Obdachlos
APA/dpa/Barbora Prekopova
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Coronavirus

Zehntausende erleben Pandemie ohne E-Card

Bis zu 40.000 Menschen in Österreich haben keine Krankenversicherung. Mehr als 10.000 davon werden in Wien vermutet. Es gibt zwar einzelne mobile Kliniken, wo sie ohne E-Card versorgt werden. Doch selbst das ist in der Pandemie schwieriger geworden.

„Das schwierige sind chronische Krankheiten. Da haben sich viele Zustandsbilder verschlechtert“, sagte Martin Schenk von der Diakonie. „Zusperren war kein Thema, die Menschen brauchen die Versorgung ja weiter, zum Beispiel Diabetes oder Blutdrucktabletten. Obdachlose haben ja auch chronische Krankheiten“, sagte auch die Ärztin Monika Stark, die mit dem Louisebus der Caritas unterwegs ist. Die Pandemie machte die Versorgung obdachloser Menschen in Wien nicht einfacher.

Was bedeutet „Bleiben Sie zuhause!“ in einem Lockdown für einen Obdachlosen? „Obdachlose waren dort zuhause, wo sie im Lockdown nicht mehr sein durften“, schilderte Stark weiter: „Da hat es viele Menschen gegeben, die krank waren, die kein zuhause hatten und nirgendwohin konnten, sich keine Masken kaufen konnten, kein Desinfektionsmittel.“ Gelöst wurde das Problem teilweise dadurch, dass Notquartiere auch untertags als Aufenthaltsorte bereit standen.

Caritas Louisebus
Caritas/STEFANIE J. STEINDL
Immer eine Anlaufstelle für Obdachlose: der Louisebus

Schwangere auf der Straße, Diabetiker ohne Insulin

Das Coronavirus verstärkte jedenfalls den Zustrom von Menschen in Kliniken von Wiener Sozialorganisationen, bestätigte Schenk. Darunter seien zum Beispiel mehr kleine Selbstständige ohne Aufträge: Menschen, „die auch nie gescheit angestellt waren. Die auf eigene Faust gearbeitet haben und jetzt keine Aufträge mehr haben, die fallen durch alle Netze durch.“ Menschen ohne Krankenversicherung seien meist in prekären Beschäftigungen, hätten psychische Probleme. Manche hätten sogar Anspruch auf Sozialversicherung, nähmen sie aber aus Scham nicht in Anspruch.

Diese Menschen „kommen mit Erkrankungen, die viel mit ihrem Lebensalltag, mit schwierigen sozialen Verhältnissen und auch Armut zu tun haben. Das ist alles, was das Herzkreislaufsystem betrifft, Diabetes, was den Bewegungsapparat betrifft, und was das Psychosoziale betrifft – schwere Depressionen. Damit sind wir am meisten beschäftigt“, schilderte Schenk.

Ambermed von Rotem Kreuz und Diakonie legt einen Schwerpunkt auf Frauen und Kinder. Frauen in der Schwangerschaft werden unterstützt, wenn sie nicht in der Sozialversicherung sind. Die Ärztin Monika Stark schilderte den Fall einer 22-Jährigen, die mit dem fünften Kind schwanger ist. Sie lebte mit ihrem Freund auf der Straße, die vier geborenen Kinder nahm ihr das Jugendamt ab. Erst jetzt sei es gelungen, das Paar gemeinsam unterzubringen.

Lebensalltag retten statt Arztbesuch

Andererseits gebe es auch das Problem mit chronischen Krankheiten, weil diese eine ständige Therapie benötigten: „Das war in Corona-Zeiten schwierig, wo alles zu hatte. Nicht-Krankenversicherte sind ja auch schwer zu greifen. Da ist es schwierig, Folgetermine einzuhalten. Da haben sich viele Zustandsbilder verschlechtert“, so Schenk. Eine Studie des Sozialministeriums habe gezeigt, dass Menschen, die wenig haben und unsicher sind, vor allem damit beschäftigt waren, ihren Lebensalltag zu retten. "Da ist alles andere wichtiger, als eine Vorsorgeuntersuchung zu machen oder den Arzt aufzusuchen.“

Ein anderes wichtiges Problem für die Helfer ist das Impfen. Stark bezeichnete Obdachlose als Super-Spreader in der Pandemie. Sie würden an öffentlichen Orten leben, könnten also das Virus verbreiten und würden noch dazu oft an chronischen Lungenerkrankungen leiden oder ein schlechtes Immunsystem haben: „Also da wäre wichtig, dass sich was tut, damit sie das Virus einfach nicht verteilen“, so Stark. Sowohl Diakonie und Caritas hoffen auf eine baldige Impfung, die auch ohne E-Card möglich ist.

Existenzsicherung und Überweisungen für Obdachlose

Sowohl Caritas als auch Diakonie haben aufgrund ihrer Erfahrungen in der Betreuung Obdachloser Forderungen an die Politik. Für Schenk wäre die Absicherung der Existenzen das wichtigste: „Wir haben das Problem, dass jetzt die schlechte Sozialhilfe kommt. (…) Wenn Wien das auch einführt, dann habe ich große Sorgen." Was es brauche, sei eine richtige Reform und Reparatur des Sozialhilfegesetzes.“

Stark sieht vor allem bei der Weiterbehandlung Handlungsbedarf. Es müsse mehr Möglichkeiten geben, die Menschen zuweisen zu können, wenn jemand eine spezielle Behandlung brauche: „Es ist immer schwer, jemanden weiter zu einem Spezialisten zu schicken, für eine unfallchirurgische Behandlung, zu einem Hautarzt usw. Das wäre was, wo viel zu tun wäre.“