„Ich kann mir ja gar nicht vorstellen, dass man so alt wird“, so Mayröcker über ihren Geburtstag. „Ich lebe nur in Sprache“, bekannte sie immer wieder: „Ich kann alles durch meine Augen in mich aufnehmen und aus mir herausschreiben.“ Die Gedanken kommen ihr, wo immer sie ist, sie festzuhalten, ist einer der Gründe für die unzähligen Zettel, in und mit denen sie lebt. Für kommendes Jahr ist ein neues Buch geplant.
Arbeit als Englischlehrerin
Der letzte als Lyrik ausgewiesene Band erschien 2012 mit „Von den Umarmungen“, die zuletzt erschienenen Werke betitelte der Suhrkamp-Verlag selbst als „prosaische Gedichte und lyrische Prosastücke“. So erschien in den vergangenen Jahren die Trilogie „etudes“ (2013), „Cahier“ (2014) und „fleurs“ (2016). Die bisher jüngste Veröffentlichung „Pathos und Schwalbe“ erschien 2018: In dem Prosaband spielte die damals 93-jährige Dichterin sehnsüchtig, selbstironisch und beziehungsreich mit Form und Chronologie, mit Innen- und Außenbeobachtung.
Am 20. Dezember 1924 in Wien als Tochter eines Lehrers und einer Modistin geboren, wurde Mayröcker als Kind wegen ihrer zarten Gesundheit stark von der Außenwelt abgeschirmt. Bereits als 15-Jährige begann sie, kurze emotionale Prosatexte zu schreiben. In der Literaturzeitschrift „Plan“ veröffentlichte sie 1946 erste Gedichte. Im selben Jahr begann sie als Englischlehrerin an Wiener Hauptschulen zu unterrichten. Ein 1950 begonnenes Germanistikstudium musste sie abbrechen, weil ihre Lehrerinnentätigkeit die wirtschaftliche Basis der Familie sicherte.
„Hand- und Herzgefährte“ Ernst Jandl
1951 stieß Mayröcker zu einem Kreis junger Autoren um Hans Weigel, dem u.a. Ingeborg Bachmann und Hertha Kräftner angehörten. Sie lernte Andreas Okopenko kennen und 1954 Ernst Jandl, der die nächsten Jahrzehnte ihr „Hand- und Herzgefährte“ war. Sein Tod im Jahr 2000 erschütterte die Dichterin tief, ihre Trauerarbeit schlug sich in zahlreichen Büchern nieder. „Zuerst war der Schmerz sehr groß, eigentlich wollte ich nicht mehr leben – das ist milder geworden“, sagt sie im „Wien heute“-Interview.
Ehe Mayröcker sich experimentelle Techniken der Collage, Montage, Assoziations- und Traumarbeit aneignete, erschien 1956 „Larifari. Ein konfuses Buch“ mit Prosaskizzen der vorexperimentellen Phase. 1964 erschien ihr schmaler Gedichtband „metaphorisch“, 1966 schließlich brachte Rowohlt die umfangreiche Gedichtauswahl „Tod durch Musen“ heraus: „Da habe ich gedacht: Vielleicht ist das wirklich mein Weg“, sagte die Dichterin rückblickend.
Vorlass an Nationalbibliothek
Mayröckers große Prosaarbeiten sind „keine Autobiografie, dennoch authentisch“, wie die Autorin es einmal charakterisiert hat. Im Prosaband „Die kommunizierenden Gefäße“ heißt es über ihren literarischen Alltag: „Ich beginne den Tag indem ich versuche, jegliche kleinste Verrichtung, jeden Handgriff, zu verbalisieren, das ist 1 Schreiben hinter dem Schreiben, sage ich, es löst sich alles in Sprache auf (…)“.
Erst kürzlich kaufte die Österreichische Nationalbibliothek einen großen Teil des Vorlasses der Autorin an, ein kleinerer Teil befindet sich bereits in der Wienbibliothek im Rathaus. Mayröckers gesammeltes lyrisches Werk umfasst viele hundert Seiten, 2016 veröffentlichte der Suhrkamp Verlag unter dem Titel „Benachbarte Metalle“ ausgewählte Gedichte aus drei Jahrzehnten.