Allein durch das jährliche Calle-Libre-Festival wurden in Wien bereits mehr als 70 Hausfassaden von meist internationalen Künstlerinnen und Künstlern gestaltet. Auch auf Gemeindebauten und privaten Wohnhäusern entstehen Jahr für Jahr neue Murals (Wandbilder) – oft mit der Spraydose. Street-Art hat in der Werbung genauso Einzug gefunden wie in Galerien und Museen.
Kunst auf Containern und Lastwagen
Die heimische Street-Art-Szene in Wien ist überschaubar, aber höchst aktiv. Da wäre zum Beispiel der aus Texas stammende Künstler Deadbeat Hero. Er sammelt alte Actionfiguren, kauft sie oftmals auf dem Naschmarkt-Flohmarkt und verwendet sie als Inspiration für seine gesprayten Roboterkunstwerke. Während der Pandemie besprühte er neben Wänden am Donaukanal auch einen riesigen Lkw-Container auf einem Firmengelände bei Wien.
„Wir haben diesen Truck von einem Freund bekommen, der hier viele Container am Gelände hat. Er hätte gern, dass sie cool aussehen und nicht so rostig, alt und hässlich. Also hat er uns ein paar Fotos geschickt, wir haben Konzepte gemacht, und er hat gesagt: Okay, kommt und bemalt sie“, erzählt Deadbeat Hero.
Wir, das sind Deadbeat Hero und seine Frau Rapunze. Die Grafikdesignerin greift ebenfalls zur Spraydose – und verwandelt alte Container in Kunstwerke. „Diese bunten Flächen werten die Umgebung einfach auf. Und als ich mitbekommen habe, dass sich die Leute so darüber freuen, hab ich einfach weitergemacht.“
Dose, Pinsel, Papier, Fliesen
Im Gegensatz zu Graffiti werden bei Street-Art viele verschiedene Mal- und Kunsttechniken verwendet. Die Papierkünstlerin Lym Moreno etwa gestaltet aus Plakaten kunstvolle Collagen – und kleistert sie in Wien an Wände. Ihre Motivation: „Ich will als Künstlerin Präsenz haben und sichtbar auf der Straße sein.“
Der Schablonen-Street-Art-Künstler Tabby war kürzlich in Wien unterwegs, um mit Herzen bemalte Fliesen auf Wände zu kleben. Noch heute sind die meisten davon zu sehen. Der aufstrebende Pop-Art-Künstler Glod hingegen malte mit Pinsel einen riesigen rosaroten Panther auf eine Hausfassade in der Westbahnstraße. „Ich finde es schön, dass man Kunst öffentlich macht, dass Leute, die meine Kunst mögen, nichts besitzen, sondern einfach spazieren gehen müssen – und dann kriegen sie was von mir zu sehen.“
Erlebnis Österreich: Street Art
Das Bild von Wien wird immer intensiver von der bunten Kunst auf der Straße geprägt. Schrille Gemälde an die Mauern des Donaukanals gesprayt, flüchtige Kunstwerke, die immer wieder übermalt werden. Street Art hat sich durchgesetzt, den Schritt vom Underground in die Etabliertheit gesetzt. Der Film ist eine Kunstführung der ganz anderen Art, mit Künstler*innen, deren Werke ohne Klimaanlagen und teure Versicherungen wirklich allen zur Verfügung stehen.
Mit seinen gesprayten Kunstwerken lud Glod vor wenigen Monaten am Dachboden des Stephansdoms zu einer Party mit DJ und Champagner. Den Segen zur exklusiven Vernissage gab Dompfarrer Toni Faber, der selbst mit seinen Firmlingen jedes Jahr zur Spraydose greift: „Street-Art ist mir nicht fremd und sollte auch der Kirche nicht fremd sein.“
Street-Art auf Instagram
Künstler Manuel Skirl hat mehr als 150.000 Fans auf Instagram – einer Plattform, auf der viele Street-Artists ihre meist flüchtigen Werke auf den Straßen dokumentieren. Früher war Skirl laut eigenen Worten ein „kleines furchtbares ‚Gfrast‘ in Floridsdorf, ich hab Eddings geklaut und Stromkästen damit angeschmiert“. Inzwischen ist er ein etablierter Künstler, der sich mit seiner speziellen Maltechnik einen Namen gemacht hat und weltweit Malaufträge bekommt. Dennoch malt er weiterhin in Wien auf legalen Wänden wie am Schwendermarkt, aber auch unter Autobahnbrücken.
Kunst oder Vandalismus?
Die Grenzen zwischen Graffiti und Street-Art verschwimmen. Speaker 23 etwa prägt seit zwanzig Jahren mit gesprayten Lautsprechern in Wien das Stadtbild – auf Rollbalken, Brückenpfeilern und U-Bahn-Mauern. „Ich komm eigentlich aus der Freetekno-Szene – und da geht es viel um Speakers und dass man die unangemeldet irgendwo aufbaut und eine Party veranstaltet“, erklärt er.
„Für mich ist das Sprühen ein Ventil, ob das jetzt jemand als Kunst sieht, ist mir recht, aber eigentlich auch egal.“ Bei der viel beachteten Street-Art-Ausstellung „Takeover“ im Wien Museum im Jahr 2019 war er als Künstler jedenfalls präsent. Und manche seiner Fans lassen sich Tattoos von seinen „Lautsprecher-Bildern“ stechen.
Sprühen mit Wasserflaschen
Jemand, der mit neuen Techniken experimentiert, ist der Wiener Kunstlehrer Manuel Murel. Er sprüht unter anderem mit Wasser auf Wände. „Ich verwende einfache Plastikflaschen, um damit Schriften zu erzeugen und ein bisschen diesen illegalen Graffitistil zu parodieren.“ Seine Kunst ist nur von kurzer Dauer. Murel: „Ich mach immer ein Video währenddessen, weil es geht um den Prozess, wie es entsteht, das ist das Spannende!“
Eroberung des öffentlichen Raums
Es sind gar nicht so wenige Frauen in der Street-Art-Szene aktiv – etwa die Künstlerin Linda Steiner. Gemeinsam mit Katharina Löffelmann und Mariella Lehner bildet sie die Rip Off Crew – und bringt unter anderem feministische Botschaften in den öffentlichen Raum.
„Bei Kunst ist das Ziel ja eigentlich immer, dass man es nach außen trägt und dass Leute das sehen sollen. Wenn man im Studio malt und Ausstellungen macht, erreicht man aber immer nur ein bestimmtes Publikum. Und das ist das Schöne an Street-Art. Das sehen so viele Leute, die da vorbeigehen, und auch wenn sie es vielleicht nicht bewusst wahrnehmen, ist es trotzdem präsent.“ Die Künstlerinnen und Künstler drängen Street-Art – wie Werbung – den Menschen auf der Straße eigentlich unfreiwillig auf. Linda Steiner lachend: „Ja, man muss ja!“