Weniger Obduktionen für Gerichtsmedizin

Die Wiener Gerichtsmedizin gilt als die älteste gerichtsmedizinische Abteilung der Welt. Mittlerweile sieht es für ihr Hauptgeschäft aber schlecht aus: Die Zahl der Obduktionen sinkt weiter. Laut Experten könnten sogar Mordfälle unentdeckt bleiben.

Vor 30 Jahren wurde in Wien noch knapp die Hälfte aller Leichen geöffnet. 2004 war es rund ein Drittel. Im Jahr 2012 wurden nur noch 17,6 Prozent aller Todesfälle in der Bundeshauptstadt obduziert. Gerichtsmediziner schlagen wegen dieser Entwicklung Alarm. Ungenaue Statistiken zu Todesursachen und eine Schönung der Anzahl der Drogentoten könnten die Folge sein. Möglicherweise bleiben laut Experten sogar Mörder verschont, weil der vermeintliche Unfall oder natürliche Tod nicht genau überprüft wird.

Missstände vor zwölf Jahren

Lange Jahre genoss die Wiener Gerichtsmedizin weltweit hohe Anerkennung. Dann kam es 2002 zu einem unrühmlichen Kapitel in ihrer Geschichte: Rechnungshof-Prüfer entdeckten miserable hygienische Zustände. Sachverständige sollen zudem private Gutachten auf Institutskosten erstellt haben.

Dann strich die Stadt Wien auch noch das Budget für sanitätsbehördliche Obduktionen, jene ungeklärten Todesfälle abseits der Kriminalistik. Anfang 2008 wurde die gerichtsmedizinische Abteilung der MedUni Wien schließlich zugesperrt und für rund eine Million Euro saniert.

Pathologen in Spitälern am Zug

Seit Juli 2010 wird in der Sensengasse wieder obduziert - nur eben viel weniger. Von 2.000 Leichenöffnungen jährlich vor der Schließung werden jetzt nur mehr rund 500 staatsanwaltschaftlich angeordnete Obduktionen pro Jahr durchgeführt. Den Rest müssen seit 2007 Pathologen in Spitälern des Krankenanstaltenverbunds erledigen.

Der Präsident der Gesellschaft für Gerichtsmedizin, Walter Rabl, sieht darin eine Gefahr: „Wenn der Pathologe den plötzlichen Tod untersuchen soll, wo ein Trauma im Hintergrund steht, eine Vergiftung, eine ärztliche Fehlhandlung, dann ist er fachlich überfordert. Solche Dinge würde ich als Pathologe von vornherein ablehnen.“

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Einen TV-Beitrag dazu sehen Sie in Wien heute on Demand.

Ärztekammer: „Resignation der Gerichtsmedizin“

Zukünftig sehen die Ärzte auch aufgrund der nicht vorhandenen Ausbildungsplätze düstere Zeiten auf die gerichtsmedizinische Abteilung in Wien zukommen - mehr dazu in Ärztekammer fürchtet um Gerichtsmedizin . Hermann Leitner, Vizepräsident der Wiener Ärztekammer: „Meines Wissens ist bekannt, dass hier versucht wurde, Gespräche zu führen, aber hier ist offensichtlich kein Fortschritt zu erzielen. Ich sehe das in gewissem Maße als Resignation der Gerichtsmedizin vor der Situation.“

Eine tragische Geschichte, resümiert auch der Präsident der Gesellschaft für Gerichtsmedizin. „Wien ist das Institut mit der höchsten Tradition, die Wiege der Gerichtsmedizin war eigentlich Österreich. Und jetzt schaut es mit der Wiege sehr schlecht aus.“

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