Junger Taschendieb auf freiem Fuß

Ein möglicherweise erst zwölf Jahre alter mutmaßlicher Taschendieb ist nach Prozess und erneuter Einvernahme durch die Polizei auf freien Fuß gesetzt worden. Der am 22. Jänner festgenommene Verdächtige war auch in U-Haft gesessen, obwohl er vielleicht strafunmündig ist.

Der nach seinen eigenen Angaben am 31. März 2001 geborene Bub wurde nach der Einvernahme der „Drehscheibe“, einer Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, übergeben. Der Bub befindet sich somit auf freiem Fuß. Zuvor saß er 16 Tage in U-Haft, stand am Freitag wegen 25 Diebstählen vor Gericht, wurde freigesprochen, dann aber erneut von der Polizei in Gewahrsam genommen und befragt.

Staatsanwalt beharrt auf Indizien

Die Staatsanwaltschaft hatte den Verdächtigen angeklagt, weil er gewerbsmäßig und als Teil einer kriminellen Vereinigung 25 Personen, überwiegend Touristen, bestohlen haben soll. Bei seiner Festnahme hatte der Verdächtige zwar angegeben, erst zwölf Jahre alt zu sein, doch weder Polizei noch Staatsanwaltschaft schenkten den Angaben Glauben. Ein Amtsarzt bescheinigte den Behörden zudem, dass er vermutlich 16 bis 18 Jahre alt sei.

Der Verdächtige saß 16 Tage in U-Haft, ehe ihm am Freitag der Prozess gemacht wurde. Die Klärung des Alters rückte dabei wegen der Frage „Strafmündig oder nicht“ in den Mittelpunkt. Die Staatsanwaltschaft hatte sogar „die körperliche Untersuchung des Angeklagten, insbesondere der Geschlechtsorgane“ beantragt. Dieses Ansinnen schmetterte der Richter ab, weil es sich dabei um einen „unzulässigen Erkundungsbeweis“ handle.

Die Oberstaatsanwaltschaft Wien kündigte an, das Vorgehen der Staatsanwaltschaft „rechtlich prüfen“ zu wollen.

Doch die Staatsanwaltschaft beharrt auch nach der Freilassung des Verdächtigen auf Indizien, dass dieser älter als 14 Jahre alt ist. Der Verdächtige sei noch vor seiner Festnahme in Österreich in Belgien unter einem Alias-Namen straffällig geworden. „Im dortigen Strafverfahren hat er angegeben, dass er am 1. Jänner 1999 geboren ist“, sagte Gerhard Jarosch, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Dass in Belgien und Österreich der idente Angeklagte vor Gericht stand, würden Fingerabdrücke belegen.

Trotz Freispruchs neuerliche Einvernahme

Der Richter hatte zur Altersbestimmung seinerseits ein zahnärztliches Gutachten eingeholt. Eine Sachverständige konnte sich zwar nicht eindeutig festlegen, betonte aber, dass alles dafür spreche, "dass er um die 14 Jahre alt ist. Bei der Einschätzung des wahren Alters gebe es „eine relativ große Bandbreite von plus minus einem Jahr“. Da sich das Alter des Angeklagten nicht eindeutig feststellen ließ, billigte er ihm Strafunmündigkeit zu und sprach ihn frei. Es sei im Zweifel davon auszugehen, dass das von ihm angegebene Geburtsdatum stimmt.

Doch der Verdächtige kam auch nach diesem Freispruch nicht in Freiheit. Der Staatsanwalt legte nicht nur Berufung ein, sondern verwies auf eine aufrechte Festnahmeanordnung. Denn in einer Nachtragsanzeige waren weitere Verdachtsmomente gegen den mutmaßlichen Taschendieb erhoben worden. Die Festnahmeanordnung wurde zwar nicht vollzogen, der möglicherweise erst zwölf Jahre alte Verdächtige aber erneut in einer Polizeiinspektion zu diesen neuen Vorwürfen befragt. Danach erst erfolgte seine Freilassung und die Übergabe an die Drehscheibe.

Kommission prüft Alternativ-Modelle zur Haft

Der Verdächtige soll laut einem Interpol-Bericht einer europaweit agierenden Bande angehört haben und gezielt zum Stehlen ausgebildet worden sein. Die Bande war demnach auch in anderen Staaten aktiv. In Wien hatte er sich in einer größeren Gruppe von Minderjährigen in der Drehscheibe aufgehalten, allerdings nur tageweise und auf kurze Dauer.

Um jugendlichen Tatverdächtigen die U-Haft zu ersparen, hatte Ex-Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) im vergangenen Sommer eine Experten-Kommission eingerichtet, die Alternativ-Modelle zur Haft erarbeiten sollte. Der nunmehrige Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) hat erst vor wenigen Tagen im Interview mit der APA „dislozierte Unterbringungsmöglichkeiten“ außerhalb von Gefängnissen für unter Tatverdacht gelangte Jugendliche verlangt und erklärt, möglichst kein Jugendlicher sollte mehr in U-Haft kommen - mehr dazu in Justizminister Brandstetter: Kein Gefängnis bis 18 (oe1.ORF.at).