Messerattacke: Täter und Opfer teilten sich Zelle

Der Prozess um einen Bauchstich in Wien-Favoriten hat in der Vorwoche mit einem Freispruch geendet. Nun gibt es ein wohl einzigartiges Nachspiel: Opfer und Täter waren in der Justizanstalt Josefstadt wochenlang in derselben Zelle.

Sechs Wochen lang waren die beiden Beteiligten an der Messerstecherei laut Ö1-Morgenjournal in ein und derselben Gefängniszelle - gemeinsam mit anderen Häftlingen. Der eine war wegen Mordversuchs am anderen angeklagt. Der andere wurde - unabhängig davon und etwas später - wegen eines kleineren Delikts eingesperrt. Dass er mit dem mutmaßlichen Täter zusammengesperrt war, habe ihn sehr gestört, sagte sein Opfervertreter Zlatko Petronijevic im Ö1-Morgenjournal, „weil er sich eben vor dem Täter gefürchtet hat - ganz einfach. Was ja auch verständlich ist.“

Anwalt befürchtet Beeinflussung

Vor rund einem Jahr war die Rede von einer lebensgefährlichen Messerattacke des 28-jährigen Marokkaners gegen den 24-Jährigen, der ebenfalls aus Nordafrika stammt - mehr dazu in „Camorra“-Messerstecher in Italien festgenommen (wien.ORF.at; 24.6.2014). Aber nicht nur die Gefahr einer neuerlichen gefährlichen Auseinandersetzung habe durch die gemeinsame Unterbringung bestanden, sagte Opfervertreter Petronijevic: „Das könnte zum Beispiel der Wahrheitsfindung schaden, sagen wir’s einmal so, indem sich Täter und Opfer gegenseitig zum Beispiel beeinflussen.“

Bestürzung in Justizanstalt

In der Justizanstalt Josefstadt zeigte man sich bestürzt. So etwas komme einmal in tausend Jahren vor - „und leider gerade bei uns“, sagte ein Sprecher. Man rechne einfach nicht damit, dass ein Opfer inhaftiert wird. Die Staatsanwaltschaft achte zwar darauf, dass Komplizen nicht in eine Zelle kommen und sich nicht absprechen können. Das Gefängniscomputersystem sei verknüpft mit Täterdaten - aber nicht mit den Opferdaten der Staatsanwaltschaft. Die Verantwortlichen der Justizanstalt wollten gegenüber dem Ö1-Morgenjournal keine Stellungnahme abgeben.

Außerdem habe sich das mutmaßliche Opfer nicht beschwert - weder bei seinem Verteidiger noch bei Ärzten und der Justizwache. Opfervertreter Petronijevic meinte: „Vielleicht hat es Verständigungsschwierigkeiten gegeben zwischen dem Opfer und anderen Beteiligten betreffend Verlegung. Ob es ein Verlegungsansuchen gegeben hat, kann ich nicht sagen.“

Der 24-Jährige, der laut Petronijevic Französisch spricht, behauptet aber, er habe sich sehr wohl beschwert. Dennoch nimmt sein Vertreter die Justiz teilweise in Schutz: „Es war sicher nichts Geplantes, das ist einfach passiert.“ Beim Prozess in der Vorwoche dürfte Beeinflussung keine Rolle gespielt haben. Das angebliche Opfer beschuldigte den Angeklagten vor Gericht nämlich sehr wohl. Der Prozess endete für den Angeklagten mit einem rechtskräftigen Freispruch - mehr dazu in Freispruch im Prozess nach Bauchstich (wien.ORF.at; 28.5.2015).

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