Lebenslang nach Mord an Schwester

Zu einer lebenslangen Haftstrafe ist am Straflandesgericht jener Afghane verurteilt worden, der im Vorjahr seine Schwester erstochen haben soll. Zuvor hatte der Mann gestanden und „kulturelle Gründe“ als Motiv genannt.

Der Schuldspruch der Geschworenen wegen Mordes fiel einstimmig aus. „Mit dieser Tat haben Sie sich außerhalb der Gesellschaft gestellt. Dafür kann es nur die Höchststrafe geben“, stellte Richter Stefan Apostol in der Urteilsbegründung fest. Zwar liege mit der geständigen Verantwortung ein nicht unwesentlicher Milderungsgrund vor. Die besondere Brutalität und die besonders verwerfliche Motivlage seien bei der Strafbemessung aber zu berücksichtigen gewesen.

Das Motiv wurzle „in einem verschrobenen Ehrgefühl, das mit den Wertvorstellungen der mitteleuropäischen Gesellschaft nicht in Einklang zu bringen ist“, sagte Apostol. Er betonte unter Verweis auf das nach Dafürhalten des Gerichts schlüssige und nachvollziehbare Gutachten des forensischen Anthropologen Fabian Kanz, der Angeklagte sei zum Tatzeitpunkt jedenfalls über 21 Jahre alt und damit als Erwachsener zu betrachten gewesen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Verteidiger Nikolaus Rast meldete Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde an.

Lebenslang nach Mord an Schwester

Zu einer lebenslangen Haftstrafe ist jener Afghane verurteilt worden, der im Vorjahr seine Schwester erstochen haben soll.

Motiv „Wegen der Kultur“

Der Angeklagte hatte zuvor im Prozess den Mord an seiner Schwester gestanden: „Ich gestehe“, sagte er. Weitere Fragen wollte er nicht beantworten: „Ich möchte um Verzeihung bitten. Ich habe eine Straftat begangen. Ich möchte nicht mehr weiter sprechen.“ Die Straftat habe er „wegen der Kultur begangen“, fügte er noch hinzu.

Rast betonte in seinem Plädoyer, was passiert sei, sei nicht zu entschuldigen. Nach seiner Flucht habe der Mann „gewisse Sitten und Riten nicht abgelegt“. Er und seine Familie hätten sich „nicht nach dem Land gerichtet, in dem er lebt“.

Alter des Angeklagten zunächst im Mittelpunkt

Zuvor war in der Verhandlung das Alter des Angeklagten im Mittelpunkt gestanden. Er selbst sagte, er sei 19. „Dieses Alter wurde mir von meinen Eltern gesagt. Es wurde hier auch angenommen“, so der Mann. Seinen Angaben zufolge lebt er seit fünf Jahren in Österreich. Die Staatsanwaltschaft unterstellte ihm einen „Ehrenmord“. Die jüngere Schwester des Mannes habe „nach Ansicht des Angeklagten die Familienehre befleckt“, hieß es in der Anklageschrift.

Rast akzeptierte ein Gutachten, mit dem das Alter festgestellt wurde, auch im Prozess nicht. Sein Mandant sei am 1. Jänner 1999 geboren, daher sei in diesem Fall das für junge Erwachsene vorgesehene Jugendstrafrecht anzuwenden, das für Mord maximal 15 Jahre Haft vorsieht, argumentierte der Anwalt, nachdem die Geschworenen ihren Eid abgelegt hatten. Rast sah daher ein Jugendgeschworenengericht zuständig und beantragte den Abbruch der Verhandlung. Sein Antrag wurde abgelehnt.

