Wiener Flüchtlinge als Lehrlinge am Land

Die Wirtschaftskammer (WKÖ) will Flüchtlingen Lehrstellen verschaffen. In einem Pilotprojekt sollen 150 in Wien lebende Jugendliche in Berufe und Regionen mit Lehrlingsmangel vermittelt werden, teilte die Kammer am Mittwoch mit.

Mit dem Pilotprojekt wolle man in Zusammenarbeit mit Ministerien und AMS jungen Menschen, die oft allein nach Österreich kommen, eine Zukunftsperspektive bieten, betonte WKÖ-Präsident Christoph Leitl. Gleichzeitig sollen der Wirtschaft fehlende Fachkräfte vermittelt werden - so kämen etwa in Tirol auf 100 offene Restaurantfachmann-Lehrstellen nur sieben Bewerber.

Flüchtlinge dürfen maximal 18 Jahre alt sein

Derzeit gebe es rund 6.500 anerkannte Flüchtlinge unter 25 Jahren in Österreich, zwei Drittel davon leben in Wien, so der Leiter der bildungspolitischen Abteilung in der WKÖ, Michael Landertshammer. Für das Projekt kommen Jugendliche bis 18 Jahre infrage, die Deutsch können und bereit sind, aus der Bundeshauptstadt wegzugehen.

150 passende Kandidaten würden vom AMS herausgefiltert und im WIFI Wien einem knapp eineinhalbstündigen Talentecheck unterzogen, mit dem sich berufliche Interessen und Stärken feststellen lassen sollen. Anschließend werden die Jugendlichen auf „ihr“ Lehrverhältnis vorbereitet und dann vor Ort von einem Lehrlingscoach begleitet. Der Start mit 150 Lehrlingen entspricht der Zahl jener Lehrstellen, für die es schon Zusagen von Betrieben gibt - später soll das Projekt ausgeweitet werden.

Forcierung von Matura mit Lehre

Ein Anliegen ist Leitl auch das derzeit stockende WKÖ-Wunschprojekt Matura mit Lehre. „Ein Jahr Intensivausbildung nach der Matura, dann mit 19 Jahren beide Abschlüsse haben - das wäre meine bildungspolitische Vision.“ Das würde zwar die Lehrzeit im Betrieb von drei auf ein Jahr verkürzen: „Aber das holen die schon nach.“

Eine mögliche Karriere für Maturanten mit Lehre könne etwa ins mittlere oder höhere Management führen und sei vor allem für AHS-Maturanten interessant, die keine Lust mehr auf die klassische, der Schule ähnelnden Situation an einer Fachhochschule oder Uni hätten. „Wenn ich eine AHS-Matura habe und nicht studiere, habe ich derzeit ein Problem - und zwar ein großes“, so Landertshammer. Rechtlich wäre dafür eine Änderung des Berufsausbildungsgesetzes nötig.

Gewerkschaft gegen „schnelle Zusatzausbildung“

„Äußerst kritisch“ sieht die Gewerkschaft das Modell der Matura mit Lehre. „Egal ob man es ‚Expresslehre für Maturanten‘ oder ‚Matura mit Lehre‘ nennt, das Ergebnis bleibt dasselbe: zu wenig Zeit, um die praktischen Seiten eines Berufs ordentlich zu lernen“, so der Vorsitzende der Gewerkschaftsjugend, Sascha Ernszt, in einer Ausendung. Vor allem in den technischen Berufen könnten die Qualitätsstandards nicht erreicht werden.

Stattdessen solle die Lehrstellenförderung neu geregelt und die Ausbildung streng kontrolliert werden. Außerdem müsse es einen Rechtsanspruch auf das Modell der Lehre mit Matura in der Arbeitszeit geben. Derzeit könnten die Lehrlinge bzw. jungen Arbeitnehmer in Handel und Gastronomie wegen der Arbeitszeiten und Dienstpläne oft nicht daran teilnehmen.

Links: