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Politologe zu Ausschreitungen: „Neue Stufe der Gewalt“

Nachdem eine Kurden-Demo gestern nach Störaktionen in Favoriten eskaliert ist, geben sich Politikbeobachter besorgt. Durch die innertürkischen Konflikte sei eine neue Stufe der Gewalt in Wien erreicht worden, betont Politologe Thomas Schmidinger.

Rund 300 Kurden und linke türkischstämmige Personen, unterstützt von antifaschistischen Österreichern, haben Donnerstagnachmittag am Viktor-Adler-Markt gegen Frauenmorde in Syrien und die türkische Regierung protestiert. Diese Kundgebung wurde von dutzenden rechtsgerichteten, türkischstämmigen Burschen gestört.

Es kam Augenzeugen zufolge zu Schreiduellen. Es flogen Steine, Flaschen und Kracher. Im Laufe der Nacht taten sich nationale Jugendliche erneut zusammen. Im Ernst-Kirchweger-Haus in der Wielandgasse kam es zu Sachbeschädigungen. Auch die Linken formierten sich erneut. Wiederholt zeigten die Jugendlichen an diesem Abend den verbotenen, rechtsextremen, türkischen Wolfsgruß.

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Attacken gegen eine Demo von Kurden und Antifaschisten sowie gegen kurdische und linke Einrichtungen in Favoriten

Zahlreiche Anzeigen, zwei schwer verletzte Polizisten

Politologe Thomas Schmidinger sagt zu dieser Gruppierung in „Wien heute“: „Damit sind im wesentlichen Anhänger dieser rechtsextremen, Nationalen Bewegungspartei (MHP) gemeint, und Anhänger dieser Großen Einheitspartei (BBP). Beide haben in Österreich Vereine und Dachorganisationen und beide betreiben in Österreich Moscheen.“

Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort und beteuert, es habe ein "sehr konsequentes Vorgehen der Polizei gegeben“. Von Beobachtern heißt es mitunter wiederum, die Polizei hätte die Vorfälle erst sehr spät unter Kontrolle bekommen. Insgesamt ist es zu drei Festnahmen, zwölf strafrechtlichen Anzeigen und 20 Verwaltungsanzeigen gekommen. Die gewaltbereiten Demonstranten haben laut Innenministerium zwei im Einsatz befindliche Polizisten sowie einen Diensthund verletzt.

Erneut Angriff Grauer Wölfe auf kurdische Demo

Mitglieder der rechtsextremen türkischen Gruppe griffen den zweiten Tag in Folge Kurden an und attackierten auch das Ernst-Kirchweger-Haus.

„Kein importierter Konflikt“

Für Schmidinger haben die innertürkischen Konflikte, die in Wien in den vergangenen Tagen ausgetragen wurden, eine neue Stufe der Gewalt erreicht. „Da gibt es jetzt massiven Handlungsbedarf. Da müssen sich jetzt die Stadt Wien und der Bund zusammensetzen und überlegen, welche Maßnahmen man ergreifen kann.“ Das wären zum Beispiel „soziale Maßnahmen, polizeiliche Maßnahmen, aber auch Maßnahmen sozialpolitischer Bildung“.

Und: „Grundsätzlich muss man sagen, dass das alles Akteure sind, die in Wien leben. So importiert ist dieser Konflikt nicht. Das ist eher ein transnationaler Konflikt, wo gewissermaßen die Türkei gezielt Teile der türkischen Diaspora auch für türkische Politik benutzt und wo, Entwicklungen in der Region auf ganz bestimmte Art rezipiert werden, sich hier aber verschränken mit lokalen Problemen.“

WIEN: DEMONSTRATION VON KURDISCHEN UND LINKEN AKTIVISTEN IN FAVORITEN
APA/Stringer
Der Exekutive zufolge nahmen etwa 300 Personen an der Kundgebung teil

Diese Probleme würden tatsächlich auch mit der wirtschaftlichen Situation der Personen zusammenhängen, die sicher mit Diskriminierungserfahrungen und Perspektivenlosigkeit einhergehe, so der Politologe in „Wien heute“.

