Massive Kritik an Zustand der Gerichtsmedizin

Ein aktueller Bericht zur Gerichtsmedizin in Österreich zeigt mangelnde Ausbildung, fehlende Berufsperspektiven und Finanzmängel. Österreich sei die Wiege und stehe fast an der „Bahre“ der Gerichtsmedizin, hieß es. Die MedUni widerspricht zum Teil.

„Österreich ist die Wiege der Gerichtsmedizin. Wien ist das älteste Institut. Von Österreich aus ist die Welt gerichtsmedizinisch ‚besiedelt‘ worden. Wenn wir nicht aufpassen, wird Österreich zur ‚Bahre‘ der Gerichtsmedizin werden“, so Walter Rabl, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtsmedizin bei der Präsentation des Gutachtens des Österreichischen Wissenschaftsrats.

Mit der Analyse von vorhandenen Daten und der Befragung zahlreicher Experten hat der Wissenschaftsrat unter dem Vorstandsvorsitzenden des Universitätsklinikums Heidelberg, Guido Adler, seinen Bericht untermauert. Gerichtsmedizinische Institute gibt es an der MedUni Innsbruck, in Graz und in Wien, eine Einrichtung auch in Salzburg (in Zukunft in Kombination mit der MedUni Linz).

Pathologisches Institut im SMZ Ost

APA/Helmut Fohringer

In Wien ist die Zahl der gerichtsmedizinischen Untersuchungen pro Jahr von ehemals rund 3.000 auf nur noch 400 gesunken

Zu wenig Ausbildungsstellen

„In den letzten sechs Jahren sind nur vier Fachärzte für Gerichtsmedizin ausgebildet worden. Es gibt augenblicklich in Österreich nur sechs Ausbildungsstellen. Das ist einfach zu wenig“, so Adler.

„In Österreich gibt es derzeit 30 Fachärzte als Sachverständige (Gerichtsmedizin; Anm.), 18 an den Universitäten. Das Durchschnittsalter beträgt 53 Jahre. Pro Jahr müsste man vier bis fünf Gerichtsmediziner ausbilden“, meinte Rabl. Das dauert extrem lang: sechs Jahre Facharztausbildung und weitere fünf Jahre bis zu Möglichkeit, als Sachverständiger zu arbeiten.

Gerichtsmedizin als „ungeliebtes Kind“

Die Anerkennung des Facharzttitels, Berufsperspektiven und die Durchführung möglichst aller Obduktionen (sanitätsbehördliche und gerichtliche) an den Instituten sei genauso zu gewährleisten wie eine ausreichende Abgeltung dieser Leistungen durch Bund und Bundesländer zur Finanzierung der Einrichtungen. Mit einem Grundgehalt von 2.400 Euro brutto für einen Gerichtsmediziner an einer universitären Einrichtung sei kein Personal zu gewinnen, hieß es bei der Präsentation.

Obduktionen und Forschung
Die Aufgaben der Gerichtsmedizin umfassen neben der Forschung etwa sanitätsbehördliche Obduktionen zur Klärung der Todesursache, Untersuchungen und Obduktionen zur Identifizierung der Ursachen von Verletzungen und Todesfällen sowie die Dienstleistungen bei Katastrophenfällen.

Walter Berka von der Universität Salzburg bezeichnete Wien als „besonderes Problem“: „Die Unterstützung der Gerichtsmedizin durch die MedUni Wien ist minimal. Das ist ein ‚ungeliebtes Kind‘, das man wohl gern zur Adoption freigeben will.“ Das Institut in Wien verfüge zum Beispiel über keine eigene Toxikologie und keine DNA-Analyse mehr. „Es läuft ein Minimalprogramm.“

Nur noch 400 Obduktionen in Wien

Der Bericht listet für die Misere mehrere Ursachen auf. Die Gerichtsmedizin ist nicht mehr verpflichtend in der Ärzteausbildung der MedUnis vorgesehen. Das führt dazu, dass das Fach vernachlässigt wird. Gleichzeitig fehlt jüngeren Ärztegenerationen in Österreich damit das grundlegendste Wissen, Verdachtsmomente für Verbrechen etc. zu erkennen.

Speziell in Wien mit einem Einzugsbereich von rund 3,5 Millionen Menschen, könnten sich MedUni und das Bundesland nicht auf eine ausreichende Finanzierung der Obduktionsleistungen einigen. Adler: „Insgesamt sind die Obduktionen für die Gerichtsmedizin nicht kostendeckend.“ In Wien ist deshalb deren Zahl pro Jahr von ehemals rund 3.000 auf nur noch 400 gesunken.

Berka zitierte die Aussage eines befragten Experten zu dieser Situation: „Dadurch bleiben einige Tötungsdelikte unerkannt. Diese Situation dient den Tätern.“ Während früher in Österreich bis zu 35 Prozent der Verstorbenen obduziert wurden, sind es jetzt nur noch um die 13 Prozent. Dadurch fehlen auch grundlegende Daten für die Gesundheits- und Sterbestatistik.

MedUni Wien bestreitet zwei Kritikpunkte

Ein Sprecher der MedUni Wien bezeichnete Freitagnachmittag zwei Kritikpunkte, die bei der Präsentation des Berichts wurden, gegenüber der APA als „definitiv falsch“. So sei laut Johannes Angerer die Toxikologie der Gerichtsmedizin mittlerweile in der Labormedizin der MedUni Wien angesiedelt. Dies sei „auf Vorschlag des Rechnungshofes“ geschehen, so der Universitätssprecher. Die DNA-Analytik sei sogar ausgebaut worden.

MedUni Wien-Rektor Wolfgang Schütz bestätigte auf Anfrage der APA allerdings einen vom Wissenschaftsrat ebenfalls heftig kritisierten Sachverhalt: „Derzeit wird (am Department für Gerichtsmedizin; Anm.) nicht ausgebildet.“ An der traditionsreichen Einrichtung gibt es nur noch drei fertig ausgebildete Gerichtsmediziner mit Zulassung als Sachverständige, bestätigte der Rektor.

Schütz nannte dafür drei Gründe: Erstens würden die sanitätsbehördlichen Obduktionen nicht mehr an dem Department durchgeführt. Das sei aber für die Ausbildung ein entscheidender Faktor. Zweitens fehle es an der entsprechenden Finanzierung. Die Hälfte der Ausgaben der Gerichtsmedizin in Wien würden von der MedUni Wien bestritten.

Der dritte Grund für die Aufgabe der Ausbildungsfunktion in Sachen Gerichtsmedizin durch die MedUni Wien, so der Rektor: „25 Prozent der Ausgaben für Gutachten werden nicht rückvergütet.“ Die Auftraggeber würden einfach einen Teil der Positionen streichen. Im Department für Gerichtsmedizin und dem DNA-Zentrallabor der MedUni Wien sind 26 Mitarbeiter beschäftigt, so die Universität. An der MedUni Innsbruck spricht man von dort 80 Beschäftigten.

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