Jonathan Fine, Leiter des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin, übernimmt die Leitung des Weltmuseum Wien
APA/KHM/MORITZ FEHR
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Kultur

Jonathan Fine neuer Chef im Weltmuseum

Die Debatte über die Rückgabe ethnologischer Museumsbestände an ihre Herkunftsländer erhält neuen Schwung: Jonathan Fine, Sammlungsleiter des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin, wird mit 1. Juli wissenschaftlicher Direktor des Weltmuseums Wien.

„Der Fokus seiner Arbeit in Berlin liegt auf der Provenienzforschung mit dem Schwerpunkt Benin und Kamerun. Das wird er in Wien nahtlos fortsetzen“, sagt KHM-Generaldirektorin Sabine Haag.

Nach einem neuen wissenschaftlichen Direktor des zum KHM-Museumsverband gehörenden und in der Neuen Burg situierten ehemaligen Völkerkundemuseums war mit einer internationalen Ausschreibung gesucht worden. Der gebürtige New Yorker Fine habe in den Hearings überzeugt, die Findungskommission habe sich einstimmig für ihn ausgesprochen, so Haag am Mittwoch im Gespräch mit der APA. Fine bekomme einen unbefristeten Vertrag, der jetzige Leiter Christian Schicklgruber bleibe am Haus.

Haag: „Mit allen Mitteln Kontakt zum Publikum suchen“

In Berlin habe sich der 1969 geborene Kunst- und Kulturhistoriker, der zudem Geschichts- und Literaturwissenschaften sowie Rechtswissenschaften studiert hat, im Kontext von Humboldt-Forum und Globalisierung stark mit der Vernetzung von Ausstellungsthemen befasst, dies werde er mit den „buchstäblichen weltumspannenden Objekten“ des Hauses künftig auch innerhalb des KHM-Museumsverbands forcieren, so Haag.

„Was Fine außerdem sehr beschäftigt, ist die Frage der zukünftigen Rolle von ethnologischen Museen. Was sollen Museen in und nach der Pandemie leisten? Das wird eine der künftigen Hauptfragen sein. Unsere Mission ist, ein Ort des emotionalen und intellektuellen Aufgehoben-Seins zu bleiben. Wir müssen mit buchstäblich allen Mitteln den Kontakt zum Publikum suchen – analog und digital. Museen müssen noch stärker als bisher diskursive Orte werden.“

Quetzalfeder-Kopfschmuck, Mexiko, aztekisch, um 1520
KHM-Museumsverband
Um die Federkrone hat sich eine Debatte entsponnen – Österreich will sie aber nicht zurückgeben

„Neuer Schwung“ in Rückgabe-Debatte

Den größten Schub wird mit Fines Bestellung jedoch mit Sicherheit der postkoloniale Diskurs bekommen. Der Wissenschafter, der in Berlin als Kurator für die Sammlungen aus Westafrika, Kamerun, Gabun und Namibia zuständig ist, agiert als Mitglied der seit 2010 bestehenden Benin Dialogue Group, in der auch Österreich vertreten ist.

Ziel dieser multilateralen Arbeitsgruppe ist u.a. Schaffung eines Museums in Benin City im Südwesten Nigerias, wo Kunstwerke ausgestellt werden sollen, die derzeit in Sammlungen in der ganzen Welt verstreut sind. Die Herkunft der Benin-Bestände des Ethnologischen Museums in Berlin gleicht jenen der im Weltmuseum Wien befindlichen Objekte: Nach der Plünderung Benins durch britische Truppen im Jahr 1897 tauchten viele Gegenstände in der Folge am britischen Kunstmarkt auf, von wo sie ihren Weg in die Museumskollektionen fanden.

In die Diskussion über den Umgang mit diesen Beständen sei sicherlich „neuer Schwung gekommen“, sagt Haag. In einem ersten Schritt müsse jedoch eine transparente Erfassung aller Provenienzgeschichten und digitale Bereitstellung der Objekte erfolgen. Damit werde ein längerer Prozess begonnen, bei dem letzten Endes der Eigentümer, also die Republik Österreich, über allfällige Objektrückgaben zu entscheiden habe. Das Thema „Sharing collections“ sei international ein spannendes, großes Feld – bei dem sich Österreich bei der aztekischen Federkrone zuletzt allerdings für den Zusatz „without moving it“ entschieden hat.

Fine verfügt über vielfältigen Lebenslauf

Der künftige wissenschaftliche Direktor des Weltmuseums Wien ist kein studierter Ethnologe. Doch Jonathan Fine hat einen beeindruckend bunten und wahrlich vielfältigen Lebenslauf, der von New York über Princeton und Yale nach Afrika führt, Literatur-und Rechtswissenschaften kombiniert und Berlin und Benin verbindet.

1969 in New York geboren, promovierte Jonathan David MacLachlan Fine an der Princeton University am Department of Art and Archaeology. Seinen Ph.D. erwarb er 2020 mit der Arbeit „The Throne from the Grassfields: History, Gifts, and Authenticity in the Bamum Kingdom, 1880-1929“. Bereits zuvor hatte Fine mit Studien der Geschichts- und Literaturwissenschaften in Chicago bzw. Cambridge B.A.s erworben und an der Yale University das Studium der Rechtswissenschaften absolviert.

