Obdachlose: Auch bei Hitze mit Problemen

Nicht nur bei Kälte ist die Wiener Caritas im Hocheinsatz, um Obdachlosen in der Stadt zu helfen. Auch die Hitze im Sommer birgt Gefahren. Wien.ORF.at hat eine Streetworkerin einen Abend lang auf ihrer Tour durch Wien begleitet.

Es ist 17.00 Uhr, das Thermometer zeigt 30 Grad an. Der „Kältebus“ der Caritas verlässt den Innenhof der Gruft in Mariahilf. An Bord sind die beiden Caritas-Mitarbeiter Susanne Peter und Martin Gantner. Im Kofferraum befinden sich Sommer-Schlafsäcke, Kleidung und ein Erste-Hilfe Koffer. Die kommenden sieben Stunden versuchen sie, Obdachlose in Wien aufzusuchen, zu betreuen und ihnen Hilfe anzubieten.

Ihr erstes Ziel ist der Stadtpark. Seit der Räumung der „Zeltstädte“ im Vorjahr ist es hier etwas ruhiger geworden. „Es gab nie eine Zeltstadt, sondern viele Menschen, die auf Bänken geschlafen haben“, stellt Peter klar. „Einige haben sich einen anderen Schlafplatz gesucht, zwei Menschen konnten wir in Unterkünften unterbringen, aber manche versuchen noch immer, hier zu schlafen ohne vertrieben zu werden.“

Susanne Peter, Martin Gantner, Obdachlose

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Die Caritas-Mitarbeiter scheuen keinen Kontakt und bieten unverbindlich Hilfe an

Keine Papiere, keine Unterkunft

Noch bevor die Caritas-Mitarbeiter den Park betreten, treffen sie auf jemanden, der sein Lager im Gebüsch aufgeschlagen hat. Susanne Peter führt Smalltalk und fragt, wie sie helfen kann. „Ich kenne ihn schon seit zwei Jahren“, so Peter. „Er ist in einer schlechten Situation, weil er in Österreich keine Ansprüche hat. Wir versuchen, ihm einen Ausweis zu organisieren, doch er streitet seine eigene Staatsbürgerschaft ab. Das macht die Sache schwierig. Uns ist es wichtig, dass er gesund bleibt und die nötigsten Dinge hat, die er zum Überleben braucht: Essen, Trinken, Schlafsack.“

In der Nähe der U-Bahn-Station treffen sie Herrn M. Er lebt seit einem Jahr im Stadtpark, von anderen Orten wurde er schon öfters vertrieben. Rund um seine Schlafbank hortet er zahlreiche Plastiksackerl, die mit Zeitungen gefüllt sind. Er erzählt der Sozialarbeiterin, dass er verfolgt werde, ihm das Handy gestohlen wurde, er neue Kleidung und einen neuen Sachwalter brauche. Peter verspricht ihm, sich um diese und andere Dinge zu kümmern und ihn in wenigen Tagen wieder zu besuchen.

Susanne Peter, Martin Gantner, Obdachlose

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„Inzwischen werde ich hier toleriert“, meint Herr M., der derzeit im Stadtpark lebt

Peter: „Niemand ist freiwillig auf der Straße“

„Beständigkeit ist sehr wichtig“, meint Peter. „Wir müssen uns Zeit nehmen, Vertrauen aufbauen und unsere Versprechen halten. Es ist nicht das Ziel unserer Arbeit, dass Menschen von heute auf morgen von der Straße wegkommen. Wichtiger ist uns, statt Notlösungen individuelle Lösungen anbieten zu können - und das dauert manchmal.“ Das gilt auch für Herrn M.. Die Streetworker hoffen, dass er die nächsten Wochen im Stadtpark bleibt, damit sie den Kontakt aufrechterhalten können.

Zahlen & Fakten

  • Die Wiener Caritas hat 1.074 Beherbergungsplätze und Notunterkünfte für wohnungslose Menschen in 18 Einrichtungen.
  • Im Vorjahr wurden 9.803 medizinische Behandlungen im Louisebus dokumentiert.
  • In der Gruft werden pro Jahr 99.688 warme Mahlzeiten ausgegeben.
  • Der Canisibus vergab im Vorjahr 91.906 Teller heiße Suppe, wobei im Sommer täglich circa 300 Portionen und im Winter 180 Portionen ausgegeben werden.
  • Die Nachtquartiere der Wiener Wohnungslosenhilfe haben aktuell eine Auslastung von 94 Prozent.

„Wir haben die Erfahrung gemacht, dass niemand freiwillig auf der Straße ist. Man muss Wege finden, die für die Klienten möglich sind, um die Straße verlassen und Angebote der Wiener Wohnungslosenhilfe annehmen zu können", so Peter. Das ist gar nicht so einfach, denn im Gegensatz zum Winter, wo Obdachlose jeder Herkunft nach Möglichkeit einen Schlafplatz bekommen, um nicht zu erfrieren, gibt es im Sommer Höhere Auflagen.“

Peter und ihre Kollegen sind im Sommer wöchentlich dreimal in der Nacht und zweimal am Tag unterwegs, um die Obdachlosen über ihre Möglichkeiten und das Angebot der Wiener Wohnungslosenhilfe aufzuklären. Insgesamt gibt es acht Sozialarbeiterinnen, die sich diese intensiven Dienste aufteilen. Einmal pro Woche ist auch ein Psychiater mit dabei.

