Praxis für Kinderpsychiatrie
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Gesundheit

Patienten suchen nach Kassenärzten

Die Pandemie hat ein Problem in Wien noch verschärft: Es gibt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu wenig Therapieplätze. Das Problem fehlender Kassenärzte wird generell immer größer. Ein neues Honorarsystem könnte vielleicht helfen.

Es ist kein Kinderspiel für junge Wienerinnen und Wiener unbeschadet durch die Pandemie zu kommen. Der Wahlarzt und Kinderpsychiater Helmut Krönke berichtet davon, dass sich die Zahl der Kinder- und Jugendlichen mit seelischen Problemen in den vergangenen beiden Jahren verdoppelt habe. Er habe täglich bis zu 15 Terminanfragen. Auch die Kassenordinationen seien voll, weiß er als Standesvertreter: „Es ist in beiden Bereichen mit Monaten zu rechnen, zwischen drei und sechs Monaten ist realistisch, dass man einen Ersttermin bekommt.“

In Wien gebe es aktuell nur neun Kassenärzte für Kinderpsychiatrie und rund 50 Wahlärzte. Von ihnen arbeiten aber nur wenige Vollzeit. Die Abschaffung des Wahlarztsystems, wie es gerade diskutiert wird, ist für ihn daher kein Thema. Denn weniger gut situierte Menschen bekämen dann nichts mehr refundiert: „Das macht mir große Sorge, weil ich habe hier Kinder aus WGs, ich habe Kinder aus schlechten sozialen Verhältnissen, wo nicht ein großer finanzieller Rahmen da ist, und die würden augenblicklich sagen, wir können uns das nicht mehr leisten.“

Ambulante Psychiatrie
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In Ambulanzen gibt es immer weniger Betreuungsplätze

Behandlung zuhause soll mehr Patienten helfen

Im stationären Bereich muss der Betrieb sogar heruntergefahren werden, weil Kinderpsychiater fehlen. Die Stadt will jetzt mit flexiblen Verträgen Anstellungen attraktiver machen und ab Sommer eine neue Form der Behandlung ausbauen, das hometreatment. 150 Kinder mehr sollen dann von Fachärzten, Psychologen, Sozialpädagogen und Therapeuten zu Hause behandelt werden. Diese Behandlungsform sei „stationsersetzend, das heißt die Kinder, die es betrifft, sind so krank, dass sie eigentlich einen stationären Aufenthalt brauchen würden“, so Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie von der Stadt Wien.

Genau das versuche man aber zu verhindern, indem man die Kinder eben zu Hause behandle. Außerdem soll es bis 2027 sechs Ambulatorien für Kinder- und Jugendpsychiatrie des psychosozialen Dienstes geben, momentan sind es zwei. Eine weitere Kassen-Ordination für Kinder- und Jugendpsychatrie macht zwar im Mai in Ottakring auf. Dass die bald auch überlaufen ist, ist aber zu erwarten – so wie jetzt schon viele Ordinationen in vielen Bereichen. Ein Problem, um das sich die Politik kümmern muss.

Immer mehr Menschen suchen Kassenärzte

Mängel in der psychiatrischen Versorgung von Kindern aber auch der Mangel an Kassenärzten geht auf Kosten der Patienten. Und die Situation werde nicht besser, sagte die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz in „Wien heute“. Das Verhältnis Kassenarzt zu Wahlarzt verschlechtere sich zu Ungunsten der kassenärztlichen Versorgung. Pilz berichtete von Patienten, die davon berichteten, dass ihr Arzt seinen Kassenvertrag abgegeben habe und nur noch als Wahlarzt arbeite, und die dann fragen würden, was sie jetzt tun sollen. Viele könnten sich Wahlärzte schlicht nicht leisten.

Dass es eine Zweiklassenmedizin gebe, bejahte Pilz mit Blick auf die Situation bei Kindern: „Der Kinderarzt ist sozusagen der Hausarzt für die Jungen, bis sie 15 sind. Und wenn man da ständig jede Konsultation mit Wahlärzte-Honorar begleichen muss und dann kriegt man 80 Prozent vom Tarif zurück. Ja, aber das ist doch für viele eine große Hürde.“ Es dürfe nicht so sein, dass nur jene gut versorgt seien, die es sich leisten könnten.

Pilz nannte die Gynäkologie als zweites Beispiel. Da gehe es um Früherkennung und regelmäßige Kontrolle. Auch da gebe es Frauen, die sagen würden, sie finden einfach keinen Gynäkologen, der sie als Kassenarzt betreue.

Attraktivität durch modernes Honorarsystem steigern

Mögliche Lösungswege wären Anstrengungen von Ärztekammer und Kasse, es für Ärzte attraktiver zu machen, eine Kassenpraxis zu übernehmen. Andererseits müssten Primärversorgungseinheiten rasch ausgebaut werden, in denen Teams zusammenarbeiten: „Das ist attraktiv für junge Ärzte und Ärztinnen, auch für andere Berufsgruppen wie Pflege. Und da gibt es eine umfassende Versorgung und das ist das Modell der Zukunft.“ Sie finde es schlimm, dass die Ärztekammer hier „auf der Bremse“ stehe.

Eine Beschränkung der Zahl von Wahlärzten in Wien wie von Gesundheitsstadtrat Peter Hanke angedacht, würde Pilz begrüßen. Jeder Versuch, den Trend umzukehren, sei zu begrüßen. Wahlärzte würden die Rosinen herauspicken, hätten dann auch vielleicht die „angenehmeren“ Patienten, weil die wirklich schwer kranken Menschen bräuchten die Kassenärzte. Viele Ärzte würden das ja gar nicht wollen. Insofern müsse man ihnen auch ein modernes Honorarsystem bieten.