Kind getötet: 15 Jahre Haft für Mutter

Eine 38-jährige Frau ist am Dienstag im Wiener Straflandesgericht wegen Mordes zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Sie erstach am 4. August 2015 in Hernals ihre vierjährige Tochter. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

Verteidigerin Astrid Wagner bat um Bedenkzeit, Staatsanwalt Gerd Hermann gab vorerst keine Erklärung ab. Der Wahrspruch der Geschworenen fiel einstimmig im Sinne der Anklage aus. Bei der Strafbemessung waren die bisherige Unbescholtenheit der Frau und ihre geständige Verantwortung mildernd.

Angeklagte vor Prozessbeginn

APA/Herbert Neubauer

Die 38-Jährige am Dienstag vor Prozessbeginn

Erschwerend berücksichtigten die Richter das Alter des Opfers und den Umstand, dass der 13-jährige Sohn der Frau die Bluttat mitansehen musste. „Es wäre nicht überraschend, wenn er das als Trauma erlebt hätte“, meinte die psychiatrische Sachverständige Adelheid Kastner auf die Frage nach möglichen Folgen für das weitere Leben des Schülers.

Verteidigerin sah Tat im Affekt

Die Angeklagte habe ihre Tochter „abgöttisch geliebt“, betonte Verteidigerin Wagner am Dienstag vor Gericht. Es habe sich „um keine geplante Tat“ gehandelt, die Tat sei „nicht passiert, weil sie eine böse, grausame Mutter ist. Sie hat die Tat begangen, weil sie ihre Tochter so geliebt hat.“ Auch Staatsanwalt Gerd Hermann sprach in seinem Eingangsplädoyer von einem „idyllischen Familienleben“. Über den Ablauf der Tat wollte oder konnte die Frau am Dienstag keine genauen Angaben machen.

Verteidigerin: Delogierung ausschlaggebend

Wie der fünfseitigen Anklageschrift zu entnehmen ist, soll die Mutter am 4. August mit einem elf Zentimeter langen Küchenmesser wiederholt auf das Kind eingestochen haben. Die Vierjährige erlitt zahlreiche Schnitt- und Stichwunden am ganzen Körper. Laut Gerichtsmediziner waren Verletzungen am Hals und im Brustbereich todesursächlich, die binnen kürzester Zeit einen massiven Blutverlust bewirkten - mehr dazu in Tochter erstochen: Mordanklage gegen Mutter.

Ausschlaggebend für die Bluttat war laut Verteidigerin Wagner die Delogierung der Familie, welche die Frau nicht mehr abwenden konnte. „Sie hat befürchtet, die Kinder werden im Heim landen. Sie hat sich als Versagerin gefühlt. In dem Moment war für sie alles aus“, so Wagner, die Ansätze in Richtung eines „erweiterten Suizids“ zu erkennen glaubte. Auf Befragen von Richterin Nina Steindl, ob sie an Suizid gedacht habe, antwortete die Angeklagte allerdings, sie habe das erst nach ihrer Inhaftierung in Erwägung gezogen.

Gutachten: Angeklagte zurechnungsfähig

Wie die psychiatrische Sachverständige Adelheid Kastner darlegte, befand sich die Frau in einem „extrem Belastungszustand“, weil sie erkennen musste, dass sie diesmal die Delogierung aus ihrer Wohnung nicht mehr abwenden konnte. Das war ihr zuvor fünf Mal im jeweils letzten Moment gelungen. In dieser Situation habe die Frau keine weitere Belastung mehr ertragen können, die sie laut Kastner allerdings hinnehmen musste, als ihre vierjährige Tochter ihr weinend erklärte, sie wolle nicht aus der Wohnung ausziehen.

Da sei bei der Mutter „das System gekippt“, führte die Gutachterin aus. Dass die Frau zum Messer griff, habe im Ergebnis bewirkt, „dass der akustische Druck, den die Tochter ausgeübt hat, weg war“, legte Kastner den Geschworenen dar. Zur Frage, ob bei der Frau Zurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt gegeben war, sagte die Sachverständige, diese sei „noch vorhanden“ gewesen.

