Chronik

Zehn Jahre Haft in Wiener Terrorprozess

Ein 32-jähriger Tschetschene ist am Donnerstag am Landesgericht für Strafsachen in Wien zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Der Schuldspruch unter anderem wegen versuchten Mordes ist nicht rechtskräftig.

Der Mann soll sich von 2010 bis 2013 in seiner Heimat als Kämpfer für die radikalislamistische Terrorgruppe „Emirat Kaukasus“ betätigt haben. Deren Anführer Doku Umarow wollte im Nordkaukasus einen radikalislamistischen Gottesstaat auf Grundlage der Scharia errichten. Mehr als 900 Anschläge auf russischem Staatsgebiet werden dem „Emirat Kaukasus“ zugeschrieben. Der Angeklagte soll an Feuergefechten mit russischen Soldaten beteiligt gewesen sein.

Der 32-Jährige stellte das beim Prozess nicht in Abrede, bekannte sich dessen ungeachtet aber „nicht schuldig“. Nun wurde er wegen terroristischer Vereinigung und versuchten Mordes als terroristische Straftat schuldig erkannt. Von der ebenfalls inkriminierten Ausbildung für terroristische Zwecke wurde er freigesprochen. Bei der Strafbemessung wurden dem 32-Jährigen seine Unbescholtenheit und sein Beitrag zur Wahrheitsfindung mildernd angerechnet. „Hätte er bei der Polizei nicht so umfangreich ausgesagt, wäre es nie zu einem Verfahren in dieser Form gekommen“, stellte die vorsitzende Richterin fest.

Keine „radikalislamistische Gesinnung“

Der Staatsanwalt gab vorerst keine Erklärung ab. Verteidiger Wolfgang Blaschitz meldete gegen die Gerichtsentscheidung Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Er bezeichnete den Angeklagten als „Soldaten, der im Sinne des Völkerrechts gehandelt hat“. Dieser habe sich in einem „Partisanenkrieg“ auf „die Seite der Schwachen“ gestellt.

Dem Mann sei es „um das Selbstbestimmungsrecht seines Volkes und nicht um irgendwelche terroristischen Straftaten“ gegangen: „Wir reden von Tschetschenien. Nicht von einem österreichischen Mädchenpensionat. Da ist es anders zur Sache gegangen als wir uns hier in Österreich vorstellen können.“ Sein Mandant habe „die russischen Invasoren abwehren wollen“, betonte Blaschitz. Eine radikalislamistische Gesinnung habe er „zu keinem Zeitpunkt aufgewiesen“.

Als Erblindeter nach Österreich

Der Angeklagte soll in einen Angriff auf ein russisches Sonderbataillon an der tschetschenisch-inguschetischen Grenze involviert gewesen sein, bei dem im Dezember 2014 vier Soldaten ums Leben kamen. Außerdem soll er jüngere Kampfgefährten im Waffengebrauch ausgebildet haben.

Seinen Angaben zufolge geriet er im September 2013 in eine Sprengfalle. Ein in ein Mobiltelefon eingebauter Sprengsatz zerfetzte ihm die linke Hand und kostete ihn das Augenlicht. Verwandte brachten den Erblindeten in weiterer Folge nach Inguschetien, von wo er nach Österreich geschleppt wurde. Ende Juli 2017 suchte er um Asyl an. Der Antrag wurde erstinstanzlich abgewiesen.

„Sah nur zwei Seiten“

Vor Gericht unter dem Vorsitz von Martina Frank präsentierte sich der Angeklagte als „Freiheitskämpfer“. Er habe in Tschetschenien „lange Zeit beobachtet, wie Menschen entführt und ermordet wurden“, gab er zu Protokoll. Die russischen Invasoren seien gegen sein Volk vorgegangen: „Warum können 300.000 Tschetschenen umgebracht werden und davon redet niemand? 40.000 Kinder wurden getötet.“

Er sei daher mit 20 Jahren „in die Berge gegangen“ und habe sich einer Truppe unter dem Oberkommando von Doku Umarov angeschlossen, um die lokale Bevölkerung vor den Besatzern zu schützen: „Ich wusste nicht, dass dieses Emirat ausgerufen wurde. Ich sah nur zwei Seiten. Die Zivilbevölkerung und die russischen Besatzer."