Maßnahmen für psychisch kranke Straftäter

Hundert psychisch kranke Straftäter sind aktuell in der Justizanstalt Mittersteig in Margareten untergebracht. Wie sie dort Schritt für Schritt resozialisiert werden und wo es an Ressourcen fehlt, zeigt eine ORF-Reportage.

„Schönen Guten Morgen, wie war Ihr Wochenende?“, fragt der Therapeut Samir Medani in eine kleine Runde von Insassen der Justizanstalt Mittersteig. Vor Beginn der Ergotherapie können die psychisch kranken Straftäter Gefühle ausdrücken, vielleicht auch lernen, ihre Empfindungen auszudrücken. Ein häufiges Thema in der Haft: Langeweile.

Lesen, basteln, töpfern

„Mein Wochenende war langweilig, weil die Bücherei erst am Sonntag aufgemacht hat“, sagt ein junger Mann, der sich in der Anstalts-Bibliothek gern etwas zu lesen holt. Ein anderer, der aus Afrika stammt, hat in der Justizanstalt lesen gelernt: „Bevor ich im Gefängnis war, bin ich nicht in die Schule gegangen, jetzt kann ich schon lesen und ein bisschen schreiben“, erklärt er auf Englisch.

Die Ergotherapie ist für den Therapeuten ein Beitrag zu Resozialisierung und zur erhofften Wiedereingliederung der Insassen in die Gesellschaft. Medani: „Manche haben eine Bastel-Erlaubnis, manche können in ihrem Haftraum etwas töpfern, etwas weben oder stricken. Also es gibt schon Möglichkeiten, dass man sich sinnvoll beschäftigt. Und wenn man eine Arbeit hat, wird man weniger leicht rückfällig, das ist erwiesen“.

Küchenmesser „kein Risiko“

In der Küche der Justizanstalt Mittersteig arbeiten ausschließlich Insassen. Mit einem langen Messer schneidet einer Karotten. Justizwachekomamndant Rudolf Karl erklärt: Bis jetzt hat sich das noch nie als risikoreich erwiesen. Also man wird gerade jemanden der für seine Messerstechereien bekannt ist, nicht in der Küche beschäftigen - um das etwas dramatisch zu formulieren. Aber an und für sich hat es noch nie ein Problem gegeben mit der Tatsache, dass Insassen das Essen zubereiten."

Reform des Maßnahmenvollzugs

Justizminister Josef Moser (ÖVP) will dem Parlament noch heuer einen Gesetzesentwurf zur Reform des Maßnahmenvollzugs vorlegen. Die Justiz will damit den Spagat schaffen: Einerseits optimalen Schutz der Bevölkerung und andererseits einen humanen, menschenrechtskonformen Umgang mit psychisch kranken Straftätern - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Hundert psychisch kranke Straftäter sind in der Justizanstalt Mittersteig untergebracht. Sie gelten als zurechnungsfähig, sind daher zu einer Haftstrafe verurteilt worden und zusätzlich zur sogenannten Maßnahme.

Auf sechs Jahre schätzt die Psychologin und stellvertretende Anstaltsleiterin Katinka Keckeis die durchschnittlich Anhaltedauer, manche seien 20 Jahre in Haft. „Wir haben im Maßnahmenvollzug Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen, teils schwersten sexuelle Störungen, die sehr schwer zu behandeln sind; dass das auch Prozesse sind, die lang andauern. Aber wir schaffen es in vielen Fällen, sie zu therapieren und zu entlassen“, so Keckeis.

„Neusiedler-See-Mord“ ein „Schock“

Ein Schock für Justizwachekommandant Karl war zuletzt der sogenannte „Neusiedler-See-Mord“, ein Frauenmord durch einen ehemaligen Insassen: „Der hat eine zwölfjährige Freiheitsstrafe bekommen und ist neun Jahre darüber hinaus - also insgesamt 21 Jahre da gesessen. Also neun Jahre hat man nur geprüft, kann man das Risiko vertreten oder kann man es nicht vertreten. Und dass dann jemand so ein Delikt setzt, ist eigentlich unvorstellbar und kommt auch so gut wie nie vor“ - mehr dazu in Leiche im Neusiedler See: Tatrekonstruktion.

Justizanstalt Wien-Mittersteig - Zellentrakt

Bernt Koschuh

Zellentrakt in der Justizanstalt Mittersteig

Rückfallquote gering

Jetzt soll vor Entlassungen noch genauer geprüft werden. So könnte infolge dieses Mordfalls die Haftdauer für alle Insassen steigen. Eine Alternative wären mehr Betreuungseinrichtungen außerhalb der Gefängnisse, meint Therapeut Medani: "Es gibt einfach nicht sehr viele Nachsorgeeinrichtungen und man findet auch nicht das geeignete Heim für jeden.

„Und wenn die Plätze voll sind, müssen unsere Insassen in der Justizanstalt auf einen geeigneten Platz warten“, sagt die Psychologin Keckeis und betont: Dank Therapie, betreutem Wohnen und anderer Nachsorgeeinrichtungen ist die Rückfallquote bei psychisch kranken geringer als bei gesunden Tätern.

Bernt Koschuh, Ö1, für wien.ORF.at

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