Für den Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) ist die Sache klar geregelt, und zwar in der COVID-19-Lockerungsverordnung des Bundes im Paragraf 10 Abs. 11 Z 3. Demnach sind Versammlungen ausdrücklich von den Regelungen für Veranstaltungen ausgenommen. „Weiters ist unmissverständlich formuliert: Diese sind unter den Voraussetzungen des Versammlungsgesetzes zulässig. Daher gilt: Für die Regulierung ist der Bund zuständig. Für den Vollzug die Bundespolizeidirektion.“
„Klar ist auch, dass solche Regulierungen vom Bodensee über das Kleinwalsertal bis zum Neusiedlersee gleichermaßen gelten müssen“, sagte Hacker weiter. Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl hatte zuvor ja gemeint, die Polizei hätte nur einschreiten können, wenn die Gesundheitsbehörden entsprechende Maßnahmen getroffen hätten.
Anschober lädt zu Rundem Tisch
Die Mehrheit der Demonstranten war mit Mund-Nasen-Schutz unterwegs. Absolut unberücksichtigt blieb aber die Abstandsregel. In der Zeit im Bild um 13.00 Uhr erklärte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), warum große Open-Air-Veranstaltungen veboten sind, Demos aber nicht: „Grundsätzlich ist zwischen einem Musikkonzert und einem Grundrecht in einer Demokratie, nämlich eine Demonstration durchzuführen, ein großer Unterschied. Aber auch dort wollen und werden wir lernen.“
Das „auch“ Anschobers bezog sich auf den Ibiza-Untersuchungsausschuss. Die Grundregel von einem Meter Mindestabstand würde zwar in der Regel gut berücksichtigt, „in vielen Teilbereichen, die sich hier erstmals neu stellen, ist das offensichtlich dennoch ein Lerneffekt“, sagte Anschober. Als Folge wurden Bereiche, in denen die Abstandsregeln nicht eingehalten werden konnten, neu organisiert.
In einer Aussendung sprach der Gesundheitsminister davon, dass offenbar alle überrascht waren über die große Teilnahme. Zwar würde auf vielen Bilder ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden, „Einige Fotos sind aber auch irritierend.“ Daher habe er Vertreter der Stadt, der Exekutive, der Gesundheitsbehörde, des Gesundheitsministeriums und der Veranstalter zu einem Runden Tisch eingeladen. „Bei diesem wird evaluiert, warum die verpflichtenden Abstandsregelungen teilweise nicht eingehalten wurden und wie dies in Zukunft bei Demonstrationen sichergestellt werden kann“, so Anschober.
Umweltmediziner Hans-Peter Hutter appellierte im „Wien heute“-Interview, nicht noch mehr Einschränkungen zu erlassen, sondern auf die Eigenverantwortung der Menschen zu setzen. „Es ist ganz wichtig, dass wir die üblichen Maßnahmen stringent einhalten, es wird wahrscheinlich eine Maske sein, die uns da begleitet.“
Pürstl bezieht sich auf Novelle des Epidemiegesetzes
Nach der „Black Lives Matter“-Demonstration am Donnerstag hatte sich Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl zu Wort gemeldet. Trotz Nicht-Einhaltens des Sicherheitsabstandes habe kein Grund bestanden, die Versammlung aufzulösen. Natürlich gelte im öffentlichen Raum die Abstandsregel von einem Meter, betonte Pürstl. Aber im Falle einer genehmigten Demonstration mit 50.000 Teilnehmern sei dies eine Verwaltungsübertretung, die die Versammlung mit sich bringe. Das sei ähnlich wie das Betreten der Fahrbahn bei einer Demonstration. Es habe also keinen Grund gegeben, die Versammlung aufzulösen.
Auch wenn weniger Menschen an der Demo teilgenommen hätten, hätte dies nichts geändert. Erwartet waren einige Tausend Teilnehmer, geworden sind es schließlich rund 50.000. Anders sei die Lage bei der Demonstration gegen das CoV-Maßnahmenpaket Ende April gewesen. „Das war noch vor den Lockerungsverordnungen“, sagte Pürstl. Der Veranstalter habe damals eine Demonstration mit fünf bis zehn Teilnehmern angemeldet. Als dann mehr Menschen kamen, habe er „die Veranstaltung selbst nicht mehr im Griff gehabt“.
Durch die Novellierung des Epidemiegesetzes danach sei festgelegt worden, dass die Gesundheitsbehörden Auflagen für Versammlungen vorgeben können. „Wenn die Behörden dies nicht tun, kann die Polizei die Verwaltungsübertretung allein nicht dazu nützen, um die Versammlung aufzulösen“, so Pürstl.
Erneute Demo am Freitag
Trotz Regens sind am Freitagnachmittag erneut viele Menschen zu einer Kundgebung gegen Polizeigewalt vor die US-Botschaft in Wien geströmt. Eine Schätzung der Teilnehmerzahl wollte die Polizei vorerst nicht vornehmen. Viele Leute hielten Schilder in die Höhe, so war neben „Black lives matter“ etwa „A change is coming“, „Kann nicht atmen“ oder „Wir sind auch Wien“ zu lesen.
„Wir schwarzen Menschen sind solidarisch, egal wo wir sind“, sagte Imoan Kinshasa, eine der Organisatorinnen. „Der Tod von George Floyd hätte uns alle treffen können. Wir demonstrieren aber auch dagegen, wie kürzlich ein Aktivist von der Polizei behandelt wurde und generell für Menschenrechte“. Geplant ist die Kundgebung bis 22.00 Uhr, neben Reden sollen auch schwarze Künstler für die musikalische Umrahmung der Veranstaltung sorgen. Die US-Botschaft in Wien dankte schon im Vorfeld in einer Aussendung den Demonstranten „für das Zeichen der Solidarität mit der amerikanischen Zivilgesellschaft“.