Oh Nippon, 1971
Nobuyoshi Araki, courtesy Fotosammlung OstLicht
Nobuyoshi Araki, courtesy Fotosammlung OstLicht
Kultur

Westlicht zeigt Bondage und nackte Haut

Er gilt als Erfinder der „Ich-Fotografie“ und hat mit seinen Bondage-Motiven für Aufsehen gesorgt: Die Galerie Westlicht würdigt – gemeinsam mit der Schwester-Dependance Ostlicht – in einer üppigen Ausstellung seit Mittwoch das Werk von Nobuyoshi Araki.

Zu sehen ist ein Querschnitt des ausufernden Schaffens des 80-Jährigen von dessen Karriereanfängen in den 1960er-Jahren bis hin zu ganz neuen Aufnahmen, die erstmals exklusiv in der Schau „Arakiss“ präsentiert werden.

„Es ist keine Retrospektive, weil Arakis Werk dafür viel zu umfangreich ist. Das hätte jeden Rahmen gesprengt“, sagt Fabian Knierim, neben Michael Reitter-Kollmann und Araki-Galeristin Hisako Motoo einer der drei Kuratoren, im APA-Gespräch. Die gezeigte Auswahl soll aber die spannende künstlerische Entwicklung eines der einflussreichsten Fotografen Japans nachvollziehbar machen.

Fotostrecke mit 8 Bildern

Untitled, from the series »Paradise«, 2020
Nobuyoshi Araki
Untitled, from the series »Paradise«, 2020
Oh Nippon, 1971
Nobuyoshi Araki, courtesy Fotosammlung OstLicht
Oh Nippon, 1971
Untitled, from the series »Tokyo Novelle«, 1995
Nobuyoshi Araki, courtesy Fotosammlung OstLicht
Untitled, from the series »Tokyo Novelle«, 1995
Satchin and his brother Mabo, 1963
Nobuyoshi Araki, courtesy Fotosammlung OstLicht
Satchin and his brother Mabo, 1963
Ausstellungsansicht / OstLicht. Galerie für Fotografie
OstLicht. Galerie für Fotografie
Fotografen Nobuyoshi Araki – Self-portrait with Jamorinsky, 1991
Nobuyoshi Araki, courtesy Fotosammlung OstLicht
Self-portrait with Jamorinsky, 1991
Yayoi Kusama, 1989
Nobuyoshi Araki, courtesy Fotosammlung OstLicht
Yayoi Kusama, 1989
Tongue, from the series »Erotos«, 1993
Nobuyoshi Araki, courtesy Fotosammlung OstLicht
Tongue, from the series »Erotos«, 1993

Rund 110 Arbeiten werden gezeigt

Am Anfang der weithin chronologisch präsentierten rund 110 Arbeiten im Westlicht stehen Arakis noch sehr dokumentarische Schwarz-Weiß-Aufnahmen japanischer Straßen-Kindergangs. Sie stammen aus der Mitte der 1960er-Jahre und „erinnern stilistisch sehr an den italienischen Neorealismus“, erklärt Knierim. Neue Maßstäbe setzt Araki dann 1971 mit dem Fotobuch „Sentimental Journey“, das die Flitterwochen mit seiner im selben Jahr geehelichten Frau Yoko festhält und gleichzeitig der Auftakt einer ganzen Reihe ist. Damit werde der Beginn der „Ich-Fotografie“ markiert, so der Mitkurator.

Araki übersetzt ein in Japan gängiges autobiografisches Literaturgenre, das Erzähler und Autor gleichsetzt und eine Form der alles einschließenden Lebensbeichte ist, in die Fotografie. Also sieht man das Paar nicht nur bei Ausflügen, im Zug oder auf dem offiziellen Heiratsfoto, sondern auch nackt im Hotelzimmer und beim Sex. Dabei geht es aber immer auch um das Spiel mit Sein und Schein, Authentizität und Inszenierung.

„So schnappschussartig die Bilder auch wirken, sind sie gleichzeitig sorgfältig komponiert“, meint Knierim. In „Winter Journey“, 1991 erschienen, begleitet der Fotograf zwei Jahrzehnte später den frühen Tod Yokos. Leben, Liebe, Sexualität auf der einen und Tod, Vergänglichkeit auf der anderen Seite seien die beiden durchgehenden Pole im Werk Arakis, so der Kurator.

Bondage-Aufnahmen ab den 1980er-Jahren

Am bekanntesten ist der Fotograf wohl für seine Bondage-Aufnahmen ab den 1980er-Jahren, die im Westlicht – wenn auch nicht dominant – ebenfalls Platz finden. Die kunstvoll verschnürten (Frauen-)Körper referenzieren dabei nicht zuletzt auf die japanische Tradition „Kinbaku“ – eine ästhetische Kunstform des Verschnürens, bei dem nicht unbedingt der sexuelle Lustgewinn im Vordergrund steht.

