Polizisten und Polizeiauto
APA/Hans Punz
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Politik

Anschlag: Bericht sieht schwere Pannen

Am Mittwoch sind Teile des ersten Berichts der eingesetzten Untersuchungskommission nach dem Terroranschlag in Wien veröffentlicht worden. Passagen belegen eklatante Versäumnisse der Verfassungsschützer im Umgang mit dem späteren Attentäter.

Der Zwischenbericht wurde am späten Mittwochnachmittag online veröffentlicht. Zuerst jener Teil, der sich mit der Justiz auseinandersetzt, wobei die Untersuchungen die Justiz betreffend, nicht das wesentliche waren, heißt es von der Untersuchungskommission. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand aber die Gefahrenerforschung und die Gefahrenabwehr.

Die akute Abwehr, also wie die Polizei während des Anschlags reagiert hat, das habe sehr gut funktioniert, heißt es. Fehler habe es aber davor gegeben, also von der Freilassung des Attentäters auf Bewährung bis hin zum Anschlag. Die einzelnen Dienststellen hätten da suboptimal zusammengearbeitet, sagt Ingeborg Zerbes, Leiterin der Untersuchungskommission.

Risikoeinschätzung dauerte Monate

Der spätere Attentäter wurde im Dezember 2019 vorzeitig bedingt aus einer 22-monatigen Haftstrafe wegen terroristischer Vereinigung – er hatte sich in Syrien der radikalislamistischen Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) anschließen wollen – entlassen. Bei einer sogenannten Gefährderansprache am 17. Dezember verhielt er sich laut Kommission unkooperativ und wurde daher vom Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) für eine Risikoeinschätzung vorgesehen.

Eine solche wurde vom LVT allerdings erst am 11. September 2020 vorgelegt, sie musste obendrein zwei Mal nachgebessert werden und erst am 7. Oktober – knapp vier Wochen vor dem Terror-Anschlag, der vier Passanten das Leben kostete – abgeschlossen. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde der Mann von einem „moderaten Risiko“ auf ein „hohes Risiko“ hochgestuft.

Fazit der Kommission: „Dass eine Erstbewertung fast zehn Monate dauert, erscheint nicht akzeptabel.“ Seitens des LVT wurde die lange Dauer gegenüber der Untersuchungskommission mit Ressourcenknappheit und Zeitmangel erklärt, was das Gremium unter Vorsitz der Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes einen – sollte der Einwand berechtigt sein – „Organisationsmangel“ nennt.

Anschlag: Bericht kritisiert Zusammenarbeit

Die einzelnen Dienststellen haben suboptimal zusammengearbeitet: Zu diesem Urteil kommt die eingesetzte Untersuchungskommission sechseinhalb Wochen nach dem Terroranschlag in Wien. Die Kommission untersucht mögliche Pannen im Vorfeld des Anschlages.

LVT erkannte Brisanz der Treffen nicht

Obwohl deutschen Verfassungsschützern bekannt war, dass sich der spätere Attentäter Mitte Juli mit deutschen und Schweizer Islamisten mehrfach in Wien traf und eine Observation der Gruppe durch heimische Beamte veranlasst wurde, war dem für die operative Gefahrenabwehr in der Bundeshauptstadt zuständigen Wiener LVT die Brisanz dieser Begegnung nicht bewusst. Dabei habe es sich um eine „durchaus als anschlagsbereit eingeschätzte Terror-Zelle"gehandelt“, wird in dem 25-seitigen Bericht der Untersuchungskommission betont.

Ein einziger LVT-Mitarbeiter sei sich zwar klar gewesen, dass eine „hoch gefährliche Terrorzelle“ zusammenkam, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) habe ihn jedoch „nachdrücklich zum Schweigen verpflichtet“, hält die Kommission fest. Das BVT bestreitet diesen Vorgang.

Identifikation bei Munitionskauf dauerte lange

Aus Sicht der Kommission geschlampt wurde auch, als eindeutige Hinweise der slowakischen Behörden gemeldet wurden, dass der 20-Jährige am 21. Juli 2020 versucht hatte, in Bratislava Munition für ein automatisches Sturmgewehr zu kaufen, das er später beim Terror-Anschlag benutzte. Das BVT erhielt am 27. Juli Bilder aus der Überwachungskamera des slowakischen Waffengeschäfts, die jedoch erst am 24. August an das Wiener LVT mit der Bitte um Identifikation des Abgebildeten weitergeleitet wurde. Tags darauf meldete das LVT dem BVT, dass auf den Fotos „augenscheinlich“ der „einschlägig bekannte“ Mann zu sehen sei.

Ein LVT-Mitarbeiter erkannte laut Kommission nun eine „bedenkliche Verdichtung von Hinweisen“ – seine Anregung, Maßnahmen nach dem Polizeilichen Staatsschutzgesetz zu ergreifen, sei von seinen Vorgesetzten und dem BVT aber nicht aufgegriffen wurde. Letzten Endes wurde der spätere Attentäter aus Sicht des BVT erst am 16. Oktober eindeutig als gescheiterter Munitionskäufer in Bratislava identifiziert.