„Er war daraufhin lange Jahre in den Vereinigten Staaten als Rechtsanwalt in den Bereichen Menschenrechte, internationale Handelsstreitigkeiten und Verfassungsrecht tätig, bevor er sich der Kunst- und Kulturwissenschaft zuwandte“, heißt es in einer Aussendung des Kunsthistorischen Museums anlässlich seiner Bestellung.

Der Eingang zum „Weltmuseum Wien“
APA/ROLAND SCHLAGER
Das zum Weltmuseum Wien umbenannte Museum in der Neuen Burg wurde 2017 nach einer Generalsanierung wiedereröffnet

Fine: Durch Bestellung „zutiefst geehrt“

Am Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin arbeitete Fine seit 2014 als Kurator für die Sammlungen aus Westafrika, Kamerun, Gabun und Namibia, seit Jänner 2020 ist er Museumsleiter. „Er kuratierte Ausstellungen zu Kamerun und dem Königreich Benin. 2017 zeichnete er gemeinsam mit Julien Chapuis und Paola Ivanov für die Ausstellung ‚Unvergleichlich‘ verantwortlich, die afrikanische Kunstwerke aus dem Ethnologischen Museum ausgesuchten Skulpturen aus der Sammlung des Berliner Bode-Museums gegenüber stellte“, so die KHM-Presseunterlage.

In den Medien wurde Fine zuletzt vor allem im Zusammenhang mit dem Umgang mit den Benin-Bronzen zitiert, die sich in Museumsbeständen in Berlin wie in Wien finden. Rund die Hälfte der über 500 Benin-Objekte des Berliner Ethnologischen Museums soll eigentlich ab Dezember in zwei Sälen des Humboldt Forums ausgestellt werden.

Ob es dazu kommt, und wenn ja, in welcher Form der Präsentation, ist wieder ungewiss. Denn seit die deutsche Politik die Stiftung Preußischer Kulturbesitz angewiesen hat, die bisherige Strategie im Umgang mit Objekten zu überdenken, deren Besitz – im Fall der Objekte aus Benin: durch Erwerb im Kunsthandel – vielleicht legal, aber in heutiger Sicht auf koloniale Unrechtkontexte illegitim scheint, ist Bewegung in die Sache gekommen. Fine verlässt in Berlin jedenfalls eine sehr dynamische Situation. Von ihm wird wohl erwartet, dass er auch in Wien einige Anstöße gibt.

Er fühle sich durch die Bestellung „zutiefst geehrt“, wird Jonathan Fine heute in der Aussendung zitiert. „Das Engagement und die Expertise der Wiener Kolleginnen und Kollegen haben mit der Wiedereröffnung 2017 und den folgenden Ausstellungen das Haus in die erste Reihe der internationalen Museumslandschaft gebracht. Nimmt man den unvergleichlichen Reichtum des KHM-Museumsverbands zur kulturellen Dynamik Wiens hinzu, so sind die Voraussetzungen für den Ausbau der Stärken des Weltmuseums enorm.“

Haag verwundert wegen Reaktion auf KHM-Ausschreibung

Verwundert zeigte sich Generaldirektorin Haag gegenüber der APA über die heftige Diskussion rund um die Ausschreibung eines neuen Postens am Kunsthistorischen Museum. Die „Leitung Sammlungen und Forschung“ sei „eine Funktion, die seit langem fällig war und die international bei Museen dieser Vielfalt und Größe üblich ist“. Die Ausschreibung sei mit dem Kuratorium akkordiert gewesen. „Eine Vorgabe des Kuratoriums war, dass das Personalbudget dadurch nicht erhöht wird. Das können wir gewährleisten.“

Die mit dem Eigentümer vereinbarten Ziele für die kommenden drei Jahre sehen auch eine finanzielle Konsolidierung und einer Erhöhung der durch die Lockdowns und das Ausbleiben von Touristen arg geschrumpften Erlöse vor. Auch dafür sei eine interne Umstrukturierung ein probates Mittel, meint Haag: „Wann, wenn nicht in der Krise, soll man versuchen, sich besser aufzustellen?“ Die Entscheidung über die Postenbesetzung werde sie fällen, sobald sie sicher sei, den oder die am besten Geeignete gefunden zu haben. „Es gibt keinen Grund, das auf den Sankt-Nimmerleins-Tag oder auf einen Zeitpunkt nach der Pandemie hinauszuschieben.“

Wann „nach der Pandemie“ sein wird, ist freilich weiterhin ungewiss. Im KHM, das zu Ostern wie alle Museen der Ostregion in den nächsten Lockdown geht, bereitet man jedenfalls mit Elan die große Tizian-Ausstellung vor, die Anfang Oktober eröffnen soll. „Der Leihverkehr dafür ist gesichert“, versicherte Sabine Haag. „Wie dann allerdings die Gesamt-Situation in Europa sein wird, weiß niemand. Wir sind jedenfalls optimistisch. Wir freuen uns auf Tizian.“