Komplexitätsforscher Peter Klimek von der MedUni Wien
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Coronavirus

Öffnungen und Impfungen kein „Freibrief“

Die Stadt Wien will Anfang März die zweite Phase der CoV-Impfungen starten. Große Hoffnungen sind damit verbunden, doch die Zahl der Infektionen in Wien sinkt kaum. Komplexitätsforscher Peter Klimek von der MedUni Wien macht dafür Virusmutationen verantwortlich.

In den vergangenen Wochen sind die Infektionszahlen der „alten“ Varianten stetig zurückgegangen. Das sei ein Effekt des Lockdowns gewesen, betonte Klimek im „Wien heute“-Gespräch: „Jedoch hat sich auch die britische Variante des Virus in Wien stärker und stärker ausgebreitet.“ Klimek sprach von aktuell etwa 40 Prozent.

„In der Überlagerung der beiden Dynamiken hat es in den letzten Wochen so ausgeschaut, als hätten wir in etwa eine konstante Fallzahl. Das heißt aber auch, dass wir in den kommenden Wochen erwarten müssen, dass diese britische Variante mehr und mehr das Infektionsgeschehen übernimmt und wir da auch wieder ein Risiko für ein höheres Wachstum der Fälle haben.“

Öffnung und Mutation zur gleichen Zeit

Klimek bezeichnete die Lockerung des Lockdowns „aus wirtschaftlichen und psychosozialen Gründen“ als „wahrscheinlich notwendig“. Auch sei die Lage in den Spitälern nicht so kritisch, dass der Lockdown hätte aufrecht erhalten werden müssen. Aber die Öffnung mache die Situation auch nicht einfacher: „Am Ende des Tages stehen wir in einem Wettlauf, dass wir schnell genug in eine Situation kommen, wo wir Erleichterung durch wärmeres Wetter und die Impfung bekommen. Ob wir den Wettlauf gewinnen, hängt davon ab, wie sehr wir die Öffnungsschritte mit anderen Sicherheitsmaßnahmen begleiten.“

Komplexitätsforscher Peter Klimek von der MedUni Wien
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Komplexitätsforscher Peter Klimek von der MedUni Wien

Als Beispiel nannte Klimek die Öffnung der Schulen. Schichtbetrieb, Tests und Maskentragen seien natürlich sinnvoll, „damit wir diese Öffnungsschritte so kontrolliert machen können, dass uns nicht gleich die neue Variante um die Ohren fliegt“. Das Problem sei jetzt nämlich, dass die Öffnungsschritte mit der Verbreitung der Mutation zusammenfallen – und es immer noch nicht klar sei, um wie viel stärker die Ansteckung durch die Mutation sei. Wenn die pessimistischsten Schätzungen korrekt seien, „dann kriegen wir ein Problem schon in ein paar Wochen“.

Es liege also wieder in der Verantwortung aller, die Lockerung des Lockdowns „nicht als Freibrief zu verstehen, tun zu können, was wir wollen. Wir sind nach wie vor in einer Pandemie.“ Klimek betonte, Schutz- und Hygienemaßnahmen müssten weiter eingehalten werden, damit diese mühsam in Lockdowns erkämpften Öffnungsschritte nicht wieder verlorengehen. Das Testangebot müsse möglichst in Anspruch genommen werden, „um zu verhindern, dass wir noch bevor wir nach Ostern kommen, eine neue Phase mit der Variante haben“.

Kontrolle der südafrikanische Mutation wichtig

Coronavirus, die britische Mutation, die südafrikanische Mutation: Klimek geht davon aus, dass die südafrikanische Mutation in Tirol angekommen sei „und von dort auch nicht mehr so leicht wegzubekommen sein wird“. Vermutlich könne man das Auftreten auch in Wien nur hinauszögern. Natürlich müssten da alle Kontrollmöglichkeiten greifen, die man zur Verfügung habe. Es müsste erstens abgeschottet werden, um festzustellen, wo wie viel der südafrikanischen Mutation zirkuliere. Wenn jemand aus einem solchen Gebiet ausreise, sei es dann umso mehr notwendig, dass man so schnell wie möglich mit Tests sicherstellt, dass man die Mutation nicht in andere Gegenden bringt.

Laut Klimek ist das Problem der südafrikanischen Variante nicht nur, dass sie stärker ansteckend ist als die britische Variante, sondern vermutlich zusätzlich die Impfungen weniger effektiv machen könnte. In welchem Ausmaß wisse man noch nicht. Damit würden aber Fortschritte, die man jetzt mit den Impfungen erzielen könne, bis zu einem gewissen Grad auch wieder zunichte gemacht: „Deshalb ist eine Kontrolle der südafrikanischen Variante wichtig“, sagte Klimek.

Abschottung als letztes Mittel

Eine Abschottung von Gebieten, in denen die südafrikanische Mutation zirkuliere, ist für Klimek die letzte Möglichkeit: „Wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt, die Ausbreitung zu kontrollieren, dann ja.“ Aber eine solche Abschottung müsste natürlich an andere Maßnahmen gekoppelt sein, also eben vorher festzustellen, ob diese Variante frei zirkuliere: „Wenn das der Fall ist, dass sie weitläufig zirkuliert, dann hat man leider keine andere Möglichkeit, als solche drastischen Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass diese Variante auch in anderen Gegenden in Österreich zu zirkulieren beginnt“, sagte Klimek.

300 neue Infektionen in Wien

Laut Landessanitätsdirektion und medizinischem Krisenstab der Stadt sind in den vergangenen 24 Stunden 300 CoV-Infektionen neu gemeldet worden. Darunter sind 24 Nachmeldungen. Die Zahl der mit dem Virus in Zusammenhang stehenden Todesfälle beträgt 1.517.