Gassenlokale: Innovation statt Leerstand

Seit 2009 hat sich die Zahl der leerstehenden Lokale in Wien halbiert. Das „ServiceCenter Geschäftslokale“ der Wirtschaftskammer Wien setzt auf innovative Konzepte, um verwaiste Stadtteile wiederzubeleben.

„Unsere Street Lofts bewahren die Geschichte alter Geschäfte, Werkstätten und Ateliers“, so die Geschäftsidee von „Urbanauts“. Im Juli 2011 wurde das erste Zimmer als Prototyp eröffnet. Was das Hotelzimmer im Gassenlokal von einem herkömmlichen Hotel unterscheidet, bildet die Basis für die Idee: „Die ganze Infrastruktur eines Hotels wird ins Grätzl ausgelagert“, so Theresia Kohlmayr, eine der drei Initiatoren - mehr dazu in Neues Leben in leerstehenden Shops (wien.ORF.at; 9.4.2012).

Hotelzimmer "Die Schneiderin"

Urbanauts

„Urbanauts“ eröffnete „Die Schneiderin“ als erstes Zimmer in Wieden.

Begonnen hat alles mit der Idee, leer stehende Flächen in der Stadt zu nutzen - mehr dazu in Schlafen im Shop expandiert (wien.ORF.at; 2.6.2013). Mittlerweile gibt es drei umgebaute Gassenlokale - „Der Galerist“ und „Der Künstler“ sind im August 2012 in der Argentinierstraße dazu gekommen. Laut der Geschäftsführerin musste dafür das Finanzierungsmodell auf Kaufimmobilien umgestellt werden. Bei dieser Entscheidung und anderen Fragen während der Immobiliensuche war das „ServiceCenter Geschäftslokale“ „sehr hilfreich“, so Kohlmayr.

Persönlicher Service von der WK Wien

Das „ServiceCenter Geschäftslokale“ wurde 1999 von der Wirtschaftskammer Wien (WKW) als Unterstützungsmaßnahme für die Immobilienwirtschaft und Standortsuchende gegründet. 70 bis 80 Prozent der Kunden wollen einen Handelsbetrieb eröffnen, heißt es aus der WKW. „In persönlichen Gesprächen mit den Standortsuchenden gehen wir auf deren Geschäftsidee ein und versuchen, gemeinsam den geeigneten Standort zu finden“, sagt ein Sprecher der Wirtschaftskammer Wien gegenüber wien.ORF.at.

Seit der Einführung des ServiceCenters ist die Zahl der leer stehenden Lokale stets gesunken. Waren es im Jahr 2009 noch über 800, sind aktuell 440 freie Geschäfte registriert. „Die Immobilienwirtschaft meldet uns die zu vergebenden Leerstände, diese werden in einer zentralen Datenbank gespeichert und online zugänglich gemacht“, heißt es aus der WKW.

Leer stehendes Gassenlokal

GB*6/14/15

Leer stehende Erdgeschosslokale prägen seit Jahren das Wiener Stadtbild.

„Relativ wenig Leerstände registriert“

Etwa 30 Prozent aller leer stehenden Lokale in Wien seien allerdings nicht registriert, so ein Sprecher der WKW. Als Begründung gibt er an, dass manche Immobilien, teils in exklusiver Lage, nur über Makler laufen würden. Daniel Dutkowski von der „Gebietsbetreuung Stadterneuerung“, einer Institution der Stadt Wien, gibt zu bedenken, dass „relativ wenig Leerstände“ in der Datenbank aufscheinen. So würden sich immer wieder Standortsuchende bei ihm melden, die einfach nichts finden. Genauso gebe es Eigentümer, die keine Anfragen bekommen.

Der „Gebietsbetreuung Stadterneuerung“ zufolge herrscht also eine Schere zwischen dem Angebot und der Nachfrage leer stehender Erdgeschosslokale. Dabei spielen einerseits die Höhe der Mieten für Standortsuchende eine Rolle. Andererseits hätten Hauseigentümer oft „unrealistische Vorstellungen“, erklärt Dutkowski. Zum Beispiel lasse so mancher Eigentümer sein Lokal eher leer stehen, sofern sich kein Supermarkt einmietet.

Die Erfahrungen der Landesgruppe Wien des Österreichischen Mieter- und Wohnungseigentümerbundes (ÖMB) bestätigen ebenfalls, dass eine solche Schere erkennbar ist. So würden Eigentümer zwar „nicht vor innovativen Ideen zurückschrecken“, aber eher langfristige Lösungen anstreben, heißt es aus dem ÖMB Wien.

Dauerhafte Lösung wirtschaftlich sinnvoller

Für die Wirtschaftskammer steht eine sinnvolle Nutzung der leer stehenden Geschäfte - egal ob kurz- oder langfristig - im Vordergrund. „Aus wirtschaftlicher Sicht sind dauerhafte gewerbliche Lösungen aber sicherlich sinnvoller. Denn ein dauerhaft genutztes Geschäftslokal fügt sich wesentlich besser in den Grätzelverband und wird auf lange Sicht Teil einer lebendigen Erdgeschosszone“, erklärt die WKW.

Die „Gebietsbetreuung Stadterneuerung“ habe aber auch „sehr viele positive Erfahrungen mit Zwischennutzung gemacht“, so Dutkowski. Als Vermittler wollen sie alle Seiten - Stadt, öffentlicher Raum und Nachbarschaft - davon überzeugen, dass sie auch von einer temporären Nutzung der Erdgeschosszonen profitieren, erklärt Dutkowski.

Wiener Rad WG

Jan Hosa

So könnte die erste „Wiener Rad WG“ aussehen.

Allgemein verzeichne die „Gebietsbetreuung Stadterneuerung“ immer kreativere Projekte, die auch in Richtung einer besseren Infrastruktur gehen. So sollen 2015 die ersten „Wiener Rad WGs“ an den Start gehen. Es handelt sich um ein Projekt, das leer stehende Gassenlokale als Aufbewahrungsraum für Fahrräder vorsieht. Das Projekt hat im Juni des vergangenen Jahres den Ideenwettbewerb „Cycling Affairs“ von Departure, der Kreativagentur der Stadt Wien, gewonnen - mehr dazu in Wien prämierte Ideen rund ums Rad (wien.ORF.at; 3.6.2013).

Unterstützung für Jungunternehmer

Das kostenlose Angebot des „ServiceCenters Geschäftslokale“ geht aber über die Erstellung der Datenbank hinaus. So werden auch Analysen zur Kaufkraft und Konkurrenz in den Stadtteilen, in denen sich die freien Lokale befinden, erstellt. Dies sei „besonders für Jungunternehmer interessant“, erklärt ein Sprecher der Wirtschaftskammer Wien.

Hotelzimmer "Der Galerist"

Urbanauts

„Der Galerist“ bietet als Comfort-Zimmer auf 35 Quadratmetern ein separates Bad.

Auch das Team von „Urbanauts“ hat klein angefangen. Die drei Architekturstudenten haben die Idee zu ihrem Unternehmen nach der Rückkehr aus einem gemeinsamen Kolumbien-Reise zum Thema Städtebau geboren. Da seien ihnen die vielen leeren Gassenlokale in Wien aufgefallen, so das Trio. Bis Ende diesen Jahres wollen sie ihr viertes Hotelzimmer in Wieden, „Der Schlosser“ in der Belvederegasse, fertig umgebaut haben.

Christina Mühlparzer, wien.ORF.at

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