Blick vom Justizpalast auf das Rathaus
ORF.at/Roland Winkler
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WAHL 2020

Politikexperte rechnet nicht mit Rot-Türkis

Nach der Wien-Wahl stehen der SPÖ mehrere Koalitionsoptionen offen. Rot-Türkis sei eher unwahrscheinlich, sagte Politikberater Thomas Hofer in Radio Wien. Er sieht mehr Chancen, dass es zu einer Fortsetzung von Rot-Grün kommt.

Der Wahlkampf der SPÖ war aus Sicht des Politikberaters ein „nahezu fehlerloser“. „Michael Ludwig ist da über den Dingen geschwebt“, so Hofer. Im Wahlkampf musste die SPÖ einen Spagat hinlegen, „um ihre Wählerkoalition, die von grünaffinen Wählern bis hin zu ehemaligen FPÖ-Wählern geht, für sich zu vereinen“. Nun könne Ludwig aus verschiedenen Koalitionsvarianten auswählen.

Rot-Türkis „realpolitisch“ unwahrscheinlich

Eine rot-türkis Koalition ist laut Hofer zwar „mehrheitspolitisch“ möglich, sei aber „realpolitisch“ eher unwahrscheinlich. Denn ÖVP-Wien-Spitzenkandidat Gernot Blümel müsste als Vizebürgermeister den Finanzstadtrat für sich verlangen: „Den gibt die SPÖ nie und nimmer her“, so Hofer. Außerdem sei Wien schon immer ein „politischer Reibebaum“ für die ÖVP gewesen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und auch die rot-grüne Stadtregierung hätten damit immer wieder Politik gemacht.

Blümel
APA/Helmut Fohringer
Im Wahlkampf von Gernot Blümel (ÖVP) seien viele Fehler passiert, meinte Politikberater Hofer

„Es wird eng für Rot-Grün“

Realistisch sei hingegen eine Koalition zwischen Rot und Grün. Auch wenn Hofer glaubt, dass es da „eng wird. Es ist tatsächlich so, dass das keine g‘mahte Wiesen ist für die Grünen, die dritte Auflage von Rot-Grün“. Denn es sei „sehr viel Porzellan zerbrochen“, auch was das persönliche Verhältnis angehe. „Ganz abschreiben würde ich sie nicht. Aber es ist tatsächlich so, dass die Chance im Vergleich zum Beginn des Wahlkampfs schon gesunken sind“, sagte Hofer im „Wien heute“-Studoiogespräch.

Analyse von Politikberater Thomas Hofer

Politikberater Thomas Hofer analysiert die Wien-Wahl und die möglichen Koalitionen.

„Ich glaube, dass die SPÖ nur dann weitermacht, wenn es Änderungen beim Ressort gibt.“ Vor allem im Bereich der Verkehrspolitik sei es vorstellbar, „dass die SPÖ in den Verhandlungen drängt, dass sich die Grünen anders orientieren“. Hier würde Bürgermeister Ludwig wohl versuchen, Druck auszuüben, in Form von anderen möglichen Koalitionspartner, etwa NEOS.

Eine Koalition mit den NEOS sei durchaus „eine Option“, meinte Hofer. Aber auch hier gebe es Sollbruchstellen, auch weil die beiden Parteien bei vielen Themen am ganz unterschiedlichen Ende des ideologischen Spektrums sind. Auch das Bildungsressort, das NEOS am liebsten hätte, würde wohl ein großer Streitpunkt sein. Es sei also die Frage, wie „billig“ sich NEOS gebe. Mit der FPÖ oder dem Team Strache hatte Ludwig eine Koalition bereits vor der Wahl ausgeschlossen.

Hofer: NEOS-Plus war zu erwarten

Bei den Grünen hätte Hofer mehr Potenzial gesehen. Der Wahlkampf war „eher durchwachsen“, die Spitzenkandidatin Birgit Hebein habe nur eine „geringe Strahlkraft“. Doch auch die Bundespolitik hatte sich laut Politikberater Hofer negativ ausgewirkt: „Klarerweise hat die grüne DNA unter dem einen oder anderen Regierungsprojekt gelitten.“ Nun müsse die Partei um die Regierungsbeteiligung zittern.

