Chronik

Antisemitismus: Höchststand bei Übergriffen

Im Vorjahr sind insgesamt 585 antisemitische Vorfälle gemeldet worden. Das sind um 6,4 Prozent mehr als 2019 und damit ein neuer Höchststand, berichtet die Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG).

Die erfasste Anzahl der antisemitischen Vorfälle sei die höchste seit Beginn der Dokumentation vor 19 Jahren, berichtete die IKG Wien. Eine Rolle spielte auch die Coronavirus-Pandemie und die damit einhergehenden Demonstrationen mit teils antisemitischen Botschaften, hieß es.

Gezählt wurden nur jene Begebenheiten, die gemeldet wurden und nach einer Prüfung durch die Expertinnen und Experten der Antisemitismus-Meldestelle als eindeutig antisemitisch gemäß der Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) klassifiziert wurden.

Verletzendes Verhalten hat stark zugenommen

2019 wurden 550 Vorfälle gemeldet. Im Vorjahr waren es dann 585 Vorfälle. Von diesen waren elf physische Angriffe und damit um gleich fünf mehr als im Jahr davor. Die absolute Zahl der Bedrohungen stieg von 18 im Jahr 2019 auf 22. Gesunken ist die Zahl der gemeldeten antisemitisch zuordenbaren Sachbeschädigungen von 78 auf 53, ebenso jene der einschlägigen Massenzuschriften von 209 auf 135 im Jahr 2020.

Grafik zum Antisemitismus in Österreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: IKG

Einen recht starken Anstieg gab es hingegen bei gemeldeten Fällen von verletzendem Verhalten von 239 auf 364. Darunter fallen laut IKG etwa antisemitische Beschimpfungen, Äußerungen oder Kommentare. Diese können etwa von Angesicht zu Angesicht passieren oder auch schriftlich. So wurde etwa im Mai ein Ehepaar in der Leopoldstadt in jüdisch-orthodoxer Bekleidung von einem Passant im Vorbeigehen als „Scheiß Jude!“ angeschrien.

Nach einem Einbruch gemeldeter Fälle zu Beginn der Coronavirus-Krise im März und im April stabilisierten sich die Zahlen im Verlauf des Jahres. Ein starker Anstieg ab November ist laut IKG vor allem auf zwei Umstände zurückzuführen: Einerseits erfolgte in der ersten Novemberhälfte die Präsentation des Online-Auftritts der Antisemitismus-Meldestelle. Allerdings sei auch das bemerkbare Wiederaufflammen der Proteste gegen die Coronavirus-Maßnahmen Mitschuld.

Deutsch: Kann „ein Flächenbrand der Taten“ werden

Der größte Teil antisemitischer Vorfälle ist auf persönliche Wahrnehmung zurückzuführen (175). Soziale Netzwerke sind mit 135 Vorfällen vertreten. 124 Vorfälle wiederum fanden sich bei Kommentaren im Online-Bereich. 112 Mal wurden E-Mails mit antisemitischen Inhalten beziehungsweise einschlägigen Adressaten registriert. Antisemitismus in Briefform gab es 33 Mal. Antisemitische Telefonanrufe und Zeitungsartikel sind mit je drei Fällen vertreten.

Antisemitismus in Österreich nimmt zu

Die Juden-Feindlichkeit in Österreich nimmt immer größere Ausmaße an. Die Zahl antisemitischer Vorfälle ist im vergangenen Jahr auf einen Höchststand angestiegen. 585 Fälle sind gemeldet worden bei der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Im Jahr davor waren es noch 550 Meldungen. Eine Ursache für den Anstieg könnten die Corona-Demonstrationen sein.

Für IKG-Präsident Oskar Deutsch bewahrheitet sich gerade in der Coronavirus-Pandemie Theodor Adornos Ausspruch: „Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden.“ Speziell im Internet und auf vielen Demos seien antisemitische Lügen verbreitet worden. „Aus solchen Worten kann sich ein Flächenbrand der Taten entwickeln, wenn wir ihnen nicht entgegentreten.“

Edtstadler über Entwicklung „besorgt“

Auch Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) – die über die Entwicklung „besorgt“ ist – verwies auf die antisemitischen Verschwörungsmythen in Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie. Wenn bei Coronavirus-Demos „Sieg Heil“-Rufe zu hören seien oder Personen einen Davidstern tragen und damit den Holocaust verharmlosen, sei das „zu verurteilen und keinesfalls stillschweigend hinzunehmen“.

Mit der nationalen Strategie gegen Antisemitismus habe die Regierung im Jänner ein wichtiges und effektives Instrument beschlossen. 38 darin enthaltenen Maßnahmen hätten die zuständigen Ressorts schon umgesetzt – wie etwa das Gesetz zur Absicherung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes oder Lehrunterlagen für die Grundausbildung von Verwaltungsbediensteten im Exekutivbereich. Aber: „Es gibt hier noch viel zu tun“, konstatierte Edtstadler auch angesichts der aktuellen Zahlen, „der Kampf gegen den Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“.