Fortsetzung im Politstreit Wien gegen Bund

Die Spitze der Bundesregierung hat die Kritik an Wien verschärft, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bezog sich dabei auf die Zahl der Arbeitslosen. „Letztklassige Angriffe“ und eine „inszenierte Kampagne“ sieht die Wiener SPÖ.

Am Donnerstag hatte Kurz beim Thema Mindestsicherung gemeint, in Wien würden in vielen Familien in der Früh nur mehr die Kinder aufstehen, weil die Eltern nicht arbeiten gehen. Am Freitag meinte er auf die Frage, ob er bei dieser Aussage bleibe: „Ich bleibe bei den Fakten.“ In Wien gebe es 13 Prozent Arbeitslose und 15.000 Obdachlose und jeder zweite Mindestsicherungsbezieher sei ein Ausländer.

Es gebe ein massives Wachstum an Beziehern. „Mein Bild von einem erfolgreichen Österreich schaut anders aus. Wien hängt im Vergleich mit den anderen Ländern deutlich hinterher. Wir helfen der Stadt Wien, die Trendwende zu schaffen“, so Kurz.

Hanke: „Medial inszenierte Kampagne“

Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) zeigte sich erstaunt über die Aussagen von Kurz, weil die Fakten und Zahlen ein komplett anderes Bild zeichnen, wie er beteuerte. „Mit Dezember 2018 verzeichnete Wien mit rund 844.000 Beschäftigten einen Dezember-Höchstwert in der Zweiten Republik. Die Arbeitslosigkeit in Wien sinkt seit zwei Jahren durchgehend und ist in allen Bereichen unter die Werte von 2015 gefallen“, so Hanke in einer Stellungnahme.

Dies seien gute Nachrichten und das, obwohl die Bundesregierung „in der Arbeitsmarktpolitik jeden Tag Steine in den Weg legt“. Kritisiert wurde etwa die „AMS-Segmentierungsstrategie“ oder der Stopp der Aktion 20.000. Natürlich sei jede arbeitslose Person eine zu viel, befand der Ressortchef. Aber umso wichtiger wäre es jetzt, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und Menschen in Beschäftigung zu bringen, „als eine medial groß inszenierte Kampagne gegen Wien aufzufahren“.

„Wenn die Bundesregierung eine faktenbasierte Diskussion führen will, könnte sie als allererstes damit aufhören, die Studie zur Aktion 20.000 zurückzuhalten“, hielt Hanke fest. Zu den Finanzen der Stadt meinte er: „Wir verfolgen konsequent das Ziel, 2020 eine schwarze Null zu schreiben. Darüber hinaus verzeichnet Wien lediglich einen Pro-Kopf-Schuldenstand von 3.862 Euro. Damit liegt Wien genau im Mittelfeld aller Bundesländer.“ Die Schulden des Bundes würden hingegen 86,93 Prozent der gesamten öffentlichen Schulden der Republik ausmachen.

Strache: „Beleidigung der Bevölkerung“

Unterstützung für Kurz kam am Freitag von Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), der bei der Regierungsklausur in Mauerbach die Mindestsicherung in Wien als „Förderprogramm für tschetschenische Großfamilien“ bezeichnete: „Wir haben es mit zwei Modellen zu tun: Auf der einen Seite eine rot-grüne Stadtregierung, die offensiv für ein Förderungsprogramm für tschetschenische Großfamilien eintritt“, so Strache.

70 Prozent der Mindestsicherungsbezieher in Wien hätten Migrationshintergrund. Daran erkenne man, wofür die rot-grüne Stadtregierung stehe. Es gehe ihr nicht darum, die sozialen Probleme der eigenen Bürger zu lindern - „das ist eine Beleidigung gegenüber der Wiener Bevölkerung“, meinte Strache.

Die Wiener Stadtregierung, die die Mindestsicherungsreform nicht umsetzen will, stelle sich hin und sage: „Gesetze interessieren uns nicht, wie werden das verweigern, wir stellen uns außerhalb des Verfassungsbogens.“ Wer ein solches Verständnis habe, sollte zurücktreten, so Strache. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) „hat seine Stadträte nicht im Griff“. „Es kann nicht sein, dass weiterhin eine Zuwanderung ins Sozialsystem forciert wird.“

130.746 Mindestsicherungs-Bezieher im Vorjahr

Laut „Wiener Zeitung“ gibt es bei der Mindestsicherung in Wien einen Rückgang. Im Dezember erhielten laut Angaben aus dem Rathaus 130.746 Personen diese Sozialleistung. Das waren laut „Wiener Zeitung“ um 669 Personen weniger als vor einem Jahr. Dem Arbeitsmarkt stehen davon 44.713 Personen zur Verfügung - also nur 34 Prozent. Erwerbstätig sind von den 130.746 nur 7.910 Personen oder sechs Prozent.

Allerdings sind laut Sozialamt jene 60 Prozent, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, entweder zu alt, zu jung oder dauerhaft arbeitsunfähig. Rund drei bis 3,5 Prozent der Mindestsicherungs-Bezieher stammen aus der Russischen Föderation, Tschetschenen werden dabei nicht extra ausgewiesen.

Die Anzahl aller zugezogenen Bezieher der Mindestsicherung in Wien ist laut Rathaus um 53 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gesunken. Insgesamt seien um 3.422 Personen weniger zugezogen als vor einem Jahr. Etwas mehr als zwei Prozent der Wiener Bezieher im Dezember 2018 sind laut MA 40 in den vergangenen zwölf Monaten nach Wien gezogen. Das betreffe 3.020 Personen. Die Hälfte dieser Personen kam aus Niederösterreich (1.265), dann folgt Oberösterreich (420). Bundesweit hat aber Wien die weitaus meisten Bezieher. 2017 waren es 63 Prozent von rund 307.000.

Kanzleraussage als Internet-Hit

Die Wiener SPÖ-Landesparteisekretärin Barbara Novak bezeichnete die Angriffe von Kurz am Freitag als „letztklassig“: „Wir werden es nicht zulassen, dass der österreichische Bundeskanzler die österreichische Bundeshauptstadt permanent schlecht redet.“ Kurz agiere nicht wie ein Staatsmann, er schlage vielmehr „wild um sich“ und wolle damit von den „vielen Unzulänglichkeiten“ in seiner eigenen Partei ablenken - wobei der „BVT-Skandal“ oder das „Caritas-Bashing“ ins Treffen geführt wurden.

Unterdessen entwickelte sich - nach der gestrigen Aussage des Kanzlers zu spät aufstehenden Wienern - der Hashtag „#WienStehtAuf“ auf den diversen Social-Media-Kanälen zum absoluten Renner. Auf Twitter führte er am Freitag sogar die heimische Trend-Hitliste an. Zahlreiche Menschen teilten dem Kanzler mit, bereits früh ihr Tagwerk begonnen zu haben. Geteilt wurden aber auch wissenschaftliche Daten zum Alltag von Arbeitslosen. Die Stadt selbst beteiligte sich ebenfalls - etwa in dem sie Frühaufsteher wie Mitarbeiter der MA 48 porträtierte.

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