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Religion

Kirchliche Gemeinschaft wird schwächer

Die traditionellen Volkskirchen verlieren weiter Mitglieder, selbst in schweren Zeiten wie der Pandemie. Weniger als die Hälfte der Wienerinnen und Wiener gehört noch zur katholischen oder evangelischen Kirche. Das bedroht Hilfe und Unterstützung.

„Ich bin vor zirka drei Jahren aus der Kirche ausgetreten, aus dem Grund, weil ich einfach mit gewissen Skandalen, und auch wie die Katholische Kirche, vor allem auch der Papst und so weiter, damit umgehen, nicht d’accord bin.“ – „Weil es die Gemeinschaft ist, der Glaube an Gott, diese Sicherheit, die das einen gibt, das ist wunderschön.“ – Für und wider für einen Austritt aus der Kirche oder einer bewussten Entscheidung für die Kirche gibt es viele.

Die katholische Kirche in Wien verliert seit Jahrzehnten tausende Gläubige, mehr als eine halbe Million Menschen ist es schon, die der Kirche lebewohl gesagt haben. Laut Erzdiözese ist die Zahl der Kirchenaustritte von 10.360 im Jahr 2020 auf 12.475 im vergangenen Jahr angestiegen. Dazu kommt noch, dass es mehr Todesfälle als Taufen gibt, das macht dann noch einmal rund 2.000 Personen aus.

Kirchenaustritte nehmen weiter zu

In Wien mit rund 1,9 Millionen Einwohnern gehören mittlerweile weit weniger als die Hälfte den früher traditionellen Glaubensgemeinschaften der römisch-katholischen oder evangelischen Kirche an.

Lage in evangelischer Kirche ist ähnlich

Bei der islamischen Glaubensgemeinschaft gibt es keine exakten Zahlen. Im Jahr 2020 wurde die Zahl der Mitglieder in Wien auf 200.000 geschätzt. Austritte sind da üblicherweise eher selten. Zahlen seien derzeit keine verfügbar, hieß es.

Bei der Evangelischen Kirche mit mehr als 43.900 Mitgliedern laut der aktuellsten verfügbaren Zahl aus dem Jahr 2020 ist die Tendenz mit 1.480 Austritten ähnlich wie in der katholischen Kirche. Zwar gibt es für das vergangene Jahr noch keine Zahlen, aber in den Jahren davor haben jedes Jahr mehr als 1.000 Menschen ihrer Kirche den Rücken gekehrt, bestätigte die Diakonie.

17 Prozent der Österreicher fühlen sich alleine gelassen

Die Direktorin der Diakonie, Maria Katharina Moser, verwies in „Wien heute“ auf einen sehr wesentlichen gesellschaftlichen Beitrag der Kirche, nämlich die Gemeinschaft. Während der Pandemie hätten sehr wohl viele Hoffnung und Trost in der Kirche gesucht. Aber offenbar stärker sei ein gesellschaftlicher Trend zur Individualisierung: „Der Einzelne sieht sich selber im Zentrum.“

Wenn Menschen sagen würden, sie brauchen keine Institution zum Glauben, dann würden auch Institutionen wie die Kirche erfahren, dass Institutionen nicht besonders in seien. Das bringe aber gesellschaftliche Probleme mit sich. In Österreich würden immerhin 17 Prozent der Bevölkerung sagen, sie hätten im Ernstfall niemanden. Natürlich könne man alleine glauben. „Aber die Dimension der Gemeinschaft, die denke ich, ist doch ein sehr wesentlicher gesellschaftlicher Beitrag“, sagte Moser.

„Sehr leise“ Mobilisierung der Kirche in Pandemie

Im Gegensatz zu lautstarken Gruppen, die in der Pandemie tausende Menschen hinter sich versammeln konnten, habe die Kirche sehr leise mobilisiert. Aber sie habe mobilisiert, betonte Moser. Jeden Sonntag besuchen rund 600.000 Gläubige einen Gottesdienst. Das sei mehr als Besucher bei irgendwelchen Demonstrationen. Die Kirche habe trotz geschlossener Kirchgebäuden gelebt. Man sei nach einem ersten Schock umgestiegen auf Online-Gottesdienste, von denen einige besser besucht gewesen seien als die realen Sonntagsmessen. Es hat viel soziales Engagement, viele gegenseitige Unterstützung gegeben.

Das sei auch jetzt gerade wichtig, besonders für Menschen, die vom Krieg besonders belastet sind, oder noch unter der Pandemie leiden. In der Diakonie gebe es zum Beispiel das „Plaudertischerl“, wo man einfach nur ins Gespräch kommen könne. „Suchen Sie sich Gemeinschaft, suchen Sie sich auch Hilfe. Ich verstehe, dass das nicht leicht ist, Hilfe zu brauchen. Das wird oft abschätzig betrachtet in unserer Gesellschaft. Das gestehen wir uns dann nicht so leicht ein. Aber zu sagen, ich brauche Hilfe und Hilfe anzunehmen, das ist ganz mutig“, so Moser.