Dschihadistenprozess: IS-Sympathien bestritten

Am Straflandesgericht stehen seit Montag zehn mutmaßliche Wiener Dschihadisten vor Gericht. Sie bekennen sich großteils nicht schuldig. Der mutmaßliche Schlepper hatte höchstens mit einer Geldstrafe gerechnet, sagte er zum Richter.

In ihren Antworten auf den Vortrag der Staatsanwältin versicherten die Verteidiger mit einer Ausnahme, ihre Mandanten hätten mit dem „Islamischen Staat“ (IS) nichts am Hut gehabt. Die Ausnahme war Michael Schnarch, der einen 22-jährigen gebürtigen Tschetschenen vertritt. Dieser sei „schuldig im Sinne der Anklage“, erklärte Schnarch. Sein Mandant sei „einer der friedfertigsten Menschen, die ich kenne“, habe aber nach Syrien fahren, auf dem Gebiet des IS leben und allenfalls Hilfsdienste leisten wollen.

Auftakt zum Dschihadistenprozess

APA/Helmut Fohringer

Das Polizeiaufgebot vor dem Wiener Straflandesgericht wurde erhöht

Angeklagter auf der Suche nach einer Partnerin

Der Mann erklärte zu seinen Beweggründen, er habe „viele Gründe“ gehabt, um sich zum „Islamischen Staat“ (IS) zu begeben. „Ich wollte meine Religion leben“, gab er in seiner Einvernahme zu Protokoll. Zudem habe er „eine Partnerin finden, heiraten, eine Familie gründen“ wollen.

Der in Grosny geborene junge Mann - seine Mutter ist Tschetschenin, sein Vater stammt aus Dagestan - war im Alter von sechs Jahren nach Österreich gekommen. In der Altun-Alem-Moschee in Wien-Leopoldstadt entwickelte er sich zu einem streng gläubigen Moslem und dürfte sich unter dem Einfluss des dort tätigen Predigers Mirsad O. alias Ebu Tejma - dieser sitzt inzwischen wegen angeblich terroristischer Umtriebe zugunsten des IS in Graz in U-Haft - radikalisiert haben. Er habe die Moschee in der Venediger Au „wie eine Familie“ erlebt, sagte der 22-Jährige. Dort sei die Meinung vertreten worden, „dass man zum IS gehen soll, wenn man Moslem ist“.

Für 500 Euro nach Syrien

Um dorthin zu gelangen, habe er den vermeintlichen Schlepper der Gruppe kontaktiert. Er sei davon ausgegangen, dass ihn dieser an die türkisch-syrische Grenze bringen und dass ihn das 500 Euro kosten würde, erklärte der 22-Jährige.

Die übrigen Verteidiger gaben zwar Syrien als Reiseziel zu, stellten jedoch in Abrede, ihre Mandanten hätten sich dem IS anschließen wollen. Eine 19-jährige Angeklagte, die vor vier Monaten in der U-Haft eine Tochter zur Welt gebracht hat, und ihr nach islamischem Recht mit ihr verheirateter Mann erklärten etwa, sie hätten in einem islamischen Staat und einer solidarischen Gemeinschaft leben wollen.

Angeklagter mit psychischen Problemen

Das strenggläubige Paar - die Frau trägt einen Tschador - sei in Österreich Anfeindung und Ausgrenzung ausgesetzt gewesen, die 19-Jährige habe man sogar angespuckt. Man habe sich daher „anschauen wollen, ob man auf dem Gebiet des IS leben kann“, ohne terroristische Ziele mitzutragen, so der Verteidiger des 21-jährigen Ehemanns der Frau. Das allein sei nicht strafbar.

Unter den Angeklagten befindet sich ein inzwischen 18-Jähriger, der sich als Einziger nicht seit mittlerweile knapp zehn Monaten in U-Haft befindet. Der Bursch ist einem psychiatrischen Gutachten zufolge infolge am eigenen Leib erlebter kriegerischer Ereignisse in Tschetschenien traumatisiert.

Wegen familiärer und psychischer Probleme sei er unter den Einfluss von islamistischer Propaganda geraten und habe sich nach Syrien begeben wollen, wo ihm ein Job und eine Wohnung in Aussicht gestellt worden sei, sagte sein Rechtsvertreter. Der junge Mann, der äußerlich kaum älter als 14 aussieht, habe nicht kämpfen und niemanden verletzen wollen.

