Missbrauch wird Politikum

Die Missbrauchsvorwürfe im ehemaligen Kinderheim auf dem Wilhelminenberg haben am Freitag den Gemeinderat beschäftigt. Auf Antrag der FPÖ wurde über die Frage diskutiert, ob Kindesmissbrauch in Wiener Kinderheimen System hat.

In der Aktuellen Stunde des Gemeinderats verlangte FPÖ-Klubchef Johann Gudenus, die unmittelbar Verantwortlichen zu verfolgen: „Die Täter verdienen harte Strafen.“ Er schlug vor, zu prüfen, ob nicht Delikte wie Mord, Sklaverei oder sexueller Missbrauch anzuwenden seien. „Hier muss schonungslos ermittelt werden“, forderte Gudenus die Staatsanwaltschaft auf. Und es sei auch sicherzustellen, so betonte er, dass künftig betreffende Taten nicht mehr verjähren.

ÖVP-Gemeinderat Wolfgang Ulm zeigte sich überzeugt, dass die Stadt eine Schuld treffe. Wobei er auf Aussagen der früheren SP-Nationalratsabgeordneten Irmtraut Karlsson verwies, die sich bereits in den 1970er Jahren den Zuständen in den Heimen gewidmet hat. Diese habe auf die Trägheit des Systems verwiesen: „Und dafür ist die Politik verantwortlich.“

Eine Ansicht des Schloss Wilhelminenberg

APA/Herbert Pfarrhofer

Das ehemalige Kinderheim im Schloss Wilhelminenberg

Unabhängigkeit der Kommission verteidigt

Die Einsetzung einer unabhängigen Kommission wurde von Birgit Hebein (Grüne) verteidigt. Sie sprach sich gegen den FP-Vorschlag aus, Parteienvertreter in diese zu berufen. Stattdessen sollten unabhängige Experten die Untersuchung durchführen, so Hebein.

Heinz Vettermann (SPÖ) bekräftigte, dass die Stadt für eine lückenlose Aufklärung sei. Den Vorwurf, dass man damalige Erkenntnisse ignoriert habe, bestritt er: „Es wurde natürlich reagiert.“ Ob man die Heimschließungen schneller hätte durchführen können, sei eine Frage, die man vielleicht heute anders beurteile, meinte er.

Schloss Wilhelminenberg, Archivaufnahme

ORF

Heim am Wilhelminenberg

Am Rande der Debatte kam es zu einer kurzfristigen Meinungsverschiedenheit zwischen Grün und Blau. Die Grünen erwähnten, dass die FPÖ für „Jugendstraflager“ bzw. sogenannte Boot-Camps eingetreten sei. Die FPÖ wies dies als „Unwahrheit“ zurück. Tatsächlich hatte es 2008 eine Debatte um sogenannte Erziehungscamps für straffällig gewordene Jugendliche gegeben. Der entsprechende Vorschlag war damals allerdings von der ÖVP gekommen.

Oxonitsch verwies auf „Schwarze Pädagogik“

Der zuständige Stadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) hatte in der so genannten Fragestunde eine umfassende Aufarbeitung versprochen. Auf die Frage, warum die Stadt in den 1970er Jahren nicht bereits reagiert habe, als eine entsprechende Studie über die Zustände in Kinderheimen veröffentlicht wurde, sagte Oxonitsch, dass diese Studie damals nicht unter Verschluss gehalten wurde. Sie sei als Buch publiziert worden und die Stadt habe daraufhin das Heim Wilhelminenberg geschlossen und Reformen eingeleitet.

Die Reformen seien aber nicht einfach gewesen, sagte Oxonitsch weiter, da in der Gesellschaft das Thema Kindererziehung noch äußerst kontroversiell diskutiert worden sei. Dabei verwies er auf die einst übliche „Schwarze Pädagogik“, bei der Gewaltformen durchaus auch Praxis gewesen seien. Er erinnerte in diesem Zusammenhang auch an das erst 1989 erfolgte Verbot der „Watsch’n“ in Österreich. „Es hat einen Paradigmenwechsel gegeben in den letzten Jahrzehnten“, unterstrich er. Das dürfe man nicht außer Acht lassen. Es sei der Gesellschaft mittlerweile klar, „dass Gewalt in der Erziehung nichts verloren hat“.

Nächste Woche wird es auch einen Sondergemeinderatsausschuss zu dem Thema geben. Der Wiener ÖVP ist das zu wenig: Sie verlangte einen Sonderlandtag.

Kommissionsleiterin wurde präsentiert

Oxonitsch (SPÖ) hatte bereits Anfang der Woche angekündigt, dass eine eigens einberufene Kommission die Vorwürfe rund um das Kinderheim untersuchen soll. Die Leitung der Kommission wird die Präsidentin der Liga für Menschenrechte, Barbara Helige, übernehmen. Das wurde am Freitag bekanntgegeben - mehr dazu in wien.ORF.at.

Eine allgemeine Historikerkommission, die sich der Vergangenheit der Wiener Kinderheime widmet, gibt es unterdessen schon länger. Ins Rollen gebracht wurde die Causa von zwei ehemaligen Zöglingen des 1977 geschlossenen Kinderheimes. Diese erhoben Mitte Oktober schwere Vorwürfe gegen die Erzieher der Anstalt. Demnach soll es in dem Heim zu Serienvergewaltigungen und Fällen von Kinderprostitution gekommen sein - mehr dazu in wien.ORF.at.

Schlagabtausch zwischen Karlsson und FPÖ

Nach Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe war es bereits am Mittwoch zu einem Schlagabtausch zwischen der FPÖ und der früheren SPÖ-Nationalratsabgeordneten Irmtraut Karlsson gekommen.

Der Wiener FPÖ-Klubchef Johann Gudenus hatte kritisiert, dass die Stadt Wien damals, als in den 1970er Jahren erste Berichte zu den Zuständen in den Heimen vorlagen, zu spät aktiv geworden sei. Aktuell habe die Stadt zudem nichts unternommen, um die Täter auszuforschen. Gudenus befand außerdem, dass die Entschädigung der Opfer „viel zu gering“ ausfalle.

Karlsson - die in ihrem 1974 verfassten Bericht „Verwaltete Kinder“ Misstände in Kinderheimen aufzeigte - kritisierte, dass rechte Politiker die Vorkommnisse nun zu einem „Skandal des Roten Wien“ machen wollen - wobei sie Gudenus namentlich nannte. Laut Karlsson seien die Reformen der 1970er Jahre von „linken, jungen SPÖlern“ in die Wege geleitet worden.