Christopher Chaplin
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Chaplins Weg aus der Dunkelheit

Der britische Künstler Christopher Chaplin hatte nicht nur einen berühmten Vater, er ist auch selbst seit Jahren international als Elektronikmusiker und Avantgardekomponist erfolgreich. Nun erschien sein neues Album bei einem Wiener Musiklabel.

„Ich wünschte, ich wäre Mozart und könnte einfach eine Symphonie in meinem Kopf schreiben – aber ich muss es wirklich hören. Dank heutiger Technologien kann ich das machen“, sagt Christopher James Chaplin. Er gab dem ORF eines seiner seltenen Interviews. Denn viel ist über den jüngsten Sohn der Stummfilmlegende Charlie Chaplin nicht bekannt.

Der studierte Pianist begann nach einem Ausflug in die Schauspielerei mit 40 Jahren mit elektronischer Musik zu experimentieren und sich wieder ganz dem Komponieren zu widmen. Ausschlaggebend dafür waren unter anderem Auftragswerke fürs Theater und neue technologische Möglichkeiten unserer Zeit. Er komponiert etwa am Synthesizer und Computer statt am herkömmlichen Klavier.

Wiener Musiklabel entdeckt Chaplin

Michael Martinek vom Wiener Musiklabel Fabrique Records entdeckte Chaplin vor zwölf Jahren und seine elektronischen Oratorien – die oft mehr als zehn Minuten lang sind – zufällig auf MySpace – und veröffentlicht nun mittlerweile sein drittes Album „M“.

Basierend auf Texten von William Shakespeare, Ovid und Percy Bysshe Shelley beschäftigt es sich – zufälligerweise passend zur aktuellen Coronavirus-Zeit – mit Veränderung und Wandlung. Dafür borgte sich Chaplin für ein Stück auch die Stimme von Mira Lu Kovacs – die im Vorjahr etwa das Wiener Popfest kuratierte, oder aktuell mit den Formationen 5K HD oder My Ugly Clementine erfolgreich ist. Weitere Gastkünstler sind die französische Schauspielerin Aurelia Thierree und BRIT Award-Gewinner Finley Quaye, den Chaplin zufällig bei einem Konzert kennenlernte.

Chaplins Musikvideos – eines wurde etwa im Wiener Franziskanerkloster gedreht – verraten nicht viel. „Ich mag meine Arbeit nicht erklären und sagen, das ist die Botschaft. Die Gefahr bei Musikvideos ist aber genau die, dass du die Arbeit interpretierst.“

Chaplin geht seinen eigenen Weg

Zur Musik kam er über seinen Vater, denn dessen Filme sind zuhause oft gezeigt worden. Wenn der heute 57-Jährige Brite auf Tour ist, wird er auch immer wieder auf seinen berühmten Namen angesprochen. „Bist du mit Chaplin verwandt? Ich sage ja. Er darauf: Wie bist du mit ihm verwandt? Ich bin sein Sohn. Und er sagt: Nein bist du nicht. Das ist unmöglich.“

Chaplin ist das gar nicht unrecht – er möchte seinen eigenen Weg als Künstler gehen. „Die Musik ist wirklich eine Art Therapie für mich. Das ist vielleicht ein bisschen kitschig wenn ich sage: Mein Ziel ist nicht ein Star zu werden, sondern meine eigene Stimme zu finden.“

Florian Kobler (ORF) und Christopher Chaplin
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Chaplin im Interview mit ORF-Redakteur Florian Kobler: „Ohne Bart hätte ich Angst, mich nicht wiederzuerkennen.“

Vater wollte „ordentliche Ausbildung“

„Wer bin ich?“ Dieser Frage geht Chaplin seit seiner frühen Kindheit nach. Es geht ihm dabei gar nicht um eine konkrete Antwort, sondern um den künstlerischen Weg dorthin. Christopher James Chaplin wurde 1962 in der Schweiz geboren und wuchs in Corsier-sur-Vevey auf. „Die Beziehung zu meinem Vater war großartig. Aber für mich als Zehnjährigen war er natürlich aus meiner kindlichen Sicht mit 84 Jahren schon betagt. Er war wohl für meine älteren Geschwister eher eine Vaterfigur als für mich.“ Seine Mutter Oona O’Neill, sie war die vierte Ehefrau von Charlie, sorgte sich um ihn.

Sein Vater wollte immer, dass Christopher und seine Geschwister eine ordentliche Ausbildung machen. Er warnte auch davor, Geld in Filme zu stecken. „Du verlierst womöglich alles.“ Chaplin war 15 Jahre alt, als sein Vater im Jahr 1977 starb.

Klavierspielen – eine Hassliebe

Christopher hatte jeden Mittwoch nach der Schule private Klavierstunden. „Zuerst hasste ich es“, gesteht er. Er dachte, klassische Musik sei etwas, das nur alte Leute hören. Doch dann öffneten sich durch Werke wie „Tod und Verklärung“ von Richard Strauss – das hörte er im Radio und kaufte sich sofort eine Platte davon – eine neue Welt für ihn. „Mit 14 Jahren dachte ich mir, ja das ist das, was ich tun möchte, ich möchte Konzertpianist werden – und begann viele, viele Stunden zu üben.“

Für eine große Karriere war es allerdings schon zu spät. „Ich konnte nur ein gewisses technisches Level erreichen und nicht mehr.“ Er lernte dann auch noch Klarinette, Saxofon und Schlagzeug – und komponierte erste Stücke am Klavier.