„Entscheidende Verunsicherung“ im gesamten Vorgehen

Generell sagte die Leiterin der Untersuchingskommission: Erschwert werde die Arbeit durch die große Verunsicherung, die es im Bundesamt für Verfassungsschutz- und Terrorismusbekämpfung (BVT) gebe. „Atmosphärisch herrscht durch den Zugriff von 2018 eine große Verunsicherung“, so Zerbes. Es sei eine „entscheidende Verunsicherung“ im gesamten Vorgehen vorhanden. „Das war ganz deutlich spürbar“.

Aber Zerbes sagt auch: „Wenn die Behörde oder eine Dienstselle, dies oder das gemacht hätte, dann wäre das ganze nicht passiert, so etwas lässt sich nicht sagen. Also, dass man sieht, dass ein Kardinalfehler vorliegt, dass wenn er nicht gemacht worden wäre, das Attentat vermeidbar gewesen wäre, das lässt sich nicht sagen“, sagte Zerbes gegenüber der „Zeit im Bild“.

Ergebnisse auch für Reform des Verfassungsschutzes

„Der erste Zwischenbericht zeigt und belegt, wie wichtig es war die Kommission einzusetzen und die Vorgänge zu untersuchen“, reagierte der Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, auf den vorgelegten Bericht. Und weiter: „Dem Innenminister, mir und dem Landespolizeipräsidenten Gerhard Pürstl war von Anfang wichtig, dass es volle Aufklärung und Transparenz gibt. Die Ergebnisse werden vor allem für die bereits laufende Reform des Verfassungsschutz einen wesentlichen Beitrag leisten.“

Der Generalsekretär im Innenministerium, Helmut Tobcak, sicherte dem Parlament umfassende Einblicke in die ersten Erkenntnisse der Untersuchungskommission zu. „Jene Ausschnitte, die nicht veröffentlicht werden können, da ansonsten Ermittlungen gefährdet aber auch die Zusammenarbeit mit Partnerdiensten erschwert würde, werden selbstverständlich dem geheimen Unterausschuss im Parlament zur Verfügung gestellt.“ Der Zwischenbericht werde im Innenministerium jetzt eingehend studiert, gab Tomac bekannt. Man habe eine eigene Ermittlungsgruppe eingerichtet, „die dienstrechtliche Schritte prüft und danach entsprechende Ableitungen trifft“.

Zwei konkrete Empfehlungen für Justiz vorgelegt

Was den justiziellen Teil betrifft, „attestiert der Zwischenbericht ein korrektes Handeln der Justiz“, stellte Justizministerin Alma Zadic (Grüne) am Mittwochnachmittag fest. In dem Bericht heißt es hinsichtlich der bedingten Entlassung des späteren Attentäters, der im Dezember 2018 vorzeitig aus einer 22-monatigen Haftstrafe wegen terroristischer Vereinigung auf freien Fuß gesetzt wurde, das Gericht sei der Empfehlung der Jugendgerichtshilfe betreffend eines Kontaktverbots und einer psychotherapeutischen Behandlung des jungen Mannes nicht gefolgt. Dabei handle es sich um eine Entscheidung der unabhängigen Rechtsprechung auf Grundlage der Gesetze.

Die Untersuchungskommission legte der Justiz zwei konkrete Empfehlungen vor. Einerseits sollte bei verurteilten Islamisten zukünftig „die Deradikalisierungsarbeit, die gerade auch bereits im Vollzug wichtig wäre, strukturell und gesetzlich besser verankert und finanziell besser ausgestattet werden“, ist dem Bericht wörtlich zu entnehmen.

Und zweitens sollten vor der Entlassung verurteilter terroristischer Straftäter Fallkonferenzen eingerichtet werden, „in denen die verschiedenen Institutionen, die alle zur Gefahrenabwehr beitragen sollen, in einem vertraulichen Rahmen regelmäßig Informationen austauschen“.

Endbericht soll Ende Jänner vorliegen

„Dies wird im Zuge des ersten Anti-Terrorpakets in allen Fällen im Zusammenhang mit Extremismus ausgebaut und verpflichtend“, teilte Zadic dazu mit. Ein entsprechender Entwurf sei bereits in Begutachtung. Die Erkenntnisse und Empfehlungen aus dem Endbericht der Untersuchungskommission, der Ende Jänner vorliegen soll, wird laut Zadic in den zweiten Teil des Anti-Terror-Maßnahmenpakets sowie in die Strafvollzugsreform einfließen lassen.

Die am 26. November ins Leben gerufene Kommission untersucht einerseits die mit dem Attentäter zusammenhängende Arbeit der Gerichte, der Staatsanwaltschaften und der Strafvollstreckungsbehörden. Zudem wird das Handeln der unmittelbar zur Abwehr von terroristischen Gefahren zuständigen Dienststellen überprüft.