Prügelvideo: Teilbedingte Haftstrafen

In Wien sind am Mittwoch fünf Jugendliche bzw. junge Erwachsene zu teilbedingten Freiheitsstrafen verurteilt worden, weil sie ein 15-jähriges Mädchen im Vorjahr krankenhausreif geschlagen haben. Ein Bursch wurde freigesprochen.

Drei der Angeklagten müssen ins Gefängnis: Die 16-jährige Hauptangeklagte, die sich in ihrer Einvernahme selbst als „treibende Kraft“ bezeichnet hatte, erhielt 18 Monate, davon sechs Monate unbedingt. Der 16-Jährige erhielt 18 Monate, davon ebenfalls sechs Monate unbedingt. Der 21-Jährige, der mit einem finalen Faustschlag letztlich den doppelten Kieferbruch bewirkt haben dürfte, bekam zwei Jahre, davon acht Monate unbedingt. Die beiden 17-jährigen Freundinnen der Hauptangeklagten fassten jeweils zwölf Monate aus, die ihnen zur Gänze bedingt nachgesehen wurden.

Angeklagter auf dem Weg zum Gerichtssaal

APA/Roland Schlager

Fünf Jugendliche bzw. junge Erwachsene wurden verurteilt

Schmerzengeld von 3.960 Euro für 15-Jährige

Anders als von der Staatsanwaltschaft gefordert, wurden die Angeklagten nicht wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung verurteilt, sondern wegen fahrlässiger Körperverletzung. Der Schöffensenat ging nicht davon aus, dass die fünf Jugendlichen es vorsätzlich darauf angelegt hatten, der 15-Jährigen bewusst eine schwere Körperverletzung zuzufügen.

Urteile nicht rechtskräftig

Die 15-Jährige bekam ein Schmerzengeld von 3.960 Euro zugesprochen. Der Hauptangeklagten und den beiden schuldig erkannten Burschen wurde die Weisung erteilt, sich einem Anti-Gewalt-Training zu unterziehen. Bewährungshilfe wurde angeordnet. Die 16 Jahre alte Hauptangeklagte und ihr gleichaltriger Komplize müssen sich außerdem einer psychotherapeutischen Behandlung unterziehen.

Dem 16-jährigen und dem 21-Jährigen wurden offene bedingte Vorverurteilungen wegen Raubes bzw. zweifacher Körperverletzung nicht widerrufen - die Probezeiten wurden dafür auf fünf Jahre verlängert. Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Die Burschen waren mit den Entscheidungen einverstanden, die Hauptangeklagte erbat Bedenkzeit. Die Staatsanwältin gab zu sämtlichen Urteilen keine Erklärung ab. Der mitangeklagte jüngere Bruder des 21-Jährigen, der bei der Prügelszene dabei gestanden war, wurde vom Vorwurf der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung freigesprochen.

Angeklagte waren großteils geständig

Die Angeklagten waren großteils geständig, bestritten aber den Vorsatz in Richtung einer absichtlichen schweren Körperverletzung. Man habe der 15-Jährigen „Respektschellen“ bzw. „Watschen“ geben wollen, so die weiblichen Angeklagten. Die Hauptangeklagte hatte sich mit dem Mädchen zerstritten, weil diese ihr ein iPhone nicht zurückgegeben, Geld geschuldet und sie verbal beleidigt haben soll. Sie habe das bei einem Treffen beim Donauplex in der Donaustadt „klären“ wollen, zu dem sie mit ihrer Clique erschienen sei, gab die Hauptangeklagte zu Protokoll.

Urteile nach Prügel-Video

„Wien heute“-Redakteurin Katharina Weinmann hat im Landesgericht mit den Anwälten der Angeklagten gesprochen.

Opfer soll Muslimin Kopftuch heruntergezogen haben

Die 15-Jährige wurde von der Gruppe umzingelt. Die weiblichen Angeklagten versetzten ihr allesamt mehrere, teilweise äußerst heftige Ohrfeigen. „Das war ein Denkzettel für mich am Anfang“, erläuterte die Hauptangeklagte im Wiener Landesgericht für Strafsachen. Sie sei „die treibende Kraft“ gewesen, ihre zwei Freundinnen hätten aber unaufgefordert mitgemacht.

