Taschendieb: Jugendamt nicht informiert

Das Jugendamt war über den Prozess gegen einen möglicherweise erst zwölfjährigen Taschendieb nicht informiert. Am Freitag gibt es wieder einen Prozess gegen ein möglicherweise strafunmündiges Mädchen, eine Jugendrichterin fordert Wohngruppen statt U-Haft.

„Wir haben von der Verhandlung nichts gewusst und keine Ladung bekommen“, sagte Jugendamtssprecherin Herta Staffa am Montag. Dabei „braucht es bei einem Prozess gegen einen Minderjährigen, egal ob er zwölf, 14 oder 16 Jahre alt ist, einen gesetzlichen Vertreter“, erläuterte Staffa. Wenn die Eltern, wie im Fall des Buben, nicht greifbar sind, „dann sind wir zu verständigen“, sagte die Sprecherin.

Keine Adresse für Ladung

Richter Andreas Hautz hatte das Jugendamt nicht zur Verhandlung geladen, weil der Bub auf der Straße lebte und über keine Meldeanschrift verfügte. Er hielt sich nur an einzelnen Tagen und auch da immer nur stundenweise bei der „Drehscheibe“ - einer sozialen Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - auf.

Zum gesetzlichen Vertreter hatte der Richter den Verteidiger des Burschen bestimmt. Das ist in Fällen üblich, in denen der Aufenthaltsort der Eltern von jugendlichen Angeklagten nicht bekannt ist oder es keinen Kontakt zwischen Eltern und Kindern gibt.

Der nach seinen eigenen Angaben am 31. März 2001 geborene Bub war 16 Tage in Untersuchungshaft, am Freitag stand er wegen 25 Diebstählen vor Gericht. Im Zweifel fällte der Richter einen Freispruch wegen Strafunmündigkeit - mehr dazu in Junger Taschendieb auf freiem Fuß. Nach dem Prozess wurde der Bub in die „Drehscheibe“ gebracht, wo er sich allerdings nur kurz aufhielt. Eine Abgängigkeitsanzeige wurde erstattet - mehr dazu in Minderjähriger Taschendieb abgängig.

Mädchen ebenfalls in Untersuchungshaft

Gemeinsam mit dem Buben war am 22. Jänner ein Mädchen festgenommen worden, sie muss sich am Freitag im Straflandesgericht verantworten. Als die kindlich wirkenden Verdächtigen in die Justizanstalt (JA) Wien-Josefstadt eingeliefert wurden, schlugen nach der APA vorliegenden Informationen der Tageskommandant sowie die Leiterin der Jugendabteilung in der JA unverzüglich bei Gericht Alarm: Sogar die Justizwache hatte Zweifel an der Strafmündigkeit der mutmaßlichen Diebe.

Ein Amtsarzt stufte die beiden allerdings nach einer Untersuchung auf jedenfalls über 14 ein. Obwohl die Betroffenen versicherten, minderjährig zu sein, wurde über sie die U-Haft verhängt. Im Fall des Mädchens war dafür mit ausschlaggebend, dass sie am Rand ihrer Einvernahme bei der Polizei zugegeben haben soll, in Wahrheit 16 zu sein.

Was für die Staatsanwaltschaft ein Beweis dafür war, dass ihre ursprüngliche Altersangabe inhaltlich unrichtig war, könnte jedoch einen anderen Hintergrund gehabt haben: Die Beamten hatten, als das Mädchen sich eine Zigarette anzünden wollte, ihr im Hinblick auf die von ihr behauptete Minderjährigkeit das Rauchen untersagt. Daraufhin gab das Mädchen - angeblich in „pampigem“ Tonfall - an, sie sei eh schon 16.

Zahnärztliches Gutachten soll Alter klären

Zumindest auf Fotos soll das Mädchen noch jünger ausschauen als der nur 1,55 Meter große, schmächtige und äußert kindlich wirkende Bursch, dem der Richter im Zweifel glaubte, das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet zu haben. Die Richterin, die am Freitag gegen das Mädchen wegen gewerbsmäßigen Diebstahls als Mitglied einer kriminellen Vereinigung verhandeln wird, hat ein zahnärztliches Gutachten zur Klärung der Altersfrage in Auftrag gegeben, das maßgebliche Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens haben wird.

Jugendrichterin: Wohngruppe statt U-Haft

Die Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig pochte anläßlich der beiden Fälle auf die rasche Umsetzung von Alternativ-Modellen zur Haft für Jugendliche, die eine unter Ex-Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) eingesetzte Expertengruppe unter dem Schlagwort „Taskforce Jugendhaft“ im Vorjahr erarbeitet hat. Die Jugendrichterin verlangte „Wohngruppen statt U-Haft, wobei es nötig wäre, dass man diese Wohnungen auch abschließen kann“.

Speziell die womöglich noch minderjährigen Taschendiebe wären nach Ansicht Matschnigs in solchen Wohngruppen gut aufgehoben: „Diese Kinder sind Opfer. Sie gehören konkret einer Bande von 100 Kindern an, die gezielt zum Stehlen ausgebildet und von ihren Hintermännern durch ganz Europa geschickt werden. Sie werden in totaler Abhängigkeit gehalten, müssen ihre Beute abliefern.“

Sobald diese in der Regel aus Südosteuropa stammenden Kinder 14 und damit strafunmündig sind, werden sie von der Straße abgezogen. „Man schickt sie dann zurück in die Heimat und weist ihnen dort jüngere Kinder zu, die sie dann zum Stehlen ausbilden“, so Matschnig.

Ermittlungen gegen Hintermänner gefordert

Dass die Strafverfolgungsbehörden ihr primäres Augenmerk auf die kindlichen Täter richten, hält die Jugendrichterin für nicht ausreichend: „Man müsste sich einmal die Mühe machen, die so lange zu beobachten, bis man an die Hintermänner herankommt.“ Insofern ist es für Matschnig unverständlich, dass der am vergangenen Freitag enthaftete Bub von der Polizei zwar der „Drehscheibe“ übergeben, aber offenbar nicht weiter observiert wurde.