Blindenleitsystem auf der Mariahilfer Straße
ORF/Hubert Kickinger
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Chronik

Blindenleitsystem wächst stark

Es bietet Orientierung für blinde und sehbeeinträchtigte Menschen – und es wächst stark: das taktile Blindenleitsystem in Wien. In vier Jahren ist es um mehr als ein Drittel länger geworden. Und diese Entwicklung hält laut Stadt an.

Sie heißen taktile Bodenleitsysteme und entsprechen der ÖNORM V 2102-1. Und sie erleichtern rund 25.000 Wienerinnen und Wienern den Alltag. Gemeint sind die insgesamt mehr als 46 Kilometer Rillen und Noppen, die blinden und sehbeeinträchtigten Menschen in Wien bei der Orientierung helfen.

Und die Länge wächst massiv. Im Jahr 2011 gab es laut Straßenbauabteilung MA 28 insgesamt 27,17 Kilometer, 2014 waren es bereits 34,45, und im Vorjahr gab es bereits 46,78 Kilometer. Der Grund für den rasanten Anstieg ist in den Stadtentwicklungsgebieten zu finden. „Die großen Sprünge lassen sich auf die Stadtentwicklungsgebiete – vor allem Hauptbahnhof und die Seestadt – zurückführen“, sagt MA 28-Sprecher Matthias Holzmüller gegenüber Radio Wien.

Blindenleitsystem auf der Mariahilfer Straße, vor Abgang zu U3-Station Zieglergasse
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Im Jahr 2013 war das Blindenleitsystem laut MA 28 in Wien 27,44 Kilometer lang, 2018 waren es 46,78 Kilometer

Bei Umbauten und in Stadtentwicklungsgebieten

Im innerstädtischen Bereich kommt es vor allem zum Ausbau, wenn Bereiche umgestaltet werden, sagt Holzmüller. Aktuell sei das etwa bei der Rotenturmstraße der Fall, wo rund 950 Meter taktiles Blindenleitsystem dazukommen. Auch in Zukunft wird das Netz an Rillen und Noppen in der Stadt wachsen. Etwa im Stadtentwicklungsgebiet beim Nordbahnhof oder jenem in der Berresgasse.

Wien steht im Vergleich „sehr gut da“

Eine Ö-Norm zu den Blindenleitsystemen existiert laut Holzmüller seit 1989. „Spätestens seit diesem Zeitpunkt werden in Wien taktile Blindenleitsysteme errichtet“, so der Sprecher. 2003 wurde dann die ÖNORM V 2102-1 verabschiedet. Seit damals wird der „strukturierte Ausbau“ des Systems betrieben, erklärt Martin Tree vom Blinden- und Sehbehindertenverband.

Blindenleitsystem auf der Gumpendorfer Straße
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Blindenleitsystem zur Querung der Gumpendorfer Straße

Im internationalen Vergleich steht Wien „sehr gut“ da, sagt Tree. Er betont jedoch auch: „100 prozentige Barrierefreiheit wird es nie geben“. Gerade an Baustellen komme es immer wieder zu Unfällen oder dann, wenn beispielsweise Verkehrsschilder zu niedrig angebracht sind.

Das Behindertenberatungszentrum BIZEPS hatte zuletzt auf die Leih-E-Scooter hingewiesen, die oft achtlos auf dem Blindenleitsystem abgestellt würden. „Nicht nur die Nutzerinnen und Nutzer stellen E-Scooter unsachgemäß ab, auch die Personen, die die E-Scooter aufstellen, ignorieren Zugänge und Blindenleitstreifen“, kritisiert BIZEPS.

Auf Blindenleitsystem abgestellte E-Scooter
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Auf einem Blindenleitsystem abgestellte E-Leihscooter auf der Mariahilfer Straße

Noch nicht in allen ÖBB-Stationen

„Heute sind alle Stationen im Wiener Linien U-Bahnnetz mit einem taktilen Leitsystem zur besseren Orientierung unserer sehbehinderten Fahrgäste ausgestattet“, heißt es von den Wiener Linien auf Anfrage. Damit die Leitsysteme gut tastbar bleiben, würden sie jeden Tag gereinigt.

Die ÖBB installieren seit 2001 Blindenleitsysteme bei ihren Haltestellen, allerdings sind derzeit noch nicht alle Stationen damit ausgestattet. „An der Umsetzung wird jedoch gearbeitet“, heißt es aus der Pressestelle gegenüber Radio Wien.

Erfunden wurde das Blindenleitsystem übrigens 1967 von dem Japaner Seiichi Miyake. Ursprünglich wollte er damit nur einem Freund helfen. Das taktile System wurde an einer Kreuzung unweit einer Blindenschule in Tokyo erstmals getestet. Seither kommt es weltweit zum Einsatz.