Neuer Handy-Guide durch „jüdisches Wien“

Rund 200.000 jüdische Wienerinnen und Wiener sind im Zuge des Holocausts ermordet oder vertrieben worden. Wer diese Menschen waren und wo man ihnen in der Stadt begegnet wäre, zeigt ein audiovisueller Guide für Handys und Tablets.

Heute befindet sich in der Storchengasse 21 im 15. Bezirk ein Wohnhaus. Früher stand dort ein jüdische Synagoge. Der sogenannte Storchentempel ist eine von derzeit 47 Stationen des audiovisuellen Guides „Jüdisches Wien“. Zu hören sind in der Storchengasse die Menschen, die hier damals aus und ein gingen, zum Beispiel die Tochter des letzten Rabbiners.

„Sie erzählen aus dem Alltag und natürlich auch von der Pogromnacht im November 1938, wo der bisher nette, höfliche Nachbar plötzlich mit einer Bande mit Stöcken in den Betraum eingedrungen ist und das Mobiliar zerschlagen hat“, beschrieb der Wiener Schriftsteller Martin Auer, der den Guide zusammengestellt hat.

Häuserfassade Storchengasse 21

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Der Storchentempel ist heute Teil eines Wohnhauses

Interviews und historische Musikaufnahmen

Neben Interviews mit Zeitzeugen sind auch historische Tonaufnahmen und literarische Texte zu hören. Darunter befinden sich zum Beispiel Aufnahmen von Kantoren, die damals an den Wiener Synagogen tätig waren, und jiddische Volks- und Unterhaltungsmusik.

„Bücher sind eine tolle Sache, Filme sind eine tolle Sache, aber wenn ich durch die Stadt gehe, erfahre ich eben auch räumlich, was da einmal los war“, erklärte Auer. In Wien gab es bis 1938 etwa 25 Synagogen, zahlreiche kleinere Bethäuser und viele jüdische Geschäfte. Die jüdische Bevölkerung umfasste rund 206.000 Personen, 181.000 waren Mitglieder Israelitischen Kultusgemeinde, also auch „Glaubensjuden“. Zwei Drittel der Wiener Jüdinnen und Juden wurden vertrieben, mehr als 65.000 in Konzentrationslagern umgebracht.

Leopoldstädter Tempel

Public Domain

Der Leopoldstädter Tempel war eine von rund 25 Synagogen in Wien

Für den Spaziergang durch das „Jüdische Wien“ benötigt man ein Handy oder ein Tablet mit mobilem Internetzugang. Gestartet wird der Guide dann über die Website juedisches-wien.dort.pw. Aktiviert man zusätzlich den GPS-Empfang des Mobilgeräts, weiß dieses automatisch, bei welcher Station man sich gerade befindet und öffnet die dazugehörige Seite mit Informationen und den Audiodateien.

Nur Vater überlebte Holocaust

Die Zahl der Stationen soll noch erweitert werden - insgesamt sind derzeit 100 Stationen vorgesehen. Dabei wird mit bereits bestehenden Guides zum Thema kooperiert. So sind die Zeitzeugenberichte aus dem Projekt „Herklotzgasse 21“ im Guide „Jüdisches Wien“ integriert, auch mit „The Vienna Project“ ist eine Zusammenarbeit geplant.

„Ich bin zur Hälfte Nichtjude“, sagte Auer auf die Frage nach seinem persönlichen Bezug zum Thema. Seine Familiengeschichte gehöre zu „beiden Welten“. „Vielleicht ist das auch ein Motiv, die beiden Welten miteinander in Verbindung zu bringen“, so Auer. Sein Vater überlebte als einziger der Familie den Holocaust, die Großeltern wurden vergast.

Novemberpogrome jähren sich zum 75. Mal

Am 9. November 2013 ist es genau 75 Jahre her, dass auch Wien Schauplatz einer grausamen Massenhetze gegen die jüdischen Mitbürger wurde. Bei den Novemberpogromen 1938, von den Nationalsozialisten zynisch als „Reichskristallnacht“ bezeichnet, zogen im ganzen „Deutschen Reich“ Schlägertrupps durch die Straßen.

Sendungshinweis:

„Guten Morgen Wien“, 9.11.2013

In Wien wurden dabei zahlreiche jüdische Geschäfte, Wohnungen und Tempel verwüstet, geplündert und zum Teil in Brand gesetzt. Jüdische Männer, Frauen und Kinder wurden geschlagen und gedemütigt, geschätzt 27 Menschen getötet. Tausende Juden wurden vertrieben oder eingesperrt.

Viele Wiener machten bei der Hetze mit oder schauten zu. Unter Historikern gelten die Ereignisse als Beginn der gezielten Auslöschung der jüdischen Bevölkerung. Zahlreiche Gedenkveranstaltungen in Wien erinnern an diesem Wochenende an die grauenhaften Ereignisse.

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