Neues Album von Christopher Chaplin

Das Wiener Musiklabel Fabrique Records hat den Sohn von Charlie Chaplin mit seinen elektronischen Oratorien zufällig auf MySpace entdeckt – und veröffentlicht nun sein drittes Album M.

Schauspieler ohne Überzeugung

Nachdem er am Konservatorium in Genf nicht aufgenommen wurde, wusste er nicht recht, was er tun sollte und sah sich nach Alternativen um. „Zu der Zeit bekam ich ein Angebot, bei einem Film in London mitzuspielen. Also zog ich nach London und spielte unter anderem in „Where Is Parsifal?“ mit. Das war eine große Produktion. Danach dachte ich, okay, das ist das, was ich machen werde, ohne große Überzeugung, aber Schauspielen war das, was auch meine Brüder und Schwestern machten.“

Chaplin ging auf eine Schauspielschule und wirkte 15 Jahre lang in Theaterstücken und Filmen mit. Obwohl die Arbeit beim Film glamouröser war, bevorzugte er stets das Theater. „Es werden sehr viele schlechte und nur wenige gute Filme gemacht. Ich hatte nicht das Glück in einem erfolgreichen Film zu landen.“ Insgeheim galt seine Liebe ohnehin immer der Musik.

Christopher Chaplin live
Peter Draxl
Christopher Chaplin tritt vor allem auf Festivals, in Museen und Kunstgalerien auf

Entdeckung elektronischer Musik

Chaplin begann wieder zu komponieren und wandte sich zunehmend dem Schauspiel ab. Er schrieb Musik für Theaterstücke – etwa für ein schwedisches Kindertheater – und stellte Partituren ins Internet, in der Hoffnung, dass sie Musiker finden und aufführen würden. „Ein Trio oder ein ganzes Orchester. Das war meine Idee.“ Auch auf MySpace veröffentlichte er einst elektronische Musikstücke. „Da kontaktierte mich Michael Martinek. Er sagte, er hat dieses Label in Wien und lud mich ein bei einem Konzept-Albumprojekt gemeinsam mit Thomas Pötz alias Kava mitzumachen.“

Es folgten gemeinsame Kollaborationen mit anderen internationalen Elektronikmusik-Künstlern und weltweite Auftritte in Kunstgalerien, Museen und bei Festivals – etwa mit dem deutschen Experimentalmusiker Hans-Joachim Roedelius in Lunz am See oder beim Primavera-Festival in Barcelona. Roedelius war es auch, der Chaplin durch die zahlreichen gemeinsamen Auftritte für Live-Improvisationen begeisterte. Chaplins nützt diese auch immer öfters für seine Solo-Performances und wird dabei von Live-Visuals begleitet.

„Das Improvisieren auf der Bühne ist das Gegenteil vom Komponieren. Du hast keine Zeit, um zu reflektieren. Alles passiert im Moment. Auch deine Fehler. Du hast keine Kontrolle. Wenn es funktioniert, dann bist du total verloren – und diese Momente sind unglaublich magisch.“

Die Dunkelheit umwandeln

Nach zahlreichen Kollaborationen veröffentlichte Chaplin 2016 sein erstes Soloalbum „Je suis le Ténébreux“, zwei Jahre später folgte „Paradise Lost“ und nun eben „M“ – der Abschluss einer Albumtrilogie, für den er musikalisch wieder zwischen experimenteller Elektronik und Avantgarde wandelt.

Sein Vater hatte in seinen Filmen oft eine bestimmende Botschaft. Die Rede am Ende von „Der große Diktator“ etwa wurde weltberühmt. „In Amerika haben viele versucht, ihn davon abzuhalten, aber es war ihm eine Herzensangelegenheit. Man muss sich vergegenwärtigen, dass er das ja gemacht hat, als damals noch Krieg war. Und auch ich dachte als Teenager, dass die Rede am Schluss gewagt war. Aber ich änderte meine Meinung rasch. Die Rede ist so wichtig und heute relevanter denn je. Es ist unglaublich, wie visionär mein Vater war.“

Chaplin selbst möchte zu seiner Musik keine Beschreibung mitgeben. „Ich bin kein Fan davon genau zu erklären, was ich mache. Für mich als Künstler macht es jedenfalls Sinn. Das Publikum ist eingeladen, sich selbst auf die Suche zu begeben“. Was er durch die intensive Arbeit an seinen bisherigen drei Alben erfahren hat – und was auch in seiner Musik zu spüren ist: „Ich dachte immer, man muss die Dunkelheit loswerden. Aber – um die Erleuchtung zu finden, musst du durch die Dunkelheit gehen und sie umwandeln.“