Bettlerkontrollen: Analyse und Kritik

In den vergangenen Wochen wurden Bettler verschärft kontrolliert. Besonders bei Adventmärkten führten Polizei und Stadt Schwerpunktaktionen im Kampf gegen aggressives Betteln durch. Nach Silvester will man Bilanz und Schlüsse aus den Erfahrungen ziehen.

Derartige Schwerpunktkontrollen habe es bereits in der Vergangenheit - darunter auch heuer auf Ostermärkten - gegeben, hieß es aus dem Büro für Sofortmaßnahmen. Die jetzige „Aktion scharf“ endete mit Beginn der Weihnachtsfeiertage - mehr dazu in Weihnachtsmärkte: Kontrollen gegen Betteln. Zahlen zu bisher erteilten Abmahnungen oder Strafen wurden noch keine bekannt gegeben.

Überlegungen zu neuen Schwerpunktaktionen

Stadt und Polizei wollen nun gemeinsam analysieren, welche Konsequenzen aus den jüngst gesammelten Erfahrungen gezogen werden können. Dabei gehe es auch um die Frage, ob und in welcher Art derartige Schwerpunktaktionen auch 2015 fortgesetzt werden sollen.

Regelung seit 2010:

Der Umgang mit bettelnden Menschen ist in Wien durch das Landessicherheitsgesetz geregelt. In seiner jetzigen Form besteht es seit 2010 und sieht auch bei „gewerbsmäßigem Betteln“ eine Verwaltungsstrafe von bis zu 700 Euro vor.

Wenig Freude an der Aktion scharf hatte die „Bettellobby Wien“. „Die Regelungen sind derart gestaltet, dass die Polizei im Grunde jede Form der Bettelei bestrafen kann“, kritisierte der Sprecher der „Bettellobby“, Ferdinand Koller.

So würde der Passus „aufdringliches Betteln“ so ausgelegt, dass eine Strafe ausgesprochen werden kann, wenn ein Bettler etwa die Hand ausstreckt und „Bitte“ sagt, so Koller. Aus Sicht der Initiative sind diese Möglichkeiten zu Strafen eine klarer Widerspruch zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, wonach Betteln grundsätzlich erlaubt sein muss.

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ORF/Carina Kainz

Viel Kritik von der Bettlerlobby

Erste Auswirkungen der Aktion scharf

Die Initiative veranstaltet einmal im Monat eine Rechtsberatung für Betroffene. Dabei zeigte sich laut Koller, dass in der Praxis nicht nur das Betteln selbst bestraft wird. "Es wird in Wien ebenso die Straßenverkehrsordnung häufig zur Anwendung gebracht. Etwa der Paragraf 78 ‚Behinderung des Fußgängerverkehrs durch unbegründetes Stehenbleiben‘.

Beim vergangenen Rechtsberatungstermin am 15. Dezember waren bereits Auswirkungen der laufenden Schwerpunktaktionen zu bemerken, berichtete Koller. So hätten die Leute mehr Strafen als gewöhnlich dabei gehabt. „Bei den Schwerpunktaktionen geht es neben den Strafen auch darum, die Leute abzuschrecken und zu demütigen: Sie werden zum Teil festgenommen und es werden Leibesvisitationen unterzogen, die ebenfalls rechtswidrig sind“, sagte Koller.

Negatives Image durch Sprache gelenkt

Das negative Image, mit dem bettelnde Menschen behaftet sind, beruhe auf einer Mischung aus Ausländerfeindlichkeit, Vorurteilen gegenüber Roma und „einem medial-politischen Diskurs, bei dem es hauptsächlich darum geht, die Legitimation bettelnder Menschen infrage zu stellen“, so Koller.

Mitverantwortlich dafür ist laut Koller die Sprache in den Boulevardmedien: „Bettler wohnen nicht, sondern hausen. Sie fahren nicht, sondern werden gekarrt. Es sind keine Gruppen, sondern Banden, es ist keine Familie, sondern eine Sippe oder ein Clan.“ Ebenso bediene man sich der Terminologie von Naturkatastrophen, spreche etwa von einer „Bettlerflut“ oder „Bettlerlawine“. „Allein diese Wortwahl und ihre ständige Wiederholung schaffen mit der Zeit negative Bilder, die man beim Thema Betteln dann wieder abruft. Doch mit der Realität der Leute haben sie nichts zu tun“, analysiert Koller.

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ORF/ Christian Öser

Debatte um gewerbmäßiges Betteln

SOS Mitmensch: „Kriminalisierung von Armut“

„Es ist in den vergangenen Jahren zu einer Kriminalisierung von Armut gekommen. Es wurden Paragrafen geschaffen, die Armutsbetroffene, auch wenn diese niemanden geschädigt oder gefährdet haben, mit hohen Strafen belegen“, kritisierte Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch.

Pollak verwies darauf, dass es in der Praxis oft schon genüge, dass sich drei Armutsbetroffene miteinander unterhalten, um für die Behörden als „organisierte Bettelbande“ zu gelten. Und wer mehr als einmal um Spenden bittet, gelte oftmals bereits als „gewerbsmäßiger Bettler“. „Es gibt klare Strafbestimmungen gegen Menschenhandel, Nötigung und Gewalt. Die Bettelparagrafen gehen an diesen Bestimmungen vorbei und öffnen behördlicher Willkür Tür und Tor. Das untergräbt Menschenrechte und ist eines Rechtsstaats nicht würdig“, so Pollak.

Studie: Keine konkreten Beweise für Bettelmafia

Die Sozialwissenschafterin Franziska Schulteß hat sich in ihrer Diplomarbeit mit dem politischen Umgang mit dem Thema auseinandergesetzt und von 1993 bis 2013 Sitzungen des Wiener Landtags und des Gemeinderats analysiert. Laut ihrem Eindruck haben auch hier Vorurteile ihren Eingang gefunden, wenn es etwa um die „Bettelmafia“ geht: "Über diese subjektiven Einschätzungen hinaus, kamen in den gesamten zwanzig Jahren keine konkreten Beweise für die ‚Bettelmafia‘ zur Sprache.

Dennoch wurde es sowohl von der FPÖ, der ÖVP als auch der SPÖ spätestens ab 2010 als belegte Tatsache hingestellt, dass der Großteil der in Wien bettelnden Menschen ausgebeutet werde und selbst nichts von dem erbettelten Geld habe", so Schulteß.

Fehlende Beweise seien hingegen nicht zum Anlass genommen worden, das Stereotyp der ‚Bettelmafia‘ zu hinterfragen. Im Gegenteil sei sogar behauptet worden, die Tatsache, dass sich die „Machenschaften der Bettelmafia“ so schwer nachweisen ließen, sei nur ein weiterer Beleg dafür, wie gefährlich und trickreich diese kriminelle Organisation sei, kritisierte Schulteß.

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