Hitze, Gelsen, Wunden

„Die Not und die Grundbedürfnisse gibt es 365 Tage im Jahr“, so Peter. „Vor allem wenn es heiß ist, ist es wichtig, dass die Menschen genug Flüssigkeit zu sich nehmen.“ Sie brauchen genauso einen Schlafplatz und frische Kleidung. Denn auch im Sommer kann es kalt sein und regnen. „Wenn es abkühlt und Obdachlose vom Übernachten im Freien nass sind oder geschwitzt haben, kommt es zu Verkühlungen“, so Peter. Zusätzlich sind Gelsen im Sommer eine Plage.

Im Sommer gibt es zwar nicht mehr Obdachlose, aber sie sind in den Parks sichtbarer. Peter: „In den warmen Monaten ziehen es manche Klienten vor, im Freien zu sein. Notquartiere halten sie nur schwer aus, da sie nicht wissen, mit wem sie dort sind. Oft schaffen sie die Hürden nicht, sich Verlängerungsscheine zu holen, das Notquartier zu bezahlen oder verschiedenste Bürokratien zu erledigen.“

Susanne Peter, Martin Gantner, Obdachlose

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Erst wenn Obdachlose das Vertrauen gewonnen haben, nehmen sie Hilfe an

Zuerst in die Gruft, dann ins Krankenhaus

Die Caritas-Mitarbeiter fahren weiter zur U-Bahn-Station Pilgramgasse. Dort finden sie Herrn H. vor. „Sie sehen nicht gut aus“, sagt Peter und deutet einerseits auf seine wunden Beine und andererseits auf eine Flasche. „Ist das Wodka oder Wasser?“ Herr H. antwortet verlegen: „teils, teils“.

Nach einem kurzen Gespräch lässt sich Herr H. dazu überreden, mit in die Gruft zu fahren. Dort wird er von Frau Peter geduscht und entlaust. „Ich habe auch einige Maden entfernt. Heute Abend wird er im Krankenhaus behandelt. Bisher wollte er nicht dorthin, weil er sich für seinen Zustand geniert hat.“

Susanne Peter, Martin Gantner, Obdachlose

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Allein im Juni wurden täglich 390 Teller Suppe verteilt, im Winter sind es im Schnitt 180

Ansturm auf den Suppenbus

Die letzte Station des Abends ist der Praterstern. Dort macht um 21.00 Uhr der Suppenbus der Caritas Halt. Wir treffen Karin, die heute mit anderen freiwilligen Helfern Suppe austeilt. „Insgesamt gibt es rund 70 Freiwillige, darunter Studenten, Bauarbeiter, aber auch Manager, die hier abwechselnd Suppe ausschenken“, so Peter. "Es gibt zwei Busse, die jeweils vier Stationen - wie beispielsweise Friedensbrücke, Floridsdorf, Praterstern und Schottentor - anfahren.

Bereits am Nachmittag wurden für die Busse 300 Suppenportionen vorbereitet. Heute gibt es Erbsensuppe mit Reis. „Beim Praterstern werden meistens 80 Portionen verteilt. Insgesamt schenken wir pro Tag mehrere hundert Schüsseln aus. Vor allem im Sommer ist ganz viel los“, erzählt Karin. Die Nachfrage ist - in allen Altersgruppen - groß.

Karin: „Wir sind jeden Tag zur gleichen Zeit da. Die Menschen wissen das, warten schon auf uns und die Schlange ist groß.“ Die Suppenausgabe verläuft sehr diszipliniert. „Suppe gut“, freut sich ein älterer Mann. Generell sind viele dankbare Gesichter zu sehen.

Susanne Peter, Martin Gantner, Obdachlose

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Bis Mitternacht ist Susanne Peter im Einsatz, verteilt Kleidung und Essen

Die Arbeit wird nach Hause genommen

Peter nützt die Gelegenheit, um mit möglichst vielen Obdachlosen in Kontakt zu treten. Sie verteilt Jacken, Pullover und manchmal auch einzelne Zigaretten. Zwei Herren kann sie überreden, am nächsten Tag in der Gruft vorbeizukommen. Um Mitternacht fährt sie zurück in die Gruft. Dort protokolliert sie die Geschehnisse des Tages bis 1.00 Uhr. Danach ist Dienstschluss.

TV-Hinweis:

Einen „Wien heute“-Beitrag von 19. Juli 2014 sehen Sie on Demand.

„Richtig abschalten kann man in diesem Beruf nicht, im besten Fall zu 95 Prozent.“ Für den heutigen Tag zieht Peter jedoch ein positives Resümee. Auf die Frage, wie ihre Arbeit die kommenden Tage weitergeht, antwortet sie: „So wie jetzt: Die Menschen einladen, Beziehungen aufbauen und sich freuen, wenn man mit einem T-Shirt, einem Pulli oder einer guten Dusche helfen kann.“

Florian Kobler, wien.ORF.at

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