Dass Araki immer wieder die Kulturgeschichte seines Heimatlandes in seiner Arbeit reflektiert, zeigt sich zudem in den sehr expliziten Fotos des Geschlechtsakts. Inspiration dafür sind erotische Holzschnitte („Shunga“), die ab dem 17. Jahrhundert populär wurden. Einige Szenen davon werden in der Galerie präsentiert, um Parallelen zu veranschaulichen.

Großformatige Stillleben erstmals zu sehen

Dass das West- und Ostlicht aus einem derart reichen Bestand schöpfen können, verdankt sich nicht zuletzt dem Umstand, dass Araki den Häusern bzw. deren Hausherr Peter Coeln seit eineinhalb Jahrzehnten freundschaftlich verbunden ist. Dadurch ist es nicht nur möglich, neben den Fotos auch an die 300 Bände des manischen Publizisten Araki – er setzte früh auf das damals noch unetablierte Kunstmedium – ergänzend zu präsentieren, sondern auch Werke zu zeigen, die erstmals und exklusiv in der – eigentlich schon für 2020 anlässlich des 80. Geburtstags Arakis geplanten – Schau zu sehen sind.

Dabei handelt es sich um rund ein Dutzend großformatige farbensatte Stillleben aus der Serie „Paradise“. Zu sehen sind u.a. Blumen, die von diversen Miniaturfiguren bevölkert werden. „In diesem Spätwerk blickt er noch einmal auf sein Schaffen zurück“, führt Knierim aus. Das Blumenmotiv zieht sich immerhin seit „Winter Journey“ – am Sterbetag seiner Frau brachte Araki Magnolien mit ins Krankenhaus – durch seine Arbeit. In die groß in Szene gesetzten Blüten hat der Künstler kleine verschnürte Keramikfrauen gesetzt – ein ironisches Selbstzitat gewissermaßen.

Aktfotografien selbst mit Acrylfarben übermalt

Humor bewies Araki nicht zuletzt auch immer wieder im Umgang mit den strengen Zensurbestimmungen Japans. Ein monumentales Beispiel dafür kann man im zweiten Ausstellungsteil im Ostlicht – der abseits der in sich geschlossenen Westlicht-Schau gewissermaßen zur Vertiefung dient, wie der Kurator meint – bewundern. Dort hängt das acht Meter lange Tableau „Kinbaku Shamaki“ aus 53 Aktfotografien. Um die strengen Moralhüter seines Heimatslands aufs Korn zu nehmen, hat ihr Schöpfer sie gleich selbst mit Acrylfarben übermalt.

Der Titel der Ausstellung, „Arakiss“, verdankt sich übrigens ebenfalls einer Anekdote und dem Witz des Künstlers, wie Peter Coeln in einer Art Vorwort zum Begleitkatalog schreibt. 2005 wollte er Exemplare von Arakis „Tokyo Lucky Hole“ nach Japan bringen. Emsige Zollbeamte entdeckten die Ware und kratzten an Ort und Stelle per Hand die delikaten Stellen der Publikation aus. Eines dieser derart entschärften Versionen schenkte der Westlicht-Gründer daraufhin dem begeisterten Künstler, der im Gegenzug Coelns eigenes Exemplar mit „Arakiss“ signierte.

Albertina modern zoomt auf die „Ich-Fotografie“

Nach der Eröffnung der Doppelschau „Arakiss“ in den Galerien Westlicht und Ostlicht widmet ab 26. Mai nun auch die Albertina modern dem japanischen Fotostar Araki eine eigene Ausstellung. Anstatt ebenfalls eine Art Werkquerschnitt zu versuchen, konzentriert man sich hier mit der „Ich-Fotografie“ auf eine spezielle Ausdrucksform innerhalb seines Oeuvres – mit der Serie „Sentimental Journey“ als Höhepunkt.

„Die Akt- und Bondage-Aufnahmen, für die Araki berühmt ist, verdecken andere Teile seines Werkes“, erklärte Co-Kurator Walter Moser bei einem Vorabbesuch der APA. Daraus sei der Anspruch entstanden, andere Ansätze zu finden und die Entstehung der „Ich-Fotografie“ – diesem dezidiert subjektiven und es mit der Wahrheit nicht so genau nehmenden (Ein-)Blick auf die Welt und das eigene Leben – nachzuzeichnen. Denn ohne diese wäre die zeitgenössische Fotografie beispielsweise a la Juergen Teller nicht vorstellbar, ist Moser überzeugt.

Anhand von 285 Aufnahmen, die der Albertina modern allesamt als Dauerleihgabe der Jablonka-Galerie zur Verfügung stehen und bis auf wenige Ausnahmen eher kleinformatig und in Schwarz-Weiß gehalten sind, wird einem dieser Araki-Aspekt im Untergeschoß nähergebracht. Es beginnt mit einigen der frühesten Bilder, die 1962/63 entstanden sind: „Satchin und sein Bruder Mabo“ werden in einem desolaten Tokioter Viertel von der Kamera begleitet. Obwohl einem sozialdokumentarischen Ansatz verpflichtet, blitzt Arakis Humor in den Aufnahmen durch.