Begeisterung für „Krieg und Frieden“
Bei der Premiere ergänzten einander intensive Stimmungen und aufwühlende Szenen. Den roten Faden liefern aber einzelne Figuren, an deren Schicksal man schon bald lebhaft Anteil nimmt. „Die Protagonisten aus dem Kasino wird man dabei nicht mehr so leicht aus dem Kopf bekommen. Ein toller Theaterabend“, urteilte APA-Kritiker Wolfgang Huber-Lang.
„Der Reiz liegt darin, sich gemeinsam mit den Schauspielern hautnah auf diese sinnliche Reise durch Tolstois ‚Krieg und Frieden‘ zu begeben. Unsere Erzählweise ist natürlich eine theatralische, also ein spezieller Umgang mit epischem Text, Simultanität, Video, Livemusik, Handlungs- und Zeitsprüngen“, sagte Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann gegenüber wien.ORF.at.
Georg Soulek/Burgtheater
Auszeichnung der Probenarbeit
Seit April 2010 probte Hartmann mit einem 14 Schauspieler starken Burgtheater-Ensemble das Stück. Aber das nicht nur in Wien hinter verschlossener Türe. Hartmann: „Tatsächlich gab es interessante Gastspieleinladungen nach St. Petersburg, Prag und Hamburg, und diese haben wir ganz einfach in unseren fortlaufenden Probenprozess integriert.“ Die „öffentlichen Proben“ sorgten sowohl beim Publikum als auch bei Kritikern für Begeisterung. Beim letztjährigen Nestroy-Preis wurde die Inszenierung sogar für das Format der öffentlichen Proben mit dem Spezialpreis ausgezeichnet.
Dass das Stück zur Premiere tatsächlich fertig wird, bezweifelte Hartmann. „Was wird schon wirklich fertig? Kaum ein Regisseur wird sagen, jetzt zur Premiere ist die Inszenierung wirklich fertig. Viele würden noch gerne weiterarbeiten. Andererseits ist ja das Reizvolle am Theater, dass es in gewisser Weise immer die Veröffentlichung einer nie ganz abgeschlossenen Entwicklung ist.“
Hartmann: „Tanz auf dem Vulkan“
Der dem Theaterstück zugrunde liegende Roman von Leo Tolstoi ist zwischen 1806 und 1812 in der Epoche der Napoleonischen Kriege angesiedelt, an deren Ende der Sieg Russlands steht. Tolstoi erzählt anhand zweier Familiengeschichten den sich stetig steigernden Kontrast zwischen der dekadenten Gesellschaft des russischen Hochadels und den existenziellen und desillusionierenden Erfahrungen derselben Menschen im Kriegsirrsinn.
TV-Hinweis
In „kultur.montag“ wird eine Reportage zur Premiere gezeigt - mehr dazu in tv.ORF.at.
„Es ist ein Tanz auf dem Vulkan in Lackschuhen – bis dann doch plötzlich die Füße brennen“, so Hartmann. „Da sind wir auch heute näher dran, als wir uns wünschen. In den Roman sind zudem hochinteressante, geschichtsphilosophische Exkurse eingeflochten, die leider in ihrem Umfang schwer auf die Bühne zu bringen sind.“
Georg Soulek/Burgtheater
Vom Buch auf die Bühne
Aber Hartmann wagte dennoch die Umsetzung auf die Bühne. Ihn beeindruckten die Erzählkunst Tolstois, seine Genauigkeit bis ins letzte Detail, die Liebe und oft auch Ironie, mit der Tolstoi die Menschen beschreibe, während er sie durch entscheidende Kapitel der Weltgeschichte stolpern lasse. „Allein schon seine Hauptfigur Pierre ist faszinierend. Tolstoi war ja ebenfalls ein ewig Suchender, er fragt in dem Roman immer wieder nach den großen Zusammenhängen, die weit über das Kriegsgeschehen und über die begrenzte Macht und Erkenntnismöglichkeit der Menschen hinausreichen“, so Hartmann.
Die größte Herausforderung für Hartmann war es, die epische Erzählform von Tolstois 1.600 Seiten starker Buchvorlage auf die Bühne zu übertragen. Hartmann: „Wie kann eine Figur sich selbst in der Vergangenheitsform beschreiben und gleichzeitig im Präsens denken und die Texte so persönlich wie möglich an sich heranziehen? Was entsteht, wenn das gelingt? Diese Diskrepanz hat mich brennend interessiert und war für uns alle, abgesehen von dem umfangreichen Stoff, auch eine stetige Herausforderung.“
Georg Soulek/Burgtheater
Proben bis zur Premiere
Bereits vor Probenbeginn hatte Hartmann mit Produktionsdramaturgin Amely Joana Haag die thematischen Schwerpunkte gesetzt und bestimmt, welche Romanfiguren unbedingt auf der Bühne vorkommen sollen. Hartmann: „In der Probenzeit haben sich dann viele Schauspieler leidenschaftlich für bestimmte Texte ihrer Figuren starkgemacht, was wir so weit wie möglich ernst genommen haben. Wir haben gemeinsam einzelne Kapitel gelesen, verschiedene Versionen ausprobiert, Texte umverteilt, neu geordnet, gekürzt, gekürzt und noch mal gekürzt - nach und nach entstand so unsere Fassung.“
Georg Soulek/Burgtheater
Weitere Aufführungen in Planung
„Leider sind solche gewaltigen Inszenierungen, an denen so viele Schauspieler beteiligt sind, aus dispositionellen Gründen schwer anzusetzen, aber wir versuchen unser Bestes, den Abend so oft wie möglich anzubieten“, so Hartmann. Zusätzlich zu den vier Aufführungsterminen im Dezember soll es im Jänner 2012 noch einmal die Chance geben, das Stück im Kasino am Schwarzenbergplatz zu erleben.