Hebein mit Maske
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Brigit Hebein hat laut Hofer nur „geringe Strahlkraft“ im Wahlkampf gehabt

Schlechter fiel die Bilanz des Politikberaters auch für die ÖVP aus. Im Wahlkampf seien einige Fehler passiert, das sei „untypisch“ für die Türkisen, meinte Hofer. Das Ergebnis sei daher umso mehr ein Erfolg für die Partei, auch wenn sie nicht wie erhofft über 20 Prozent gekommen ist. „Vor ein paar Monate gab es noch klare Indizien, dass man über 20 Prozent kommen kann. Das ist es nicht geworden, aber es ist eine Verdoppelung, obwohl man nur vom politischen Nirvana von unter zehn Prozent kommt“, so Hofer.

Wenig überrascht zeigte sich Hofer vom Ergebnis von NEOS. „Das Plus war zu erwarten aufgrund dessen, dass die ÖVP im liberalen christlichen-sozialen Spektrum eine Flanke aufgemacht hat für die NEOS, das haben sie auch genutzt.“ Doch trotz der guten Voraussetzungen in Wien „wachsen die pinken Bäume nicht in den Himmel“, sagte Hofer.

Hofer: FPÖ-Ergebnis ist „Desaster auf ganzer Linie“

„Ein Absturz auf unter zehn Prozent kommend von über 30, das ist ein Desaster auf ganzer Linie“, so Hofer zum Wahlergebnis der FPÖ. Auch, weil die FPÖ laut Hofer über 100.000 Wählerinnen und Wähler in den Nichtwählerbereich verloren hat. Dabei habe Spitzenkandidat Dominik Nepp aus Sicht des Experten „nicht so einen schlechten Job gemacht“. Eine Personaldebatte müsse die Partei nach so einer Niederlage nun wohl trotzdem führen. „Nach so einem Ergebnis ist klar, dass es personelle Konsequenzen geben muss.“

Nepp
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Thomas Hofer rechnet mit personellen Konsequenzen innerhalb der FPÖ

Auch Kräfte außerhalb der Wiener FPÖ würden versuchen, eine Neuordnung herbeizuführen, so Hofer. Denn die Wiener Freiheitlichen seien geschwächt und gehörten nun nicht mehr zu den stärksten Landesparteien der Freiheitlichen. „Dominik Nepp wird versuchen, sich zu halten“, sagte Hofer. Der Spitzenkandidat habe sich in der Landespartei gut aufgestellt und abgesichert.

Doch auch auf Bundesebene könnte das schlechte Ergebnis Auswirkungen haben: „Es gibt ein gewisses Vakuum an der Spitze, denn Norbert Hofer ist eher der konsensuale Politiker. Der brachiale Oppositionstyp ist er eigentlich nicht.“

„Ende-Gelände“ für Strache

Eine klare Prognose, ob sich Heinz-Christian Strache nun endgültig aus der Politik zurückziehen wird, wollte Hofer nicht abgeben. Allerdings: „Wo, wenn nicht in Wien kann Heinz-Christian Strache den Einzug in einen Landtag schaffen. Wenn er das in Wien nicht schafft, und das schafft er nicht, dann ist Ende-Gelände.“ Strache fehle es zudem an einer Organisation und finanziellen Mitteln.

Strache
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Spesen- und „Ibiza-Affäre“ haben sich laut Hofer negativ ausgewirkt

Die Themen um das Coronavirus hätten ihm nicht die Breite geboten, die er gebraucht hätte. Auch die Spesen- und „Ibiza-Affäre“ hätten sich negativ ausgewirkt. „Es war immer klar, dass er einen kleine Verschworenenkreis hat“, so Hofer, einige konnte er aber nicht zum Wählen motivieren. „Das ist der Grund, warum er gescheitert ist.“