Pflegekräfte in einer Intensivstation
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Gesundheit

Fünftel der Pflegekräfte denkt ans Aufhören

Nach 19 Monaten Pandemie kommen viele Krankenpflegerinnen und -pfleger in den Spitälern an ihr Limit. Belegschaftsvertreter warnen, dass vier von fünf unter der psychischen Belastung ihrer Arbeit leiden. Ein Fünftel denkt ans Aufhören.

Seit September ist im Krankenhaus Göttlicher Heiland wieder eine Covid-Intensivstation eingerichtet. Das Pflegepersonal ist wieder sehr gefordert, einige auch überfordert, erzählt Intensivkrankenpflegerin Barbara. „Es ist so, dass bei uns einige ans Aufhören denken. Es gibt einige junge Kolleginnen, die erst seit zwei, drei Jahren im Job sind und die schon reduziert haben. Die wollen weiterstudieren, weil einfach klar ist, dass sie mit den Voraussetzungen nicht die nächsten 20 Jahre arbeiten können.“

Sie arbeitet seit zehn Jahren in der Intensivpflege. Jetzt geht auch ihr die Luft aus, sagt sie. Dauernd einspringen, arbeiten im Schutzanzug und keine entsprechende Entlohnung seien auf Dauer nicht aushaltbar – „es ist seit eineinhalb Jahren weltweit eine Pandemie und es ist nicht einmal die Infektionszulage erhöht worden“, erzählt sie.

Pflegekräfte in einer Intensivstation
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Die Arbeit in den Intensivstationen ist nicht nur körperlich fordernd

Leiharbeit statt fixem Posten

Laut Gerald Mjka, dem Personalvertreter der Ordensspitäler, sind acht von zehn Krankenpflegerinnen und -pfleger mittlerweile psychisch belastet, wie Befragungen ergeben hätten. „Die können nicht mehr, die sind müde, die sind ausgelaugt, die haben Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen. Sie nehmen das in private Leben mit“, so Mjka. „Es ist Alarmstufe Rot.“

Viele würden innerlich kündigen, sagt er, manche tatsächlich. „Es gibt ein ganz neues Phänomen, dass sich Kolleginnen und Kollegen bei einer Leiharbeitsfirma anstellen lassen, mit der Begründung, dass sie dort stabilere Dienstpläne haben und weniger Druck, immer einspringen zu müssen. Da dreht sich die Arbeitswelt gerade um.“ Früher sei Leiharbeit nicht attraktiv gewesen, „es wird in diesem Bereich immer attraktiver“.

Pfleger am Limit

Nach 19 Monaten Pandemie kommen viele Krankenpflegerinnen und -pfleger in den Spitälern an ihr Limit. Belegschaftsvertreter warnen, dass 80 Prozent unter der psychischen Belastung ihrer Arbeit leiden, dass aggressive Übergriffe von – vor allem ungeimpften – Patienten, die Corona leugnen – mehr werden. Viele denken deshalb ans Aufhören.

Körperliche und psychische Belastung

Belastet ist auch das Pflegepersonal in den öffentlichen Spitälern. Astrid Haas, die in der Notaufnahme arbeitet, berichtet: „Es ist nicht nur körperlich anstrengend, sondern auch psychisch.“ „Das bringt manche sehr an ihre Grenzen“, ergänzt Marija Nikolic von der Kinder-Covid-Station in der Klinik Ottakring. Laut Personalvertretung hier denken 20 Prozent ans Aufhören.

Die Notaufnahme der Klinik Ottakring
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Immer öfter werden auch Übergriffe auf Pflegekräfte gemeldet

Erst unlängst hätten fünf an einem Tag gekündigt, erzählt Edgar Martin von der Gewerkschaft younion. „Wir merken, dass Kolleginnen und Kollegen frühzeitiger in Pension gehen und auch Abschläge in Kauf nehmen, weil sie sagen: Ich bin an einem Punkt nach der langen Zeit, da kann ich nicht mehr, da muss ich mich zurückziehen – da geht es um meine Gesundheit.“

Beschimpfen und Bespucken

774 Pflegepersonen haben die Kliniken des Gesundheitsverbundes im ersten Pandemie-Jahr verlassen. 963 sind aufgenommen worden. Die Zahl der unbesetzten Stellen hätte sich laut Personalvertreter in der Pandemie aber verdoppelt. Registriert werden auch mehr Übergriffe auf das Pflegepersonal, speziell auf Covid-Stationen. „Sehr oft wird angezweifelt, dass es um Covid geht. Die Pflegepersonen werden angepöbelt, beschimpft – das geht bis zu Bespucken“, sagt Martin. Kaum überraschend also, dass der Job momentan nicht beliebt ist.