Jörg Schlick, Elementarteilchen, 2000, Courtesy diethArdT collection, Graz
Kunsthalle
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Kultur

Kunst und Kybernetik in der Kunsthalle

In welcher Beziehung stehen Kunst und Kybernetik? Wieviel „Gegenmacht“ zum Beispiel zu Big Data steckt in Kunst als „Kybernetik der Armen“? „Cybernetics of the Poor“ ist der Titel einer Ausstellung, die in der Kunsthalle bis 28. März 2021 zu sehen ist.

In der Ausstellung werden Arbeiten präsentiert, in denen Kunst ihre Machtlosigkeit – Armut – gegenüber der kybernetischen Maschine zum Ausgangspunkt von Gegenentwürfen macht. Zu sehen sind außerdem historische wie zeitgenössische Positionen, die an Kybernetik als partizipative, spielerische Praxis glaubten oder bereits eine Gegenkybernetik entwarfen. Wieviel „Gegenmacht“ (Thomas Pynchon) steckt in einer Kunst als Kybernetik der Armen?

Kybernetik ist ein seit den späten 1940er-Jahren kursierender Begriff für sich selbst regelnde Systeme, die messen und antizipieren und auf veränderte Zustände intervenierend reagieren. Zunächst vor allem in Verwaltung, Planung, Kriminologie und früher Ökologie relevant, hat sich im digitalen Kapitalismus die Kybernetik als ökonomischer Faktor (Stichwort: Big Data) etabliert. In dieser kybernetischen Totalität muss die Kunst auf diesen neuen Stand der Dinge reagieren: als eine Kybernetik der Armen, heißt es in der Kunsthalle zu der Ausstellung.

Ana de Almeida, Alicja Rogalska & Vanja Smiljanić, NOVA, 2020, Produktionsstill
die Künstlerinnen und Kunsthalle Wien, 2020
Ana de Almeida, Alicja Rogalska & Vanja Smiljanić, NOVA, 2020, Produktionsstill

Kunsthalle zweiter Ausstellungsort

Die erste Ausgabe von „Cybernetics of the Poor“ wurde im Frühjahr und Sommer 2020 im Tabakalera International Centre for Contemporary Culture, Donostia/San Sebastián in Spanien gezeigt und trug den Untertitel Tutorials, Exercises and Scores. Mit „Spielen, Partituren und Übungen“ benannten die beiden Kuratoren Diedrich Diederichsen und Oier Etxeberria drei Genres, in denen sie entweder antikybernetische oder Kybernetik nutzende künstlerische Strategien ausgemacht haben.

Für den zweiten Teil der Ausstellung in Wien stehen – neben ausgewählten Beispielen dieser Genres – auch Kampagnen, Kontrollversuche und Kontrollvereitelungen und vor allem die ökonomische Kybernetik des Kunstmarkts im Mittelpunkt.

„24 Jobs“ aus Plastilin

Das Spektrum reicht dabei von Plastilin-Figuren von Robert Adrian X bis Bleistiftzeichnungen von Michael Hakimi. Die rund 30 gezeigten Positionen machen das Dilemma des Künstlers, der einerseits – Stichwort Kunstmarkt – Teil der Kybernetik ist, andererseits aber außerhalb dieser stehen möchte, auf unterschiedlichste Weise sichtbar.

Robert Adrian X, Computer Clerk, Canadian Pacific Railway (Car Accounting), aus der Serie 24 Jobs, 1979, Courtesy mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien.
Bildrecht Wien, 2020
Robert Adrian X, Computer Clerk, Canadian Pacific Railway (Car Accounting), aus der Serie 24 Jobs

Sinnbildlich dafür steht die Serie „24 Jobs“ von Robert Adrian X, die auch das Ausstellungssujet ziert. Der 2015 verstorbene kanadische Künstler, der seit den frühen 1970ern in Österreich lebte, schuf 24 Plastilin-Figuren, die ihn bei bezahlten Tätigkeiten zeigen, um sich sein Leben als Künstler zu finanzieren. Sich selbst ins Licht rückte 1971 auch Eleanor Antin, die sich in ihrem Film „Representational Painting“ beim Schminken dokumentiert und so nicht nur ihres, sondern ein Gesicht malt.

Spekulationsindustrie, Bitcoins und Trump-Fotos

Dass im Deutschen Schuld und Schulden den gleichen Namen tragen, thematisiert Coleman Collins in seiner 2020 entstandenen Arbeit „Guilt Coins“, die er von der „ultrakybernetischen Bitcoin-Währung“ ableitet. Sich schuldig fühlende Ausstellungsbesucher können die Währung zu bestimmten Zeiten (jeden Donnerstag von 14 bis 18 Uhr) erwerben.

Ausstellungshinweis

„Cybernetics of the Poor“, 17.12.2020 bis 28.3.2021, Kunsthalle Wien

Die „Spekulationsindustrie des Kunstmarktes“ sowie den Handel mit journalistischen und dokumentarischen Bildrechten thematisiert Paolo Cirio, der Fotos der letzten US-Präsidenten in den Fokus rückt. Theoretisch sind sie umsonst gemeinfrei auf der Website des Weißen Hauses erhältlich, werden aber zugleich von Getty vermarktet. Somit fragt sich der Besucher unweigerlich: Ist es nun Diebstahl oder nicht? Und wie ändern sich die Rechte, wenn die Fotos nun Teil eines Kunstwerks sind?

Ähnliche Gedanken tauchen etwa bei Cory Arcangels Videoarbeit „Paganini Caprice No. 5“ (2011) auf, in dem der Künstler unzählige Youtube-Tutorials für E-Gitarre zu einem einzigen Stück zusammengeschnitten hat. Den tatsächlich Armen widmet sich eine Serie von Michael Hakimi, der in seinen Bleistiftzeichnungen Straßenverkäufer abbildet. Sie tragen sprechende Titel wie „Abfall“, „Hammerverkäufer“ oder „Nicht Lachen“.

Agentur, Versammlung (Kybernetik der Armen), 1992—, Ausstellungsansicht, Tabakalera 2020, Courtesy List of Things,
Mikel Eskauriaza
Agentur, Versammlung (Kybernetik der Armen), 1992—, Ausstellungsansicht, Tabakalera 2020, Courtesy List of Things

Ausstellung von Veranstaltungen begleitet

Zur Kybernetik schreibt Diederichsen im Ausstellungs-Booklet einleitend: „Ihre Definition ist, wie das bei Definitionen häufig der Fall ist, neutral. Und doch ist im Verlauf der letzten zehn Jahre ein Bewusstsein für den trügerischen Charakter dieser Neutralität gewachsen, und zwar in dem Maß, in dem die Sammlung, die Analyse und unweigerlich auch die Manipulation von Daten zu einem Teil unseres täglichen Lebens geworden sind.“ Wie sich verschiedene Künstlergenerationen dem annäher(t)en, ist bis zum 28. März zu sehen.

Die Ausstellung wird online und in der Kunsthalle durch ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm begleitet. Geplant sind etwa Aktivierungen des Ausstellungsraums, Interventionen durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars „Cybernetics of the Poor“ (eine Lehrveranstaltung des Programms Master in Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien), ein Symposium sowie Führungen durch die Ausstellung.