Yana Radchenko und Patrick Budgen
ORF
ORF
Ukraine-Krieg

„Mutter weckte mich und sagte: Es ist Krieg“

Derzeit flüchten hunderttausende Menschen aus der Ukraine – so auch Yana Radchenko. Die 22-Jährige studiert seit fünf Jahren in Wien, zu Beginn des Krieges war sie gerade in der Ukraine auf Heimaturlaub. Drei Tage lang war sie unterwegs – nun hat sie es zurück nach Wien geschafft.

Yana Radchenko kommt aus einem kleinen Ort westlich von Kiew – sie studiert seit fünf Jahren in Wien an der Wirtschaftsuniversität. Daneben arbeitet sie in einem kleinen Wiener Unternehmen im Marketing. Als der Krieg ausbricht war sie gerade in der Ukraine, um ihre Familie zu besuchen – den Rückflug hatte sie für den 24. März gebucht. „Um fünf Uhr in der Nacht weckte mich meine Mutter auf und sagte weinend, dass der Krieg angefangen hat“, schildert Radchenko im „Wien heute“-Interview mit Patrick Budgen.

Gleichzeitig bekam sie Anrufe von einer Freundin, die ihr berichtete, dass der Flughafen in Kiew bombardiert wird. „Dann haben wir begonnen, fernzusehen und uns zu informieren, was dort wirklich passiert ist und ob es überhaupt eine Möglichkeit gibt, die Stadt zu verlassen“, so Radchenko. Die Entscheidung zur Flucht fiel ihr schwer, denn sie wollte eigentlich nur gemeinsam mit ihrer Familie, vor allem ihrer acht Jahre alten Schwester, fliehen. Alle Koffer waren gepackt, als ihre Freundin anrief und ihr von einer Möglichkeit zur Flucht berichtete – allerdings nur für sie selbst.

Yana Radchenko
ORF
Die Studentin Yana Radchenko flüchtete aus der Ukraine nach Wien

"Meine Mutter hat mich einfach in das Auto geschoben

„Ich konnte mich bis zum letzten Moment nicht entscheiden, was ich da machen sollte. Aber als das Auto angekommen ist, hat mich meine Mutter einfach in das Auto hineingeschoben und hat gesagt: Du musst zumindest fliehen.“ Radchenko nahm nur Geld und ihren Koffer mit – drei Tage und drei Nächte war sie unterwegs. Zunächst ging es bis Lemberg, nach einer Übernachtung dort zum Bahnhof. „Wir hatten einfach Glück. Wir mussten nicht sehr lange warten und wir haben es geschafft, in den Wagen rein zu springen und sind gefahren.“

Aber nicht alle wollen aus der Ukraine fliehen – manche wollen ihren Besitz nicht zurücklassen, andere halten die Flucht selbst für zu gefährlich, sagt die Studentin. Kontakt zu ihrer daheim gebliebenen Familie hat sie derzeit keinen: „In meiner Stadt gibt es jetzt keinen Strom, kein Netz und keine Internetverbindung. Seit vier Tagen erreiche ich sie nicht.“ In Yana Radchenkos Heimatstadt sind Truppen stationiert, um Kiew zu verteidigen. Deshalb werde ihre Stadt auch von russischen Truppen bombardiert – bei diesen Angriffen habe es auch zivile Opfer gegeben. „Ein älteres Ehepaar aus der Gemeinde ist in ihrem Auto gestorben. Das Auto wurde einfach auf die Straße geschossen.“

„Alle Russen hier sind gegen den Krieg“

Die 22-Jährige hat in Wien auch einige russische Freunde. „Soweit ich das verstanden habe, sind alle Russen gegen den Krieg. Viele helfen und sammeln Geld und Spenden für die Ukraine. Sie dürfen zwar ihre Meinung nicht veröffentlichen – aber sie informieren jedenfalls die Menschen in Russland, wie es wirklich ist und dass es nicht so ist, wie es die Medien dort zeigen.“ Auch Radchenko selbst hilft wo sie kann, zum Beispiel bei der Ukrainischen Kirche in der Innenstadt. Sie holt Hilfsgüter und organisiert Transporte. Außerdem organisiert sie Unterkünfte für jenen Teil ihrer Familie, der nach Wien kommt.

„Ich habe die sehr große Hilfe meines Chefs und von meinen allen Freunden, die ich hier in Wien kenne, aus Österreich, aus Deutschland. Sie schreiben mir die ganze Zeit, wie es mir geht, ob sie irgendwas machen können.“ Für die Ukraine hoffe Radchenko, dass der Krieg so schnell wie möglich vorbei ist – und danach Hilfe für den Wiederaufbau geleistet wird. „Ich rufe alle Politiker jetzt auf, alles, was in ihrer Macht steht, zu unternehmen und der Ukraine zu helfen.“