Ausreise zum „Urlaub machen“

Drei Angeklagte stellten Syrien als Reiseziel überhaupt in Abrede. Einer gab über seinen Verteidiger an, er habe sich in Bulgarien erholen wollen. Der Zweite wollte seiner Aussage zufolge in Griechenland Urlaub machen.

Ein 19 Jahre alter HTL-Schüler wiederum ließ über seine Anwältin Sonja Scheed ausrichten, er habe Bekannte in der Türkei besuchen wollen. Zwei Wochen nach seiner Festnahme hätte die Schule wieder begonnen, es sei daher absurd anzunehmen, er habe in Syrien kämpfen wollen, meinte Scheed unter Verweis auf die bis dahin erfolgreiche Schullaufbahn des Jugendlichen, die dieser unbedingt fortsetzen hätte wollen.

Widersprüchliche Aussagen des „Schleppers“

Der 34-jährige Fahrer, der laut Staatsanwaltschaft die übrigen neun Angeklagten zum IS bringen sollte, änderte seine bisherigen Angaben. Der gebürtige Türke hatte unmittelbar nach seiner Festnahme ein Geständnis abgelegt.

Seine Verteidigerin Ulla Deym modifizierte das insofern, als sie erklärte, der Tatbestand sei in objektiver Hinsicht nicht erfüllt. Ihr Mandant habe über Internet-Plattformen und durch Mundpropaganda Chauffeur-Dienste in die Türkei angeboten. Er sei zu keinem Zeitpunkt Mitglied der IS gewesen. Bei seiner Festnahme habe er allenfalls mit einer Geldstrafe gerechnet: „Ich habe gedacht, ich komme mit einem blauen Auge davon. Es ist mir ums Geld gegangen“, betonte der Angeklagte. Er habe die Ideologie der Dschihadisten „auch gut gefunden“, räumte er ein, „aber Geld ist mir das Wichtigste“. Von den Gräueltaten des IS habe er erst im Gefängnis erfahren.

Seine nunmehrige Behauptung, er habe nicht geglaubt, dass die von ihm transportierten Personen in den Krieg ziehen würden, hinterfragte das Gericht, indem es auf die Angaben des 34-Jährigen unmittelbar nach seiner Festnahme verwies. Damals hatte der Mann noch wörtlich zu Protokoll gegeben: „Sie hatten die Absicht, in den bewaffneten Dschihad zu ziehen.“

Zehn Angeklagte zwischen 17 und 27 Jahren

Die Angeklagten wurden im August des Vorjahres festgenommen, als sie Österreich verlassen wollten. Laut Anklage wollten sie sich dem IS anschließen - mehr dazu in Terror: Anklage gegen zehn Verdächtige. Sie stehen wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Sinne des § 278b Absatz 2 StGB vor Gericht. Dafür sieht der Gesetzgeber einen Strafrahmen zwischen einem und zehn Jahren Haft vor.

Die Ermittlungen waren ins Rollen gekommen, nachdem sich ein Hinweisgeber im Juli an das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) gewandt und offenbart hatte, dass der aus der Türkei stammende Mann regelmäßig Mitglieder der islamistischen Szene nach Syrien bringe, wo sich diese dem Dschihad anschließen würden. Daraufhin wurden umfangreiche Ermittlungsschritte mit Observationen und Telefonüberwachungen eingeleitet. Am 18. August klickten die Handschellen, als der 34-Jährige mit den acht Männern und der zu diesem Zeitpunkt schwangeren Frau über die Grenzübergänge Nickelsdorf bzw. Thörl-Maglern Österreich verlassen wollte.

Auftakt Islamistenprozess

APA/Helmut Fohringer

Fotografier- und Filmverbot im Gerichtssaal

Für den Prozess wurden die Sicherheitsvorkehrungen im Landesgericht verstärkt. So wurde zusätzlich zu den bestehenden im Eingangsbereich befindlichen Schleusen direkt vor dem Großen Schwurgerichtssaal eine weitere, mobile Sicherheitsschleuse installiert. Vor dem Großen Schwurgerichtssaal standen am Montagvormittag zahlreiche Polizisten mit Sturmgewehren Wache.

Im Saal, wo absolutes Film- und Fotografierverbot herrscht, saßen auch maskierte Justizwachebamte, um Richter, Zeugen und Schöffen vor möglichen Angriffen zu schützen. Medienvertreter und interessierte Zuhörer werden nur in den Saal gelassen, wenn sie sich mit einem gültigen Ausweis legitimieren können. Die Verhandlung ist vorerst auf fünf Tage anberaumt. Am 16. Juni soll es die Urteile geben.

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