Große Schwarzfahrer-Community in Wien

„Die Fahrscheine, bitte!“ Über 138.000 Fahrgäste wurden im Vorjahr von den Wiener Linien beim Schwarzfahren ertappt. Die Dunkelziffer ist hoch. Im Internet wird deutlich, wie groß und vernetzt die „Schwarzfahrer-Community“ in Wien ist.

„Ich bin Schwarzfahrer, weil ich es will und kann“, so Michael gegenüber wien.ORF.at. Unter dem Pseudonym „The Schwarzfahrer“ fuhr er mit seinen Freunden innerhalb von fünfeinhalb Stunden alle 104 Wiener U-Bahnstationen ab – jedoch ohne Fahrschein und ohne dabei erwischt zu werden. Seine Fangemeinde auf Facebook jubelte.

Die Gruppe filmte den „Schwarzfahrer-Rekord“ mit, stellte das Beweismaterial online und blamierte damit die Kontrollorgane der Wiener Linien. Auch sonst seien die Männer ohne Fahrschein in Wien unterwegs. Moralische Bedenken hat „The Schwarzfahrer“ in „einer Zeit, in der Steuergelder hirnlos verschleudert werden“, nicht.

„Schwarzfahren ist kein Kavaliersdelikt“

„Einige dieser Leute haben uns schon mehrfach 103 Euro für eine Fahrt bezahlt statt einen Euro pro Tag, was unser Angebot mit der Jahreskarte ist“, kommentierte Michael Unger die Betrugsaktion. Der Wiener-Linien-Sprecher verwies auch darauf, dass Schwarzfahren kein Kavaliersdelikt sei und die Zahl der Schwarzfahrer in Wien zurückgehe - mehr dazu in 138.000 „Öffi“-Nutzer ohne Ticket erwischt (wien.ORF.at; 5.2.2014).

Ausreden von Schwarzfahrern:

  • „Ich bin gerade knapp bei Kasse, aber nächste Woche zahl’ ich dafür doppelt.“
  • „Das versteh’ ich nicht. In meinem Horoskop steht, heute ist mein Glückstag.“
  • „Ich habe geglaubt, der Sonntag ist gratis.“
  • „Mein Bruder hat den Fahrschein - aber der ist im anderen Waggon.“
  • „Der Hund hat meinen Fahrschein gefressen.“
  • „Mir hat die Zugluft den Fahrschein aus der Hand gerissen.“
  • „Ich wollte nur den Wagen besichtigen.“
  • „Schlimme Zeiten, wenn sich nicht einmal mehr die Kontrollore eigene Fahrscheine leisten können.“
  • „Was verdienen Sie, wollen Sie nicht in meiner Firma arbeiten?“

Tausende „Schwarzfahrer-Fans“ in Wien

„Schwarzfahren wird nicht als großes Vergehen wahrgenommen, da die Wiener Linien als Großbetrieb ein anonymes Gegenüber ohne Gesicht sind und die Schädigung gegenüber den einzelnen, zahlenden Kunden als gering gesehen wird“, so Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler gegenüber wien.ORF.at. Das zeigt sich auch bei den boomenden Angeboten im Internet, bei welchen sich Schwarzfahrer gegenseitig vor Kontrollen warnen. Facebookseiten wie „Schwarzkappler-Warnung Wien“ oder „Schwarzkappler.info“ zählen jeweils über 10.000 Fans. Im Vergleich: Die Facebookseite der Wiener Linien hat 44.850 Fans.

Warum Schwarzfahren von manchen noch immer als „Volkssport“ gesehen wird, liegt laut Ingrid Wahl von der Wiener Ferdinand Porsche FernFH am fehlenden Vertrauen gegenüber dem Verkehrsbetrieb: „Werden die Kontrollen und Strafen der Betreiber des öffentlichen Verkehrs als legitim wahrgenommen, wird ihnen vertraut und die Kooperation erfolgt freiwillig, ohne dass lange darüber nachgedacht wird. Fehlt dieses Vertrauen und soll die Ehrlichkeit durch übermäßige Kontrollen und Strafen erzwungen werden, wird vermehrt versucht, nicht kooperieren zu müssen, indem Schlupflöcher im System gesucht werden.“

Ticketschleusen sind kein Thema

„In Wien hat man es ja – bis auf die massiv angestiegenen Kontrollen – noch leichter als in anderen Städten, wie zum Beispiel Barcelona, London, Stockholm oder New York“, so "The Schwarzfahrer. „Aber dort geht es natürlich auch – davon hab ich mich schon mehrmals selber überzeugt. Dreistigkeit setzt sich durch.“

Damit man erst gar nicht ohne Fahrschein in die U-Bahn kommt, haben Städte wie London und New York ein Schleusensystem in ihrem U-Bahn-Netz. Wien hat sich beim Bau der U-Bahn für ein offenes System entschieden und möchte auch dabei bleiben. Denn ein nachträglicher Einbau von Schleusen sei laut Wiener Linien sehr teuer. Unger: „Außerdem gibt es in anderen Städten bei solchen Barrieren meist auch eigenes Personal zur Überwachung und Wartung. Das heißt der Mehraufwand wäre enorm, der Nutzen bei aktuell 2,4 Prozent Schwarzfahrerquote sehr überschaubar.“

Festhalten von Schwarzfahrern erlaubt

„Ich habe nicht gezwickt, um den Entwerter zu schonen“ oder „Ich wollte beim Schaffner bezahlen, aber es ist ja keiner da“. Ausreden wie diese hören die Kontrollore der Wiener Linien, wenn sie Schwarzfahrer zur Rede stellen. Unger: „Die meisten zahlen die Strafe vor Ort beziehungsweise nehmen die Strafe gelassen. Der schnelle Kauf eines Handytickets hilft auch nicht wirklich, weil man die Bestätigungs-SMS schon beim Einstieg braucht und nicht erst drei Sekunden vor der Kontrolle. Ein kleiner Teil versucht natürlich auch, wegzulaufen.“

Buchhinweis:

Gerald Hubmayr: Schwarzfahren. Die Kunst des tariffreien Netzgleitens, 192 Seiten, Böhlau Wien, 23,80 Euro

In diesem Fall darf der Kontrollor den Schwarzfahrer kurzfristig festhalten. „Gemäß Rechtsprechung des OGH ist bei Verstößen gegen den Beförderungsvertrag, insbesondere bei Schwarzfahren, im Falle, dass eine Identitätsfeststellung nicht möglich ist oder verweigert wird, als letztes Mittel die Anhaltung gestattet, solange bis die Polizei eintrifft“, so Unger.

Immer wieder kommt es neben verbalen auch zu tätlichen Angriffen gegenüber den Kontrolloren. „Meist handelt es sich um Rempeln oder Stoßen, um einer Kontrolle zu entgehen“, so Unger. Im Vorjahr schlug ein Schwarzfahrer sogar zu - mehr dazu in Schwarzfahrer bricht Kontrollor Nase (wien.ORF.at; 18.04.2013).

Florian Kobler; wien.ORF.at

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