Missbrauch: Auch Todesfälle?

Im früheren Heim am Wilhelminenberg soll es auch zu Todesfällen gekommen sein. Die Staatsanwaltschaft stellte jedenfalls nach einer Anzeige der Stadt Wien 2010 ein Verfahren ein. Ob es sich dabei um den genannten Fall handelt, ist noch unklar.

Rechtsanwalt Johannes Öhlböck berichtete am Dienstag von den Todesfällen bei einer Pressekonferenz mit zahlreichen Medienvertretern aus dem In- und Ausland. Laut Öhlböck soll eine Frau, die von 1948 bis 1953 im Schloss Wilhelminenberg untergebracht war, die Schilderungen seiner beiden Mandantinnen „voll bestätigt“ und darüber hinaus von Todesfällen berichtet haben. „Kinder sind zu Tode gekommen. Das Opfer hat das sehr authentisch geschildert. Details kann ich dazu heute nicht preisgeben, weil sie noch Gegenstand von Untersuchungen sind“, sagte der Anwalt.

Anwalt Johannes Öhlböck über mögliche Todesfälle

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Angeblich gibt es Zeugen

In einem Fall soll die mittlerweile über 70 Jahre alte Frau unmittelbare Zeugin eines Vorfalls gewesen sein und sowohl den Namen des Opfers als auch den des Täters bekanntgegeben haben, präzisierte Öhlböck. Der Tod des betreffenden Kindes sei „unmittelbare Folge einer Misshandlung“ gewesen. In einem weiteren Fall habe die Frau von einer „Gruppe von Todesfällen“ berichtet, diese habe sie aber nicht mit eigenen Augen wahrgenommen.

Laut Anwalt sind die Angaben „absolut glaubwürdig“: „Die Geschichte kann man meiner Einschätzung nach nicht erfinden.“ Die Frau soll auch selbst Opfer von Gewalt geworden und mittlerweile von der Gemeinde Wien mit 35.000 Euro entschädigt worden sein.

Schloss Wilhelminenberg

APA/APA/HERBERT PFARRHOFER

Nach den Misshandlungs- und Missbrauchsvorwürfen ist nun auch von Todesfällen die Rede

Kind im Klassenzimmer zu Tode geprügelt?

Laut „Kurier“ soll bei dem Fall ein Kind in einer Schulklasse zu Tode geprügelt worden sein. Dies berichtet die Tageszeitung auf ihrer Website unter Berufung auf die Zeugin: „Mein Gott, wenn jemand atmet.. dann sieht man ja, wie sich der Brustkorb bewegt... da war nix“, zitierte der „Kurier“ die Frau. Die Lehrerin soll jemanden gerufen haben, um die Wiener Rettung zu verständigen. Diese soll das Mädchen dann im Klassenzimmer zugedeckt und abtransportiert haben.

Was die angeblichen Serienvergewaltigungen in dem 1977 aufgelassenen Heim betrifft, belastet die Frau auch angeblich dort tätige männliche Erzieher. Diese wären nachts in die Schlafsäle eingedrungen und hätten die Mädchen vergewaltigt, so der „Kurier“.

Archivvideo aus Kinderheim am Wilhelminenberg

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Richter als Leiter der neuen Kommission abgelehnt

Die Stadt Wien spiele eine „ambivalente Rolle“, kritisierte jedenfalls Öhlböck. Einerseits gebe es die Bereitschaft, Schadenersatz auch bei verjährten Fällen zu zahlen. Andererseits sei die Aufarbeitung von Misshandlungs- und Missbrauchsvorwürfen „nicht positiv“. Dabei übte er Kritik an der 2010 eingerichteten Historikerkommission, die Gewalt in städtischen Kinderheimen aufklären soll: „Was diese Kommission getan hat, weiß ich nicht. Ich weiß nur, besonders tief kann diese Kommission nicht gegraben haben.“

Öhlböck forderte zudem, die nun vom Wiener Jugendamt angekündigte externe Kommission „Schloss Wilhelminenberg“ müsse eine neue Qualität aufweisen. Diese sei mit Proponenten aller im Wiener Landtag und im Nationalrat vertretenen Parteien und unabhängigen Experten zu besetzen. An der Spitze dürfe nicht ein von der Stadt Wien ausgesuchter pensionierter Richter oder Staatsanwalt stehen, sondern ein von allen vertretenen Parteien nominierter Vorsitzender.

