Oktober startet Wien Modern, das Festival für Neue Musik, in seine 31. Auflage. Das Eröffnungskonzert bestreiten die Wiener Philharmoniker ohne Dirigenten.

Philharmoniker-Konzertmeister Rainer Honeck erinnerte sich an einen Vorbildmoment, der unter dem Titel „Bernstein not conducting“ auf Youtube zu finden ist: Leonard Bernstein ließ bei einer Haydn-Sinfonie die Philharmoniker plötzlich führungslos. „Er hatte uns nicht vorgewarnt. Es war eine Laune von ihm - aber es hat uns unheimlich Spaß gemacht. Er hat uns großes Vertrauen geschenkt in diesem Moment“, so Honeck.

Zum Auftakt spielen die Philharmoniker erstmals Musik von John Cage, nämlich das „stille Stück“ „4'33’’“. Auf „Verklärte Nacht“ von Schönberg und einem weiteren Cage-Stück folgt eine Uraufführung von Johannes Maria Staud: „Scattered Light“. „Da wissen wir noch gar nicht, was auf uns zukommt“, meinte Honeck, der ein gewisses Defizit seines Orchesters im Bereich der Beschäftigung mit Neuer Musik bedauernd einräumte: „Bei Tourneen wird das halt leider von uns nicht so gewünscht...“

John Cage beim Dirigieren um 1967

Wien Modern/unbekannter Fotograf, Courtesy of the John Cage Trust

John Cage beim Dirigieren um 1967

„Cafe Cage“ und „eine Art begehbare Sinfonie“

Wien Modern findet nicht nur im Konzerthaus statt. In fünf verschiedene Kaffeehäuser geht Marino Formenti und spielt, beginnend am 30. Oktober, an fünf Tagen unter dem Titel „Cafe Cage“ insgesamt 19 Stunden Klaviermusik von John Cage. Vom Prückel bis zu Zweistern und Ungar Grill soll eine Melange aus Alltag und Musik entstehen.

„Die Idee ist, Cage in sehr unterschiedliche Environments zu bringen“, so Formenti, der zudem am 28. Oktober unter dem Titel „Bibliosphäre: Die Kugel der Zeit“ in die Bibliothek der Wiener Musikuni (mdw) lädt: Nach Vorbild der „Bibliothek von Babel“ von Jorge Luis Borges spielen Studierende acht Stunden lang Musik aus allen Epochen aus der über 250.000 Titel umfassenden Bibliothek.

Gleich der gesamte Campus der Musikuniversität verwandelt sich am 17. November in „ein großes Klanggebäude“, wie Komponist Georg Nussbaumer erzählte. 300 Studierende treten an, um Nussbaumers „Atlas der gesamten Musik und aller angrenzenden Gebiete“ aufzuführen, „eine Art begehbare Sinfonie, ein klingender Ausstellungsraum für all die Musik, die das ganze Jahr dort geprobt und geübt wird und in dem Repertoirestücke vom Mittelalter bis in die Gegenwart wie Bilder hängen“. Neben einer „Klavierhölle mit 18 Klavieren“ werde es während der angepeilten dreieinhalb Stunden „auch ganz viel Subtiles und Feines“ geben, hofft Nussbaumer.

Olga Neuwirth

APA/Hans Klaus Techt

Olga Neuwirth: Uraufführung der Musik zu Stummfilm „Die Stadt ohne Juden“

Olga-Neuwirth-Schwerpunkt

Bei Wien Modern, wo Olga-Neuwirth in den vergangenen Jahren immer wieder vertreten war, startet das Neuwirth-Programm gleich mit einem Triple-Pack: Am 7. November findet ab 14 Uhr im Studio 2 der Musikhochschule ein Symposium über Neuwirths Musik zu Stummfilmen statt.

Um 18.30 Uhr folgt im Wotruba-Salon des Wiener Konzerthauses ein von Julia Heimerdinger moderierter Round Table mit der Komponistin, dem Musikwissenschafter Stefan Drees und dem Dirigenten Nacho de Paz, der eine Stunde später im Großen Saal das Ensemble PHACE bei der Uraufführung von Neuwirths neuer Musik zum Stummfilm „Die Stadt ohne Juden“ dirigieren wird. Die 1924 von Hans Karl Breslauer erfolgte Verfilmung des gleichnamigen Romans von Hugo Bettauer wurde kürzlich vom Filmarchiv Austria dank eines Zufallsfunds auf einem Pariser Flohmarkt neu restauriert und vervollständigt - mehr dazu in „Stadt ohne Juden“ fertig restauriert.

Keine Uraufführung, aber eine monumentale, revidierte Neuproduktion eines ursprünglich 2012 uraufgeführten Großprojekts folgt am 14. November: „The Outcast. Homage to Herman Melville“ wird als „Video-Konzert-Installations-Theater“ aufgeführt. Für „The Outcast“ hat Neuwirth ihre langjährige Auseinandersetzung mit dem Autor Herman Melville (1819-1891), das sich u.a. in ihrem vor zwei Jahren erschienenen Buch „O Melville!“ niedergeschlagen hat, fortgeführt. Dabei ließ sie sich auch in New York mit einer Fotomaske des „Moby Dick“-Autors vor dem Gesicht fotografieren

„Frauen vor den Vorhang holen“

Als eines der „heimlichen Großprojekte“ neben dem Olga-Neuwirth-Schwerpunkt und einem „Casino Cage“ am 5. November, für das ein großer Roulettetisch im Großen Konzerthaussaal aufgebaut wird und mittels Roulettekugel über Zeitpunkt, Reihenfolge und Gleichzeitigkeit der Interpretationen der 14-teiligen „Sequenza“-Werkreihe von Luciano Berio entschieden wird, kündigte Festivalleiter Bernhard Günther die Serie „The Solo-Challenge“ für 11 Solistinnen und Solisten an: am 4. November für Cello, am 8. November für Klavier, am 25. November für Geige.

Roter Faden ist dabei die neunfache Uraufführung der „Schütten“-Komposition von Katharina Klement, die dafür Aufnahmen aus einem Zementwerk als Basis herangezogen hat und mit ihrer grafischen Partitur viel Freiraum für Improvisation lässt: „Ich glaube nicht, dass man meine Stücke falsch spielen kann. Diese Kategorie ist hier nicht angebracht. Das schönste Kompliment ist, wenn es den Ausführenden Freude macht“, sagte Klement. „Und mich als Veranstalter würde es freuen, wenn es das Publikum freut“, ergänzte Günther.

In den Wappensaal des Wiener Rathauses geht am 19. November für das Preisträgerinnen-Konzert des Österreichischen Komponistinnen Preises. Zu hören sind Stücke von Tanja Elisa Glinser, Ursula Erhart-Schwertmann und Rojin Sharafi. „Ich hoffe, das ist der Beginn einer längeren Kooperation“, sagte Preis-Mitstifterin Ewa Dziedzic, die mit der Auszeichnung „Frauen vor den Vorhang holen“ will: „Es ist in der Musikszene nach wie vor ein großes Thema, seine Existenz zu soweit absichern können, um sich dem kreativen Schaffen zu widmen. Für Frauen ist das noch viel schwieriger.“

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