Angeklagte auf Weg zu Gerichtssaal

APA/Roland Schlager

Ein Video des Vorfalls wurde millionenfach angeklickt

Die beiden bestätigten das. Ausschlaggebend dafür sei gewesen, dass sie erfahren hatten, dass die 15-Jährige einer Muslimin auf offener Straße ihr Kopftuch heruntergezogen habe. „Es hat mich wütend gemacht, was sie gemacht hat“, erklärte eine von ihnen. Sie habe „halt nicht gewusst, dass es so schlimm enden wird“. Sie räumte auch ein, ihren damaligen Freund - einen 16-jährigen Burschen - zum Hinschlagen gebracht zu haben, indem sie ihm „Zeig, was du kannst“, „Demolier sie“ und „Mach mich stolz, Schatz“ zugerufen habe.

Angeklagter: „Hätte Hilfe holen sollen“

„Ich bin leicht zu überreden“, sagte der 16-Jährige, der dem Mädchen zwei Ohrfeigen versetzt hatte, dem Gericht. Er habe „das mit dem Kopftuch geglaubt. Das hat mich aufgeregt.“ Seit wenigen Tagen sitzt er in U-Haft, nachdem er wüste Drohungen gegen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) ausgestoßen hatte - mehr dazu in Hassposting: 16-Jähriger in Haft. Er ist außerdem bereits wegen Raubes vorbestraft.

Bereits zwei Vorstrafen wegen Körperverletzung weist ein 21-jähriger gebürtiger Tschetschene auf, der laut Anklage der 15-Jährigen den finalen Faustschlag versetzte. „Ich war damals so dumm. Ich hätte weggehen und Hilfe holen sollen“, sagte er vor Gericht. Der 21-Jährige befindet sich ebenfalls in U-Haft. „Ich habe zugeschlagen, weil ich genervt wurde, dass ich sie schlagen soll“, sagte er.

Dieser letzte Schlag hatte es offenbar in sich. Die 15-Jährige erlitt einen zweifachen Bruch des Unterkiefers und verlor auch einen Zahn. Weiters wurden im Spital eine Schädelprellung und Prellungen und Blutunterlaufungen beider Gesichtshälften diagnostiziert. Der jüngere Bruder des 21-Jährigen saß als Mittäter auf der Anklagebank, ihm wird unter anderem unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen.

Video drei Millionen Mal angeklickt

Die Clique hatte die Prügelszenen mitgefilmt und das Video zunächst über WhatsApp verbreitet. In weiterer Folge landete der Mitschnitt auf Facebook, wo er drei Millionen Mal angeklickt wurde. Das Gewaltvideo war über Tage hinweg abrufbar. Erst nach Kritik an Facebook und entsprechenden Aufrufen wurde der Beitrag gelöscht - mehr dazu in Gewaltvideo auf Facebook gelöscht.

Angeklagter auf dem Weg zum Gerichtssaal

APA/Roland Schlager

Am späten Nachmittag gab es ein Urteil

Nur einen Tag nach diesem Vorfall soll die Clique eine weitere „Bestrafungsaktion“ durchgeführt haben. Die Hauptangeklagte soll einem anderen Mädchen zweimal ins Gesicht geschlagen haben, wobei der 21-Jährige das Opfer festgehalten und der 16-Jährige die Szenen mitgefilmt haben soll. Dieses Mädchen kam zum Glück glimpflich davon, sodass die zweite Gewalttat lediglich als versuchte absichtlich schwere Körperverletzung angeklagt ist.

Opfer fordert knapp 4.000 Euro

Die Hauptangeklagte war am 23. Dezember aus der U-Haft entlassen worden. Sechs Tage später wurde sie bei einem Diebstahl in einer Drogerie erwischt. In dem Krisenzentrum, in dem sie betreut wurde, bedrohte sie jedoch andere Jugendliche, sodass sie neuerlich in U-Haft genommen werden musste. Konkret auf das Gewaltvideo angesprochen sagte die 16-Jährige: „Sie hat mir im Endeffekt schon leidgetan. Es war ein aggressives Potenzial da, weil so viel passiert ist in meinem Leben.“

Die verletzte 15-Jährige hat sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen. Sie forderte ursprünglich eine finanzielle Wiedergutmachung in Höhe von 7.500 Euro. Die Anwältin reduzierte diese Forderung am Mittwoch auf 3.960 Euro. Ausschlaggebend dafür war ein gerichtsmedizinisches Gutachten, das die Schmerzperioden genau bezifferte. Darüber hinaus beantragte die Vertreterin die gerichtliche Feststellung, dass die Angeklagten auch für allfällige zukünftige Folgeschäden haften.

Auf die Frage der Richterin, weshalb sie nicht weggelaufen sei, sagte das Mädchen im Zeugenstand: „Das wäre aussichtslos gewesen. Ich wäre noch stärker verprügelt worden.“