Denn das Gericht zog das Gutachten des Sachverständigen für forensische Anthropologie, Fabian Kanz, vor. „Der Beschuldigte war am Vorfallstag zumindest 21 Jahre und drei Monate alt“, stellte dieser fest. Er habe sich „sehr wahrscheinlich bereits im 22. Lebensjahr befunden“, es sei „äußerst unwahrscheinlich, dass er jünger war“. Das festgestellte Alter sei eine „Mindestschwelle“. Es sei denkbar, dass der Angeklagte um bis zu vier Jahre älter als von der Staatsanwaltschaft angenommen sei. Diese hat laut Anklage das Geburtsdatum auf „spätestens 29. Mai 1996“ festgelegt - mehr dazu in Schwester ermordet: Angeklagter über 21.

Tod durch zahlreiche Stichverletzungen

Laut Anklage stach der Mann am 18. September 2017 mit einem Kampfmesser mit einer Klingenlänge von etwa 20 Zentimetern zu. Er brachte der Schwester - sie hatte sich als 14 ausgegeben, war laut Obduktionsgutachten zum Zeitpunkt ihres Todes aber schon 17 oder 18 Jahre alt - bis zu acht Zentimeter tiefe Wunden bei. Das Fazit des Gerichtsmediziners nach der Aufzählung einer Liste von Verletzungen war eindeutig: Die Frau hatte nicht die geringste Überlebenschance.

Auch durch den Gerichtsmediziner Christian Reiter erfolgte eine Korrektur des Alters: „Das ist kein 14-jähriges Mäderl gewesen“, es habe sich „um eine ausgewachsene junge Frau gehandelt“. Laut Anklage hatte der Bruder seiner Schwester auf dem Weg zur Schule aufgelauert und ihr mit einem Kampfmesser mindestens 25 Stichverletzungen zugefügt. Er habe sie vorsätzlich getötet, weil sie nicht zur Familie zurückkehren wollte, heißt es in der Anklageschrift. Zur Tat soll es gekommen sein, weil „nach Ansicht des Angeklagten die Familienehre befleckt“ worden sei.

Tatort in der Puchsbaumgasse

APA/Herbert Neubauer

Der Bruder hat laut Anklage seiner Schwester auf dem Weg zur Schule in Favoriten aufgelauert und sie ermordet

Frau hatte Angst vor Familie

Das Mädchen war erstmals im Juli 2017 in ein Krisenzentrum geflüchtet, nachdem es zu Hause wiederholt zu Handgreiflichkeiten gekommen sein soll. Ihr Vater und der ältere Bruder sollen sie immer wieder geschlagen haben. Die Schülerin dürfte sich gegen die elterlichen Vorgaben - sie durfte ohne Begleitung nicht außer Haus und musste Kopftuch tragen - aufgelehnt haben.

Sie ließ sich in weiterer Folge zunächst zu einer Rückkehr überreden, ehe sie sich vier Tage vor ihrem Tod erneut in ein Krisenzentrum begab. Den Betreuern erzählte sie, sie habe Angst vor ihrer Familie. Ihr Vater wolle mit ihr nach Afghanistan fliegen, um sie „gegen ihren Willen zu verheiraten und sie dort alleine zurücklassen“ (Anklageschrift). Als sie sich widersetzte, soll der Vater das Mädchen in der Wohnung gefesselt und eingesperrt haben.

Der Tochter gelang es, sich aus der Wohnung zu befreien. Am 18. September soll der ältere Bruder sie dann in der U-Bahn-Station Reumannplatz abgepasst haben. Seinen Angaben zufolge wollte er sie überreden, wieder nach Hause zu kommen. Das habe sie abgelehnt. In einer Wohnhausanlage in der Puchsbaumgasse kam es dann zu den tödlichen Messerstichen.

Links:

Zwangsheirat: „Nicht nur kulturelles Problem“
-Mord an Afghanin: Kein Verfahren gegen Vater (wien.ORF.at; 5.1.2018)
- Mordopfer hatte Vater und Bruder angezeigt (wien.ORF.at; 6.10.2017)
- Erstochene 14-Jährige wohnte in Krisenzentrum (wien.ORF.at; 18.9.2017)