Mindestsicherung
BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com
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Chronik

Pandemie zeigt Schwächen der Sozialhilfe

Die „uneinheitliche und zerstückelte“ Sozialhilfe wird von der Armutskonferenz kritisiert. Gerade die Coronavirus-Pandemie mache den großen Rückschritt in der Armutsbekämpfung durch die Abschaffung der Mindestsicherung deutlich.

„Das neue Gesetz ist ein Rückschritt in der Armutsbekämpfung“, betonte Martin Schenk von der evangelischen Diakonie. Es degradiere Betroffene zu „Bittstellern“, verschärfe bestehende Armut und baue neue Hürden auf. Dabei gebe es gerade in der aktuellen Krise massive Probleme, so Schenk: „Die schlechte Sozialhilfe kann sie nicht lösen.“ Es zeige sich aktuell, wie wichtig jetzt eine gute bedarfsorientierte Mindestsicherung wäre. An den Ausführungsgesetzen in Oberösterreich und Niederösterreich könne man sehen, „wie die Sozialhilfe versagt“.

Oberösterreich und Niederösterreich haben bisher als einzige Bundesländer solche Gesetze umgesetz. Türkis-Blau hatten das Grundsatzgesetz auf den Weg gebracht, der Verfassungsgerichtshof hob aber zwei Kernpunkte auf, nämlich die Verknüpfung mit Sprachkenntnissen wie auch die Höchstsätze für Kinder. Im kommenden Jahr sollen weitere Bundesländer folgen. Das Netzwerk aus Sozialorganisationen rechnet daher künftig mit einem „Fleckerlteppich“ bei den Länderregelungen, also genau mit dem Gegenteil dessen, was durch das Grundsatzgesetz beabsichtigt gewesen sei.

Gesetzliche Verschlechterungen

Norbert Krammer vom „VertretungsNetz“ kritisierte die oberösterreichische Regelung wegen geringerer Richtsätze für Erwachsene und Kinder, Anrechnung der Wohnbeihilfe und einer uneinheitlichen Vollzugspraxis der Behörden bei der Berechnung des Wohnaufwandes von Haushaltsgemeinschaften. Betroffene Haushalte hätten dewegen im Schnitt mehrere hundert Euro im Monat weniger zur Verfügung als in der Mindestsicherung. Auch könne die Sozialhilfe bei „Verletzung der Mitwirkungspflichten“ ausgesetzt werden, etwa dann, wenn psychisch Kranke mehrmals Termine versäumen oder Nachweise nicht fristgerecht bringen können.

Auch in Niederösterreich habe das Ausführungsgesetz Verschlechterungen gebracht. Etwa sei entgegen aller Beteuerungen die Bestimmung erhöhte Wohnkostenpauschale nicht umgesetzt worden. Und gestaffelte Kinderrichtsätze hätten zur Folge, dass Eltern mit mehr als einem Kind unter Kürzungen litten.

„Rückschritt, der Armut fördert“

Für Erich Fenninger von der Volkshilfe ist die Sozialhilfe nicht nur ein Rückschritt, sondern treffe Kinder „besonders hart“. Sie sei ein Grundgesetz „zur Beförderung und nicht zur Verhinderung von Armut“. In Nieder- und Oberösterreich würden Ausführungsgesetze zur Anwendung kommen, die Kinderarmut beförderten. Fenninger forderte daher eine umfassende Reform der Sozialhilfe und eine Kindergrundsicherung: „Wir müssen die Armut als Folge der Krise genauso bekämpfen wie die Krise selbst.“

Doris Pettighofer von der Plattform für Alleinerziehende erinnerte daran, dass sich die Situation für diese Gruppe in der Pandemie „dramatisch“ verschlechtert habe. Nicht nur hätten sich die Alltagsausgaben erhöht, so seien auch institutionelle Kinderbetreuung, Schulen und soziale Netzwerke weggebrochen. Diese Mehrbelastungen seien in „keiner Weise“ in den Hilfsmaßnahmen abgebildet worden. Die Verzweiflung bei den Betroffenen sei groß.

Arbeitslose und Delogierungen

An die 450.000 Menschen, die gegenwärtig arbeitslos sind, erinnerte wiederum Schifteh Hashemi, Geschäftsführerin von arbeit plus. Diese Menschen seien aktuell zusätzlichem Druck ausgeliefert und hätten große Existenzängste, jedoch keine Anbindung an arbeitsmarktpolitische Angebote. Kritik übte Hashemi daran, dass der Beschluss des Sozialhilfegesetzes mit Kürzungen im arbeitsmarktpolitischen Budget einhergingen. Wichtig wäre ein „Brückenschlag“ zwischen Arbeitsmarktpolitik, Existenzsicherung und Armutsbekämpfung, gerade jetzt in der aktuellen Krise.

Alexander Machatschke von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe rechnet mit einer großen Welle von Delogierungen. Dabei verschärfe die neue Sozialhilfe auch die Situation für Wohnungslose, etwa durch die Aufteilung von 40 Prozent auf Wohnbedarf und 60 Prozent für Lebensunterhalt. Bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung waren dies noch 25 Prozent für Wohnbedarf und 75 Prozent für den Lebensunterhalt. Wohnungslose Menschen erhielten somit 15 Prozent weniger Leistung, haben aber trotzdem oft nicht nachweisbare Wohnkosten zu zahlen. Auch sei so kaum Geld für Kautionen anzusparen.