Ausstellung „Ablaufdatum. Wenn aus Lebensmitteln Müll wird“
NHM Wien / A. Schumacher
NHM Wien / A. Schumacher
Kultur

NHM zeigt Lebensmittelverschwendung

Ein Supermarkt und Mistkübel im Museum: Das Naturhistorischen Museum (NHM) widmet sich mit der Sonderausstellung „Ablaufdatum“ dem Thema Lebensmittelverschwendung. In Österreich landen jährlich rund eine Million Tonnen genießbare Lebensmittel im Müll.

EU-weit sind es rund 88 Mio. Tonnen. „Wir werden die Lebensmittelverschwendung reduzieren“, hieß es im Regierungsprogramm von Türkis-Grün, wo auch ein „Verbot des Entsorgens von genusstauglichen Lebensmitteln aus dem Lebensmitteleinzelhandel“ angekündigt wird.

Und genau dort, an der „Kehrseite des Konsums“, taucht der Besucher der NHM-Schau in das verstörende Thema ein – genau genommen an der nachgebauten Rückseite eines Supermarktes, wo überquellende Mistkübel mit Obst, Brot und Tiefkühlware veranschaulichen, was passiert, „wenn aus Lebensmitteln Müll wird“, so der Untertitel der Ausstellung.

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Ausstellung „Ablaufdatum. Wenn aus Lebensmitteln Müll wird“
NHM Wien / A. Schumacher
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Mülltonnen mit Zahlen und recyceltes Mobiliar

Mistkübel säumen den weiteren Weg durch die bis 16. Mai 2021 geöffnete Ausstellung, die einen Bogen über das Thema Lebensmittelverschwendung von der Landwirtschaft über den Handel bis zu den Haushalten spannt – und für deren Gestaltung übrigens nur recyceltes Mobiliar verwendet wurde. Aus den Mülltonnen rattern Papierbahnen, auf denen die Verschwendung in Zahlen und Vergleichen anschaulich gemacht wird.

In Österreichs Haushalten machen vermeidbare Lebensmittelabfälle 14,5 Prozent der Restmüllmasse aus. Mit den bis zu 133 Kilo genussfähiger Lebensmittel, die ein durchschnittlicher österreichischer Haushalt pro Jahr wegwirft, landet ein Wert von 250 bis 800 Euro im Müll. Mit der Menge an Brot, die in Wien jeden Tag vernichtet wird, könnte ganz Graz versorgt werden. Ein Halbierung der globalen Menge an weggeworfenen Lebensmitteln würde ebenso viele Klimagase sparen, wie die Halbierung der weltweiten Zahl an Pkw. Mindestens ein Drittel der globalen Lebensmittelproduktion geht verloren, das sind 1,3 Mrd. Tonnen jährlich.

Gemüse wird vernichtet, weil es nicht der Norm entspricht

Das wäre vor gar nicht so langer Zeit noch völlig unvorstellbar gewesen, wie ein Gemälde in der Ausstellung zeigt, mit Frauen bei der Nachernte auf einem Getreidefeld, die einzelne Getreidekörner aufklauben; unvorstellbar heute, in einer Zeit der industriellen Landwirtschaft.

Auf deren Feldern wird bereits ein Drittel des angebauten Obst und Gemüses entsorgt, weil es nicht den geforderten Normen entspricht. So werden in Europa jährlich mehr als 50 Millionen Tonnen Karotten, Gurken usw. wieder eingeackert, weil sie zu krumm, zu kurz, zu lang, zu dick oder zu dünn sind. Dabei wurde die berühmte EU-Richtlinie zur Gurkenkrümmung schon 2009 abgeschafft, doch das „Diktat des Handels“ ist nicht selten strenger als jede Norm.

In einem nachgebauten Supermarkt (Slogan: „Immer – Alles – Sofort“) beleuchtet die Schau anhand von sechs Produktgruppen verschiedene Aspekte der Lebensmittelverschwendung, vom Tierleid in Mastbetrieben, der Ausbeutung von Erntehelfern bis zur Problematik von Convenience-Produkten mit Rohstoffen minderer Qualität oder unklarer Herkunft oder den Verlockungen von Mengenrabatten, deren Ersparnis sich oftmals im Müll wiederfindet, weil es niemand schafft, soviel vor Ende des Ablaufdatums zu essen. „Wir wollen damit zum bewussten Einkauf anregen“, so Ausstellungskurator Andreas Hantschk zur APA.

„Müsste sich nur auf seine Sinne verlassen“

Das der Schau namensgebende „Ablaufdatum“ ist übrigens nur eine umgangssprachliche Bezeichnung für die auf Verpackungen angegeben Haltbarkeitsfristen: Da gibt es einerseits das „Verbrauchsdatum“ für leicht verderbliche Lebensmittel wie Fleisch, Wurst, Fisch oder Rohmilch, deren Genuss nach Überschreitung des Verbrauchsdatums gesundheitsgefährdend sein kann. Das „Mindesthaltbarkeitsdatum“ ist dagegen eine Garantie des Herstellers, dass bis zu diesem Datum Produkteigenschaften wie Geruch, Geschmack oder Konsistenz erhalten bleiben.

Die Überschreitung des „Mindesthaltbarkeitsdatums“ sei der häufigste Grund dafür, dass Lebensmittel weggeworfen werden, so Hantschk. Dabei sage es nichts über deren Genießbarkeit aus, „man müsste sich nur auf seine Sinne verlassen“. Wie absurd „Ablaufdaten“ sein können zeigt sich etwa, wenn sie sich auf Salzgebinden finden – „Salz ist Millionen Jahre alt, das läuft nicht ab“, sagte Hantschk.

In verschiedenen Bereichen der Ausstellung werden weitere Aspekte des Themas „Lebensmittelverschwendung“ beleuchtet. Dazu zählen „Dumpster Diving“, also jene „Mülltaucher“, die aus Mistkübeln von Supermärkten noch genießbare Lebensmittel holen, ebenso Möglichkeiten wie Dörren, Fermentieren, usw., um Lebensmittel haltbar zu machen, oder Organisationen bzw. Initiativen, die versuchen, die Verschwendung hintanzuhalten, etwa „Foodsharing“, „Too good to go“ oder die Wiener Tafel. Letztere sollte im Rahmen der Schau auch ihr „Sensorik Labor“ anbieten, was derzeit allerdings Coronavirus-bedingt nicht möglich ist.