Ludwig: „Gewalt ist auf das schärfste abzulehnen“

Hat Wien ein Integrationsproblem? Auf diese Frage antwortet SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig am Freitagabend im „Wien heute“-Interview: „Wien hat hier weniger ein Integrations-, als ein Sicherheitsproblem. Die allermeisten Menschen, die in unserer Stadt leben, bekennen sich auch zu einem friedlichen Miteinander. Wenn es einzelne Personen oder Gruppen gibt, die aus politischen oder sonstigen Gründen glauben, Gewalt ausüben zu müssen, ist das auf das Schärfste abzulehnen.“

Um solche Situationen wie gestern zu vermeiden, sei in der Vergangenheit auch bereits ein Deradikalisierungsnetzwerk geschaffen worden. „Das kümmert sich darum, dass politische Gruppen nicht an junge Menschen herankommen. Das ist eine permanente Herausforderung“, so Ludwig.

Hebein: „Kein Platz für Faschismus“

Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grünen) betonte, dass es „keinen Platz für Faschismus“ geben dürfe. Sie forderte via Twitter, dass auch ein „offensives Einschreiten der Polizei“ nötig sei, wenn „Faschisten wie die Grauen Wölfe“ gewalttätig gegen Kurdinnen und Kurden auftreten.

NEOS-Wien-Klubobmann Christoph Wiederkehr bekräftigte in einer Aussendung: „Gewalt ist in jeder Form zu verurteilen. Das Demonstrationsrecht ist ein Grundpfeiler der liberalen Demokratie und von uns allen zu verteidigen. Wien ist eine weltoffene, tolerante Stadt – das soll so bleiben.“ Genau deshalb dürfe es „null Toleranz“ gegenüber extremistischen Ausschreitungen geben.

Innenminister Nehammer: „Keine Toleranz“

Innenminister Karl Nehammer(ÖVP) sagte in einer schriftlichen Stellungnahme, er habe „absolut keine Toleranz“ dafür, wenn versucht werde, „türkische Konflikte auf Österreichs Straßen auszutragen“.

Ähnlich wie der Innenminister reagierte Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP). „Ich will keine Auseinandersetzungen zwischen Migrantengruppen auf Wiens Straßen. Wir werden es nicht dulden, dass Konflikte aus dem Ausland zwischen gewaltbereiten extremistischen Gruppen auf österreichischem Boden ausgetragen werden und unsere Werte mit Füßen getreten werden“, sagte sie.

FPÖ-Chef Norbert Hofer ortete ein „doppeltes Extremismusproblem der Stadt Wien, und zwar mit Linksextremen und Kurden einerseits und türkischen Nationalisten, Grauen Wölfe und Erdogan-Treuen andererseits“.

Weitere Demonstrationen in den nächsten Tagen

In den nächsten Tagen rechnet die Polizei mit weiteren Demonstrationen. Man wolle entschieden bei Störaktionen einschreiten und gegen verbotene Symbole vorgehen, betonten die Einsatzkräfte am Freitag. Vorerst wenig zu tun gab es Freitagabend bei einer erneuten Kundgebung am Keplerplatz mit 400 teilnehmenden Personen.

Die Polizei hatte die Wielandgasse, wo das in den vergangenen Tagen beschädigte Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) steht, abgesperrt. Über dem Viertel kreiste permanent ein Polizeihubschrauber. Demonstriert wurde „gegen die Aggressionen und Angriffe türkisch-nationalistischer und islamistischer Gruppen“ der vergangenen Tage, hieß es vonseiten der Aktivisten. Auch ein paar Dutzend Schaulustige hatten sich abseits der Absperrungen zu den Demonstranten gesellt.

Trotz des Vermummungsverbots erschienen einige Demonstranten maskiert. Für die Exekutive dürfte es allerdings schwer festzustellen gewesen sein, ob dies der derzeitigen Coronapandemie geschuldet war oder nicht.