Demonstration vor dem Sozialministerium am Mittwoch, 12. Februar 2020
APA/Helmut Fohringer
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Wirtschaft

Sozialwirtschaft demonstriert Streikbereitschaft

Mit Trillerpfeifen und Plakaten haben am Mittwoch mehr als tausend Streikende vor dem Sozialministerium ihre Forderung nach einer 35-Stunden-Woche in der Sozialwirtschaft erneuert. An knapp hundert Wiener Schulen streikten auch die Freizeitbetreuer.

„35 Stunden, jetzt sofort“ und „Arbeitszeit runter, Löhne rauf“, forderten die trotz Kälte und Wind zahlreich erschienenen Beschäftigten aus 13 verschiedenen Organisationen im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich. Teils hielten sie ihre Betriebsversammlungen im Rahmen der Streikversammlung vor dem Sozialministerium ab, teils kamen einzelne Mitarbeiter mit selbst gebastelten Schildern, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen.

Einen kurzen Blick auf die Versammlung warf auch Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) höchstpersönlich, als er vom Ministerrat an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte. Auf einer kleinen Bühne wurden vor den Toren kämpferische Reden geschwungen. Der einhellige Tenor: Die 35-Stunden-Woche müsse dringend eingeführt werden, vor allem zur Burnout-Prävention und zur Gesundheitsförderung der Beschäftigten.

Demonstration vor dem Sozialministerium am Mittwoch, 12. Februar 2020
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Die Streikenden versammelten sich vor dem Sozialministerium

Betriebsräte drohen mit weiteren Streiks

Grund für die Proteste sind die stockenden Kollektivvertragsverhandlungen. Die Betriebsratsvorsitzenden, die zur Menge sprachen, zeigten sich kampfbereit, kündigten weitere Streiks an und zeigten hohe Bereitschaft, diese auch bis in den Sommer weiterzuführen. Der Warnstreik sei ein guter Anfang, sagte etwa Alexander Magnus, Betriebsratsvorsitzender der Sucht- und Drogenkoordination Wien, und forderte zum Durchhalten auf: „Wenn der Sozialbereich steht, steht das ganze Land!“

Soziale Warnstreiks

Die Marathon-Verhandlungen der Sozialwirtschaft um kürzere Arbeitszeit brachten kein Ergebnis für 125.000 Beschäftigte. Nun folgen Warnstreiks in ganz Österreich. Bereits am Dienstag haben Mitarbeiter der Caritas protestiert.

Eva Scherz, Verhandlerin für die Gewerkschaft GPA-djp, gab sich für die kommende Kollektivverhandlungsrunde am Montag optimistisch. „Wenn sich die Arbeitgeber einen Ruck geben“, sei eine Einigung möglich, kündigte sie an. Der mögliche Kompromiss, dass die 35-Stunden-Woche nicht auf einmal, sondern etappenweise eingeführt wird, nannte sie einen „gangbaren Weg“, über den man am Montag sicher sprechen werde.

Vida-Verhandlerin Michaela Guglberger bezeichnete das Angebot eines mehrjährigen Kombipakets von Sozialminister Anschober als „nett“, leider sitze dieser aber nicht am Verhandlungstisch mit ihnen, sondern die Arbeitgeber, sagte sie. Und: 70 Prozent der Beschäftigten in der Sozialarbeit würden in Teilzeit arbeiten, weil mehr einfach nicht zu schaffen sei.

Demonstration vor dem Sozialministerium am Mittwoch, 12. Februar 2020
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Am Montag gehen die Verhandlungen weiter

Arbeitgeber fürchten Personalmangel

Die Arbeitgeber warnten am Mittwoch trotz der hohen Streikbeteiligung von mehr als 250 Standorten erneut vor einem verschärften Personalmangel im Pflegebereich im Fall einer Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden pro Woche.

„Wir sind schon jetzt in der bedauerlichen Situation, dass wir dringend benötigte Pflegeplätze nicht anbieten können, weil uns qualifiziertes Personal fehlt“, beklagte Walter Marschitz, Verhandlungsführer der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ). „Wenn wir die Arbeitszeit verkürzen, verschärfen wir diese Situation sehenden Auges“, sagte er.

Auch Freizeitbetreuer in Schulen streikten

Zu den Streikenden zählten am Mittwoch auch rund 700 Freizeitbetreuer an 95 Schulstandorten in Wien. Da die fünfte Verhandlungsrunde für den Kollektivvertrag am Montag spät in der Nacht scheiterte, sei eine Ankündigung des Warnstreiks der Freizeitbetreuer nur kurzfristig möglich gewesen, hieß es aus der Wiener Bildungsdirektion gegenüber Radio Wien.

Man habe am Dienstag ein Schreiben an alle betroffenen Schulen ausgesandt, in dem diese aufgefordert worden seien, die Nachmittagsbetreuung der Kinder mit Lehrern sicherzustellen. Für die Organisation und Kommunikation an die Eltern seien die Schulen dann selbst verantwortlich. Neben den Freizeitbetreuern legten am Mittwoch auch Mitarbeiter anderer Betriebe ihre Arbeit nieder – etwa bei der Lebenshilfe Wien, den Wiener Sozialdiensten, beim Arbeiter-Samariter-Bund und der Sucht- und Drogenkoordination Wien.

Erste Proteste am Dienstag

Die Marathonverhandlungen der Sozialwirtschaft um kürzere Arbeitszeit brachten kein Ergebnis für 125.000 Beschäftigte. Nun folgen Warnstreiks in ganz Österreich.

Gewerkschaft richtet zentrale Streikleitung ein

In der Gewerkschaft GPA-djp wurde eine zentrale Streikleitung eingerichtet. Dort befinden sich sowohl KV-Verhandler und Betriebsbetreuer als auch Pressesprecher und Juristen. Diese sollen Kollegen in Betrieben im Fall von Problemen, Konflikten oder Auseinandersetzungen unterstützen, sollte es fehlende Informationen über die rechtliche Situation geben oder sollte jemand am Streik gehindert werden. Auch in den Bundesländern soll es regionale Streikleitungen geben, die die streikenden Kolleginnen und Kollegen mit Infomaterialien und Plakaten versorgen.