Stadtrat Oxonitsch will diesen Vorschlag nicht aufnehmen. „Wir brauchen ganz rasch einen entsprechenden Vorschlag für die Kommission, ich werde einen unterbreiten und bin überzeugt davon, dass er breite Akzeptanz finden kann. Ich hoffe, bis Ende der Woche ist ein Vorschlag gefunden“, so Oxonitsch.

„Schonungslose“ Aufklärung gefordert

Der Anwalt verlangte eine „schonungslose Aufklärung der Sache“. Er zeigte sich überzeugt, dass in den Wiener Erziehungsheimen im Lauf der Jahrzehnte hunderte, wenn nicht tausende Zöglinge misshandelt und missbraucht wurden: „Ich gehe von einer vierstelligen Dunkelziffer aus.“ Das, was die Opfer berichten, sei „unglaublich glaubwürdig und absolut authentisch. Eine Geschichte dieser Art kann man nicht erfinden. Das ist unmöglich.“

Dass zuletzt ehemalige Erzieherinnen die Schilderungen der im Schluss Wilheminenberg untergebracht gewesenen Schwestern in Zweifel zogen, echauffierte Öhlböck. Die Behauptung der Erzieherinnen, es habe dort keine männlichen Aufsichtspersonen gegeben, sei „schlicht und ergreifend falsch“.

Verwirrung über Entschädigungszahlung

Verwirrung gab es unterdessen rund um den Erhalt der Entschädigungszahlungen an die beiden Schwestern, die die Causa ins Rollen gebracht haben: Eine der beiden habe ihr Geld bereits bekommen, die Zahlung an die andere sei „im Laufen“, so die Geschäftsführerin des „Weißen Rings“, Marianne Gammer. Während die Stadt nämlich behauptete, dass beide Schwestern jeweils 35.000 Euro erhalten hätten, versicherte deren Rechtsvertreter, dass eine der beiden nichts bekommen habe.

Der Grund für die zeitlichen Abstände der Auszahlungen: Man habe warten müssen, bis das Budget aufgestockt werde, erklärte Gammer. Im September wurden für 2011 Mittel in der Höhe von 3,8 Mio. Euro beschlossen. Im Vorjahr waren von der Stadt 2 Mio. Euro bereitgestellt worden.

„Wir machen in einzelnen Fällen, wenn dringende Gründe dafür vorliegen, raschere Auszahlungen“, erklärte Gammer die Vorgehensweise. Dafür sei eine konkrete Anfrage notwendig. Jenes mutmaßliches Opfer, das noch kein Geld bekommen habe, habe im Gegensatz zur Schwester keine solche Anfrage gestellt. „Wir haben eine der beiden vorgezogen“, so Gammer.

Opfer brechen ihr Schweigen

Nach den ersten Berichten über Misshandlungen im 1977 geschlossenen Erziehungsheim im Schloss Wilhelminenberg meldeten sich immer mehr Betroffene. In den schockierenden Aussagen berichteten sie, dass es Schläge und Vergewaltigungen gegeben habe. „Es wurde uns eingetrichtert: ‚Ihr seid Lügner, ihr seid Heimkinder, ihr seid Zigeuner, euch glaubt man nicht, ihr seid der letzte Dreck‘“, so ein Opfer gegenüber der ORF-Sendung „Thema“ am Montag - mehr dazu in wien.ORF.at.

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