Djerassi spürt Schatten seines Lebens nach

Wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag legt der Chemiker und Schriftsteller Carl Djerassi mit „Der Schattensammler“ seine „allerletzte Autobiografie“ vor. Dabei konzentriert er sich darauf, „die Schatten in seinem Leben aufzuspüren.“

„Das ist keine fröhliche Autobiografie“ hatte Djerassi bereits im Vorjahr angekündigt. Tatsächlich handelt es sich um ein „Buch, in dem sich ein alternder Mann darauf konzentriert, die Schatten in seinem Leben aufzuspüren“, wie er nun schreibt - und dies in allen Facetten seines bewegten Lebens.

Djerassi verzichtet in seiner „egozentrischen Selbstbeschreibung“ auf einen chronologischen Ablauf: Statt mit der Geburt am 29. Oktober 1923 in Wien beginnt das Buch mit seinem Tod am 28. Oktober 2023. Im ersten Kapitel „Freitod“ schreibt er selbst seinen Nachruf in Form von Agenturmeldungen über seinen fiktiven Selbstmord einen Tag vor seinem 100. Geburtstag. Er hege keine Selbstmordabsichten, beteuert er, doch im Buch wird klar, dass ihn das Thema Zeit seines Lebens begleitet.

Carl Djerassi

APA/Hans Klaus Techt

Djerassi wurde als „Mutter der Pille“ bekannt

Die umfangreichsten Kapitel widmet Djerassi der Pille und seiner „Heimat(losigkeit)“. Der im Alter von 14 Jahren vor den Nationalsozialisten geflohene Chemiker schuf 1951 mit der erstmaligen Synthetisierung des Sexualhormons Norethisteron die Grundlage des ersten oralen Kontrazeptivums und wurde damit weltweit bekannt. Dennoch bemüht sich der emeritierte Professor für Chemie an der Stanford University, seine Rolle und jene seines damaligen Arbeitgebers, des mexikanischen Pharmaunternehmens „Syntex“, im Kapitel über die Geschichte der Entwicklung der Pille gebührend hervorzustreichen und begründet dies u.a. mit seinem „zugegebenermaßen starken Konkurrenzdenken“.

„Völlig neues Leben“ in letzten 20 Jahren

Warum er rund 20 Jahre nach seiner letzten Autobiografie („Die Mutter der Pille“) nun neuerlich sein Leben Revue passieren lässt, begründet Djerassi u.a. damit, dass er seither „in mehrfacher Hinsicht ein völlig neues Leben lebe: als Schriftsteller und Bühnenautor statt als Naturwissenschaftler“. Und weil Djerassi überzeugt ist, dass sich Leser, die sich bei Google, Facebook oder auch Wikipedia über ihn informieren wollen, die wirklich entscheidenden Aspekte seines Lebens dort nicht entdecken, weil sich diese in den zahlreichen Charakteren seiner Kurzgeschichten, Romane und Theaterstücke finden würden, zitiert er oft und teilweise seitenlang aus diesen Werken und seinen früheren Autobiografien.

„Der Schattensammler - Die allerletzte Autobiografie“ von Carl Djerassi, Haymon Verlag, 480 Seiten, 24,90 Euro

Djerassi selbst räumt ein, sich bemüht zu haben, seine Autobiografie nicht zu einem „wahren Sturzbach von Klagen“ werden zu lassen - was ihm streckenweise nicht ganz gelungen ist - möglicherweise weil er „erblich vorbelastet ist: der angeborene Fehler so vieler Wiener – Genörgel ad libitum und ad nauseam“. Dennoch gibt das Buch spannende Einblicke in ein bewegtes Leben eines Wissenschafters, Universitätsprofessors, Kunstliebhabers und -sammlers, Schriftstellers, dessen Erfolge, aber auch dessen persönliche Katastrophen.