Die Gerichtspsychiaterin außerdem von einer „Impulstat“, hervorgerufen durch „eine Panikattacke, eine Angstattacke“, weil an der Delogierung nicht mehr zu rütteln war. Die Frau, die Unerfreuliches stets ins Eck zu stellen pflegte und Konfrontationen aus dem Weg ging, sei plötzlich „ohne Plan da gestanden, was sie machen soll. Und wenn Dinge nicht mehr zu kontrollieren sind, wird sie panisch“, erklärte Kastner, die der Mutter attestierte, in ihrer Steuerungsfähigkeit „erheblich eingeschränkt“ gewesen zu sein.

2.100 Euro Mietrückstand

Die 38-Jährige lebte gemeinsam mit Ehemann, ihrer Tochter und ihrem 13 Jahre alten Sohn in einer Zweizimmerwohnung. Für die 49 Quadratmeter musste die Familie monatlich eine Miete von 390 Euro bezahlen. Dass sich im Lauf der Jahre Mietzinsrückstände angehäuft hatten, verheimlichte die Frau ihrem Mann, der offenbar keinen Einblick in die Finanzen hatte. „Ich habe mich geschämt, dass ich nicht imstande war, als Hausfrau mein Pflichten zu erfüllen“, erklärte die 38-Jährige vor Gericht.

Bereits im September 2013 wurde der Frau erstmals seitens Wiener Wohnen die gerichtliche Delogierung angedroht. Augenscheinlich konnte sie die Miete nicht aufbringen, da auch die Ganztagsschule ihres Sohnes, der Kindergarten der Tochter, Raten für das Auto und diverse Versicherungen sowie Strom und Gas zu bezahlen waren.

Angeklagte vor Prozessbeginn

APA/Herbert Neubauer

Die Frau bekannte sich schuldig

Mehrmals konnte die Frau in weiterer Folge den drohenden Verlust der Gemeindewohnung verhindern, indem sie jeweils im letzten Moment ihre Rückstände beglich. Die 2.100 Euro, die sich per 30. Juni 2015 angehäuft hatten, überstiegen jedoch ihre Reserven. Auch 200 Euro, die sie sich mit einer „Notlüge“ von einer Nachbarin ausborgte, konnten die Delogierung nicht mehr abwenden.

Ratenvereinbarung wurde abgelehnt

Am 4. August läuteten um 7.00 Uhr ein Gerichtsvollzieher und ein Wiener-Wohnen-Mitarbeiter an der Wohnungstür. Laut Anklage soll sich die Mutter - ihr Mann war bereits zur Arbeit gegangen - vor den beiden auf den Boden gekniet und sie gebeten haben, sie bzw. ihre Familie nicht vor die Tür zu setzen.

Nach zwei Telefonaten, die der Wiener-Wohnen-Mitarbeiter mit einer Vorgesetzten führte, wurde allerdings eine Ratenvereinbarung bzw. eine weitere Stundung der Schulden abgelehnt und der Mutter mitgeteilt, die Delogierung sei „unumgänglich“. Ihr wurde noch die Telefonnummer des Jugendamtes überlassen und mitgeteilt, sie könne sich dort um eine Ersatzwohnung kümmern.

„Geh weg und ruf Hilfe!“

Um der Frau Zeit zu geben, ihr Hab und Gut zu packen, verließen die Männer schließlich die Wohnung und kündigten an, in 20 bis 30 Minuten wiederzukommen, um die Delogierung zu „vollziehen“. Die Vierjährige dürfte mitbekommen haben, dass Außergewöhnliches vorging. Sie soll weinend zur Mutter gegangen sein, als die fremden Männer fort waren. „Diese war aufgeregt, fing zu zittern an und ging in die Küche“, heißt es dann in der Anklageschrift.

Die Tochter folgte der Mutter in die Küche, wo sich ein Messer auf der Arbeitsplatte befand. Die Frau soll, so die Anklage, plötzlich ihre Tochter gepackt, an sich gezogen und ihr mit dem Messer die tödlichen Verletzungen zugefügt haben. Ihrem 13 Jahre alte Sohn, der in die Küche gelaufen kam und „Was hast du gemacht?“ geschrien habe, entgegnete sie laut Anklage: „Geh weg und ruf Hilfe!“ Als wenig später die Polizei eintraf, ließ sich die Frau widerstandslos festnehmen.

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